Protokoll des getürmten Trainers: Jürgen Klinsmanns Sittengemälde von Hertha BSC
Jürgen Klinsmann kritisiert die Klubführung von Hertha BSC in einem Protokoll scharf. Welche Anschuldigungen stimmen und welche nicht? Ein Faktencheck.
76 Tage hat Jürgen Klinsmann für Hertha BSC als Trainer gearbeitet. Inzwischen ist er schon wieder Geschichte, doch die kurze Ära könnte den Berliner Fußball-Bundesligisten noch ein bisschen länger beschäftigen. Am Mittwoch veröffentlichte die „Sport Bild“ auf acht Zeitschriftenseiten ein Protokoll, das offenbar von Klinsmann oder seinem Team verfasst worden ist.
Das Protokoll, das laut Klinsmanns Umfeld geleakt worden sei, liest sich wie ein Abschlussbericht des Trainers über seine elfwöchige Tätigkeit in Berlin für den neuen Investor Lars Windhorst. Herthas Präsident Werner Gegenbauer hat inzwischen in einem Schreiben an die Vereinsmitglieder bestätigt, dass Windhorst und dessen Unternehmen Tennor tatsächlich der Adressat gewesen seien.
Klinsmanns Befund lautet: Bei Hertha herrscht Inkompetenz auf allen Ebenen, in der Geschäftsleitung, der Medienabteilung, der medizinischen Abteilung. „Man versucht ständig, Spieler krank oder verletzt zu reden“, behauptet er. Tatsächlich sind in der Vorrunde dieser Bundesligasaison nur die Spieler des SC Paderborn im Schnitt kürzer ausgefallen als die von Hertha BSC.
Klinsmann hat einen Hang, die Realität zu beschönigen
Herthas Präsident Gegenbauer schreibt in einer Mail an die Mitglieder von „absurden Behauptungen“. Im Detail werde man nicht auf Klinsmanns Vorwürfe eingehen, sie seien entweder falsch oder einfach nur unsinnig. Nur so viel: „Die schäbigen Anschuldigungen gegen die Mitarbeiter der Abteilungen Medizin und Medien weisen wir entschieden zurück.“
Dass Klinsmann einen Hang hat, die Realität zu eigenen Gunsten ein wenig zu beschönigen, wird auch in seinem Protokoll wieder deutlich. In seinem ersten Spiel als Trainer habe Hertha mit dem Spitzenteam Dortmund mithalten können; dass der BVB mehr als eine Halbzeit in Unterzahl spielen musste, erwähnt er mit keinem Wort. Gegen Borussia Mönchengladbach, immerhin Tabellenführer, habe man einen Punkt geholt. Tatsächlich waren die Gladbacher zum Zeitpunkt des Spiels nur noch Zweiter. Und bei der Niederlage gegen die Bayern müsse man berücksichtigen, dass die noch sechs Wochen zuvor an der Tabellenspitze gestanden hätten. In Wirklichkeit lag ihre letzte Tabellenführung bereits 16 Wochen zurück.
Das Protokoll ist allerdings nicht nur eine Rechtfertigungsschrift des Trainers, sondern auch ein Sittengemälde der Zustände bei Hertha BSC. Und selbst wenn man über Klinsmanns Rolle und über seinen Hang zur Selbstbeweihräucherung streiten kann: Wer Hertha regelmäßig verfolgt, wird viele seiner Beobachtungen über das Innenleben des Vereins bestätigen können. Vor allem die Vereinsführung mit Manager Michael Preetz und Präsident Gegenbauer werden von ihm scharf kritisiert.
Klinsmann beschreibt die Klubführung als unbeweglich und inkompetent, bezeichnet die gesamten Arbeitsbedingungen und die Infrastruktur bei Hertha BSC als unprofessionell. Die Geschäftsleitung mit Preetz an der Spitze sei „unterer Durchschnitt“. Der Manager habe den Kader falsch zusammengestellt („Kalou zu alt, Duda satt und immer verletzt, Ibisevic zu alt, Jarstein fraglich“), seine Planung für die Rückrundenvorbereitung mit dem Trainingslager in Florida sei „eine Katastrophe“ gewesen. Zudem, so Klinsmann, sei inzwischen bestätigt, dass Preetz der Informant der „Bild“-Zeitung sei, der für viele Indiskretionen verantwortlich sei.
Weiter heißt es in dem Protokoll, es herrsche eine Lügenkultur im Verein und gebe „keine Leichtigkeit und Freude“. Wer Präsident Gegenbauer nach den Spielen von Hertha BSC erlebt, selbst nach Siegen, würde in der Tat nicht auf die Idee kommen, ihn für eine rheinische Frohnatur zu halten. Gegenbauer wirkt nach außen oft launisch und mürrisch.
Klinsmann wollte Ralf Rangnick holen
Oberstes Ziel der Vereinsführung – so lassen sich Klinsmanns Beschreibungen zusammenfassen – ist die Bewahrung der bestehenden Zustände. Er, Klinsmann, sei ständig hingehalten worden, die mündlich getroffenen Vereinbarungen über umfassende sportliche Befugnisse seien trotz gegenteiliger Beteuerungen nie schriftlich fixiert worden.
Preetz‘ Aussagen während des Trainingslagers in Florida, dass er manchmal als Bremser auftreten müsse, hat Klinsmann als klaren Affront empfunden. Zudem habe es ihn geärgert, dass die entsprechenden Aussagen „von Hertha auch bei der Autorisierung nicht abgeschwächt worden“ seien. Preetz hat diese Aussagen allerdings nicht in einem Interview getätigt, sondern in einer Medienrunde mit mehreren Journalisten. Eine nachträgliche Autorisierung ist in solchen Fällen weder üblich noch möglich.
Ursprünglich habe Klinsmann, der zunächst von Windhorst als Aufsichtsrat eingesetzt worden war, nur bis zum Winter Trainer bleiben wollen. Seine Vorstellung sei gewesen, Ralf Rangnick für den Posten zu gewinnen. Der habe die Aufgabe durchaus spannend gefunden, habe es aber abgelehnt, unter Preetz zu arbeiten.
Klinsmann stellt sich als derjenige dar, der Hertha für die Zukunft hätte fit machen können. Er beschreibt eine Zusammenkunft mit Lars Windhorst in dessen Büro in London und ein Telefongespräch mit Werner Gegenbauer, in dem Herthas Präsident bestätigt haben soll, dass ein Börsengang Herthas, eine Aufstockung von Windhorsts Investment um 150 Millionen Euro und Sponsoringverträge mit Tesla und Amazon nur mit Klinsmann möglich seien.
Klinsmann abschließender Rat an Investor Windhorst lautet: „Die Geschäftsführung muss sofort komplett ausgetauscht werden.“ Außerdem spricht er die „dringende Empfehlung“ aus: „Laßt Alex Nouri und das Trainerteam die Saison auf jeden Fall zu Ende bringen. Die Mannschaft weiß, daß er nach wie vor eng mit dem alten Trainerstab kommuniziert.“