WM 2014 - die deutsche Mannschaft in der Einzelbewertung: Kellner und Stahlarbeiter
Neuer pritscht, Kroos serviert und Podolski wiehert. Schon vor dem großen Finals das ultimative Zeugnis der deutschen Nationalspieler – inklusive der Nominierungen für die Dieter-Eilts-Medaille.
Wenn die Deutschen an Brasilien denken, löst das nur angenehme Assoziationen aus: Sonne, Strand und Caipirinha. Die empirischen Studien unserer WM-Reporter vor Ort haben ergeben, dass Strand in Brasilien tatsächlich in ausreichender Menge vorhanden ist und dass die Sonne selbst im meteorologischen Winter verlässlich scheint. Nur das mit den Caipirinhas ist eher ein Klischee. Der Brasilianer trinkt lieber Bier, viel lieber sogar, als es der Deutsche tut. Schon morgens um halb zehn kann man Brasilianer am Strand auf Plastikstühlen an Plastiktischen in der Sonne sitzen sehen mit einer Bierflasche im praktischen Plastikmantel (zum Zweck der Kühlung) vor sich. Auf Grundlage dieser Beobachtung haben wir unser Bewertungssystem für die Leistungen der deutschen Nationalspieler bei der WM in Brasilien entwickelt. Es reicht von drei Bierkrügen (spielt wie im Rausch) bis drei Caipirinhas (abgesoffen).
Manuel Neuer
Sportliches Multitalent. „Er spielt Karten, er spielt Billard, er spielt Volleyball“, hat Manager Oliver Bierhoff in einem Interview erzählt. „Er hat das, was man Spielintelligenz nennt.“ Neuer ist vermutlich auch ein mehr als passabler Tischtennisspieler. „Der muss gut sein mit seinen langen Armen“, sagt Jérôme Boateng. Dass der Münchner im Turnier der Torhüter bisher der beste Torhüter war, lag aber nicht nur an seinen langen Armen. Es lag auch an seinen langen Beinen, mit denen er gegen Algerien einen Libero gab, wie ihn sich Deutschland seit Franz Beckenbauers Karriereende immer gewünscht hat.
Toni Kroos
Spieler wie er werden in Brasilien „Garçon“ genannt, Kellner. Versorgt seine Kollegen allerdings weder mit Caipirinha noch mit Bier, sondern mit Bällen. Hat noch nie eine Bestellung vertauscht. Wer „In den Fuß“ bestellt, bekommt „In den Fuß“. „Der Junge macht wirklich alles gut“, sagt sogar Hollands Fußball-Ikone Johan Cruyff. Deutschlands Trainer-Ikone Joachim Löw sieht das ähnlich. Hat den Hilfskellner von einst in Brasilien zum Oberkellner befördert, der die gesamte deutsche Offensive beliefert. Zur Belohnung darf Kroos demnächst in einem der besten Häuser am Platz (Real Madrid) arbeiten.
Mats Hummels
Erfinder der „Tagesgrippe“ (Joachim Löw), deren Verbreitung durch den raschen Wechsel zwischen verschiedenen Klimazonen und den Aufenthalt in gekühlten Räumen entscheidend befördert wird. Fehlte deshalb gegen Algerien, stand aber schon im nächsten Spiel gegen die Franzosen wieder auf dem Platz. Hummels verfügt einfach über starke Abwehrkräfte und ist ein Muster an Gelassenheit. Muss man angesichts der journalistischen Experimente seiner Freundin wahrscheinlich auch sein.
Thomas Müller
War schon nach dem ersten Spiel auf dem besten Weg zu Brasiliens Staatsfeind Nummer eins. Hätte er seine Torquote aus der Auftaktbegegnung gegen Portugal (drei Treffer) beibehalten können, hätte er den Brasilianer Ronaldo schon nach dem Achtelfinale als WM-Rekordtorschützen überholt. Braucht jetzt wohl doch noch ein Turnier, um Miroslav Klose als WM-Rekordtorschützen zu überholen. Kann trotzdem schon in Brasilien Geschichte schreiben. Ein Tor im Finale – und er wäre als erster Spieler überhaupt zum zweiten Mal hintereinander WM-Torschützenkönig.
Jerome Boateng
Prädestiniert für die Rolle des Außenverteidigers – weil er gelernter Innenverteidiger ist. Was den Bundestrainer allerdings nicht daran gehindert hat, Boateng ab dem Viertelfinale auf ungewohnter Position einzusetzen – in der Innenverteidigung. Hat das gegen Frankreich und Brasilien herausragend gemacht: dynamisch, wuchtig, kompromisslos.
Philipp Lahm
Stand zum ersten Mal in seiner fusselfreien Karriere im Zentrum sportlicher Debatten – wobei die Debatte weniger gegen Lahm gerichtet war als gegen Joachim Löw, dem das Volk ein paar gut gemeinte Ratschläge unterjubeln wollte. Lahm war im defensiven Mittelfeld nicht so schlecht, wie er gemacht wurde. Aber irgendwann sah das Volk nur noch, was es sehen wollte. Und es sah nicht, was es nicht sehen wollte. Dass das Tor der Algerier zum Beispiel genau dort fiel, wo Lahm als Rechtsverteidiger hätte sein müssen. Machte das mit seinem grandiosen Auftritt im Halbfinale gegen Brasilien aber mehr als wett.
Benedikt Höwedes
In Brasilien wird sein Name „Howetz“ ausgesprochen. Ist die lautmalerische Entsprechung seiner Spielweise: Rabums! Krawong! Howetz! Galt anfangs als Sicherheitsrisiko für die Position hinten links in der Viererkette, weil er a) gelernter Innenverteidiger ist, b) Rechtsfuß und c) auf dieser Seite so gut wie nie gespielt hat. Hat sich wuchtig gegen alle Vorbehalte behauptet und gilt nun als erster Anwärter auf die Dieter-Eilts-Medaille, die traditionell an den meistunterschätzten Spieler im deutschen Kader verliehen wird.
Miroslav Klose
Sie haben ihr Ziel erreicht. Bei Klose waren es gleich zwei. Mit seinem Tor gegen Ghana hat er Ronaldo als besten Torschützen der WM-Geschichte eingeholt. Mit seinem Tor gegen Brasilien hat er Ronaldo als besten Torschützen der WM-Geschichte überholt. Was soll jetzt noch kommen? Vielleicht dieser goldene Pokal? Klose weiß als einziger deutscher Spieler, „wie beschissen es ist, ein WM-Finale zu verlieren“. Muss er nicht noch mal haben.
Per Mertesacker
Wurde von DFB-Präsident Niersbach als astreiner Charakter gefeiert – musste dafür aber erst nach vier Startelfeinsätzen in den ersten vier Spielen seinen Platz in der Mannschaft gegen einen Platz auf der Ersatzbank eintauschen. Wirkte bei der Wasserversorgung seiner Kollegen fast explosiver als in seiner eigentlichen Spezialdisziplin, dem Ablaufen feindlicher Bälle. Kann im Finale mit seinem 104. Länderspiel an Franz Beckenbauer vorbeiziehen, der beim Ablaufen feindlicher Bälle sogar noch ein bisschen besser war.
Sami Khedira
Wunder der Rehabilitationsmedizin und Muster an Ehrgeiz. Nicht weil er es nach seinem Kreuzbandriss tatsächlich noch in den WM-Kader geschafft hat, sondern weil er sich nun in der entscheidenden Phase des Turniers tatsächlich wieder seiner Bestform nähert. Kann zur Belohnung in diesem Jahr die beiden wertvollsten Trophäen des Weltfußballs gewinnen.
André Schürrle
Die Spezialkraft. Kam in fünf der sechs Spiele zum Einsatz, allerdings immer als Einwechselspieler. Schürrle hat mehr als die Hälfte seiner Länderspieltore (neun von sechzehn) als Joker erzielt und auch bei der WM nach seinen Einwechslungen drei Mal getroffen. Hat für ihn die bittere Folge, dass er leider auch im Finale nicht von Anfang an spielen wird.
Bastian Schweinsteiger
Musste im Halbfinale einen schweren Schlag verkraften. Der Ehrentreffer des Brasilianers Oscar zum 1:7 war das erste Tor, das die Nationalmannschaft bei dieser WM mit Schweinsteiger auf dem Feld kassiert hat. Das stützt die Ansicht von Torhüter Neuer, dass sein Münchner Kollege Ruhe und Ordnung ins deutsche Spiel gebracht hat. Manche fanden den grauen Wolf allerdings etwas zu ruhig und ordentlich. Könnte eine Frage des Alters sein.
Christoph Kramer
Laufwunder und kluger Kopf, obwohl noch vor wenigen Wochen sein erster Gedanke bei Erwähnung der Weltmeisterschaft war: Biergarten. Ist dann im Testspiel gegen Polen so viel gelaufen, dass er die halbe Strecke ins Trainingslager in Südtirol schon hinter sich hatte. Wurde nach der Vorbereitung eher der Caipirinha-Fraktion zugerechnet, durfte aber sogar zwei Mal am Bier nippen.
Mesut Özil
Sehr umtriebig, zumindest in den sozialen Netzwerken. Hat den Brasilianern nach dem Halbfinale via Facebook Trost zugesprochen, dabei hat er den Trost eigentlich viel dringender nötig. Sein Körper hat bei der WM nicht gesprochen – er hat gejammert. Özil sah meistens so aus, als hätte er eine Zwölf-Stunden-Schicht im Stahlwerk hinter sich. Hat selbst gesagt: „Fußball ist ja Arbeit.“ Früher hat man immer gedacht, Fußball sei für ihn Lust. So kann man sich täuschen.
Mario Götze
Sieht immer gut aus – leider immer seltener als Fußballer. Spielt inzwischen so, wie er sich bei Twitter und Facebook präsentiert: in großer Pose, aber irgendwie inhaltsleer. Konnte Özils Selbstfindungsphase nicht dazu nutzen, sich einen festen Platz in der Mannschaft zu erkämpfen. War zu sehr mit der Pflege seiner sozialen Netzwerke beschäftigt.
Shkodran Mustafi
Wollte die WM eigentlich auf Ibiza verbringen, musste dann aber als Nachrücker für den verletzten Marco Reus mit nach Brasilien, weil Löw gar nicht genug von Innenverteidigern kriegen konnte. Kam entgegen anderslautenden Prognosen sogar zu drei Einsätzen, ehe ihn ein Muskelbündelriss doch noch vorzeitig in den Urlaubsmodus versetzte. Dort wäre Mustafi nach seinem Auftritt gegen Algerien vermutlich auch ohne Verletzung gelandet.
Lukas Podolski
Kann wunderbar wiehern, wenn seine Kollegen in der Mixed-Zone Interviews geben. Bei seinem einzigen Startelf-Auftritt (gegen die USA) bewies er allerdings auch das taktische Verständnis eines Haflingers. Wurde daher schon zur Pause ausgewechselt und anschließend nur noch in Mixed-Zonen gesehen. Schade und traurig, weil Podolski im Training geackert haben soll wie ein Pferd.
Julian Draxler
Hat das vergangene halbe Jahr zur Selbstfindung und fußballerischen Neudefinition genutzt. Durfte der Öffentlichkeit die Ergebnisse dieses Prozesses leider lange nicht vorführen. Erst im Halbfinale kam er für die letzte Viertelstunde aufs Feld. Reichte nicht, um den neuen Julian Draxler in seiner ganzen Pracht kennenzulernen.
Roman Weidenfeller
Es soll ja bei diesem Turnier Trainer gegeben haben, die ihren zweiten Torhüter eigens fürs Elfmeterschießen eingewechselt haben. Leider heißt dieser Trainer nicht Joachim Löw. Wäre auch keine gute Idee. Weidenfeller ist bisher nicht so häufig als Elfmetertöter aufgefallen. War trotzdem froh, stolz und glücklich, auf seine alten Tage bei der WM dabei zu sein.
Matthias Ginter
Kommt aus der Universitätsstadt Freiburg, spielt dort beim SC (Studentenclub) und steht deshalb massiv im Verdacht, die Playlist der Nationalmannschaft manipuliert und dort unbemerkt das Lied „Atemlos“ von Helene Fischer hineingeschmuggelt zu haben. Na gut, das ist jetzt erfunden. Aber irgendwas muss man ja über ihn schreiben.
Erik Durm
Ist schnell und denkt offensiv, weil er die meiste Zeit seines Lebens als Stürmer verbracht hat. Nach solchen Außenverteidigern hätte sich Löw früher verzehrt. Jetzt steht er mehr auf Kanten, deren Namen Howetz! ausgesprochen werden.
Kevin Großkreutz
Hat mit sportlichen Bestleistungen überzeugt. Im Dönerweitwurf und Präzisionspinkeln. Dazu Großmeister in sämtlichen asiatischen Entspannungstechniken. Anders ist nicht zu erklären, wie er sein Schicksal so klaglos ertragen konnte. Selbst als die rechten Außenverteidiger reihenweise ausfielen, hat Löw in der hintersten Ecke seines Kaders immer noch einen Innenverteidiger entdeckt, den er Großkreutz vorgezogen hat.
Ron-Robert Zieler
Ist von Jérôme Boateng als Stimmungskanone geoutet worden. Allerdings, so der Verteidiger, bringe Zieler seine Kollegen eher unfreiwillig zum Lachen. Hat seine Nominierung als dritter Torhüter damit mehr als gerechtfertigt.
Stefan Hermanns