Neuzugänge in der Bundesliga: Jung, entwicklungsfähig – und immer teurer
Weil die echten Fußball-Stars nach England in die finanzstarke Premier League gehen, bemüht sich die Bundesliga verstärkt um Top-Talente aus dem Ausland.
Es war um die Jahreswende 2014/15, als der Hype um Martin Ödegaard seinem Höhepunkt zustrebte; als jeder ambitionierte Großklub um den damals 16 Jahre alten Norweger buhlte und jeden Tag ein anderer Verein – Bayern, Real, Manchester United – als künftiger Arbeitgeber gehandelt wurde.
Hinter dem Adel des europäischen Fußballs hat sich damals auch Borussia Mönchengladbach sehr intensiv um das norwegische Wunderkind bemüht. Natürlich hatten die Gladbacher keine Chance. Natürlich? Ganz im Gegenteil. Die Borussia soll bis zum Schluss in der Verlosung gewesen sein, und Sportdirektor Max Eberl glaubt immer noch, dass Ödegaard ein Wechsel zur Borussia nur gutgetan hätte. „Er wäre in Gladbach heute Bundesliga-Spieler“, sagt er, „hätte bei uns Champions League gespielt.“ Für Real Madrid hingegen ist Ödegaard nur ein einziges Mal in der Primera Division zum Einsatz gekommen, eingewechselt für Cristiano Ronaldo, beim 7:3-Sieg gegen Getafe im bedeutungslosen letzten Saisonspiel.
Ödegaard war vielleicht schon eine Nummer zu groß für die Gladbacher. Aber generell kommt er aus genau der Nische, in der sich der Klub auskennt und in der er sich entsprechend trittsicher bewegt: Top-Talente entdecken, sie entwickeln und, wenn es sich nicht mehr verhindern lässt, teuer verkaufen – darin hat es die Borussia in den vergangenen Jahren zu einer gewissen Meisterschaft gebracht, wie auch der Fall Granit Xhaka wieder gezeigt hat. Vor vier Jahren holte Eberl den Mittelfeldspieler für 8,5 Millionen Euro aus Basel, Xhaka brauchte anderthalb Spielzeiten, um sich an die Bundesliga zu gewöhnen, wurde schließlich Stammspieler und Leistungsträger – und wechselt jetzt, mit immer noch erst 23 Jahren, für 45 Millionen Euro zum FC Arsenal.
Künftig könnte es für die Gladbacher in ihrer Nische allerdings ein bisschen enger und ungemütlicher werden. Sie bekommen Konkurrenz aus dem eigenen Laden – weil immer mehr Bundesligisten zwangsläufig auf Perspektivspieler aus dem Ausland zurückgreifen müssen, die noch halbwegs erschwinglich sind. Eberl glaubt, dass viele Klubs über den nationalen Tellerrand hinausschauen werden und sich auch andere in dem Segment zu bedienen versuchen, in dem die Gladbacher bisher unterwegs waren. „Konkurrenz bedeutet immer, dass es schwieriger wird“, sagt Borussias Sportdirektor. „Aber unsere Historie ist unser Argument. Wir haben den Vorsprung der letzten Jahre.“
Der internationale Fußball steht gerade am Beginn einer neuen Zeit. In diesem Sommer tritt tatsächlich der sagenumwobene TV-Vertrag der Premier League inkraft, was vor allem bedeutet: Bald werden ein paar Fantastilliarden britische Pfund den Markt fluten – und alles noch ein bisschen teurer machen. Auch 18 Jahre alte Spanier, Franzosen oder Dänen. Bisher haben sich die englischen Klubs noch merklich zurückgehalten, aber das ist wohl nur die Ruhe vor dem Sturm. Wenn Chelsea, die Manchesters, Liverpool und Arsenal Ernst machen, werden die meisten Bundesligisten (also alle bis auf die Bayern) sich vergebens gegen die Avancen um ihre Spieler wehren. Siehe Xhaka. Siehe Kevin De Bruyne vor einem Jahr. Und in Kürze vielleicht Leroy Sané.
Mchitarjan, Gündogan, Hummels – alle drei hätte der BVB liebend gern gehalten
„Es wird immer schwieriger, sogenannte fertige Spieler zu verpflichten und zu halten“, sagt Eberl. „Das bedeutet, dass strategische Entscheidungen anders gefällt werden müssen.“ Er hält es für „eine logische Entwicklung“, dass vermehrt junge Spieler aus dem Ausland in den Blick geraten – zumal auch umgekehrt ein gewisses Interesse besteht. Die Bundesliga genießt inzwischen international einen guten Ruf, weil „junge Spieler hier viele Spiele auf hohem Niveau bestreiten“, wie Eberl sagt.
Die Veränderungen auf dem englischen Markt betreffen auch einen Klub wie Borussia Dortmund, der nach eigenem Verständnis selbst ein ganz Großer des europäischen Fußballs ist. Henrich Mchitarjan (United) und Ilkay Gündogan (City) werden künftig in Manchester ihrem Beruf nachgehen. Dazu wechselt Mats Hummels zu den Bayern. Alle drei hätte der BVB liebend gern gehalten, aber „wir müssen anerkennen, dass wir an Grenzen gestoßen sind“, sagt Trainer Thomas Tuchel, „und wir müssen anerkennen, dass es Klubs gibt, die noch einen größeren Reiz ausüben, die noch eine Stufe über uns sind.“ Vor allem wirtschaftlich. Tuchel war es aus Mainz gewohnt, dass ihm die besten Spieler weggekauft werden. „Natürlich haben wir gedacht, wenn wir nach Dortmund kommen, wird uns das nie passieren.“
Es passiert auch dem BVB, wenn auch auf höherem Niveau. Immerhin hat er für Hummels, Gündogan, Mchitarjan mehr als 100 Millionen Euro eingenommen. Trotzdem war Tuchel klar, „dass wir keinen Spieler eins zu eins ersetzen können“. Die Dortmunder versuchen den Verlust nun auf die Gladbacher Art zu kompensieren. „Wir haben jetzt sechs Mal große Hoffnung verpflichtet“, sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Allein die drei Teenager Ousmané Dembélé (19 Jahre, 15 Millionen Euro), Mikel Merino (inzwischen 20 Jahre, 3,5 Millionen) und Emre Mor (18 Jahre, 9,5 Millionen) hat sich der BVB knapp 30 Millionen Euro kosten lassen. Watzke hält diese Transferpolitik für ambitioniert, aber auch für alternativlos.
Eine Garantie, dass sich alle Talente wie erwünscht entwickeln, gibt es natürlich nicht. Man braucht auch ein bisschen Fantasie, um etwas in einem Nachwuchsspieler zu erkennen, was andere noch nicht erkannt haben. „Wir müssen da mutig sein, vielleicht auch mal eine Millionenablöse für einen Jugendspieler ausgeben, der noch nie bei den Profis gespielt hat“, sagt Gladbachs Manager Eberl. Wenn die Premier League künftig den Rahm abschöpft, werden die deutschen Klubs sich noch tiefer bücken, noch genauer hinschauen und auch noch die hinterste Nische ausleuchten müssen.
Der Neu-Dortmunder Merino hat mit Osasuna in der zweiten spanischen Liga gespielt. Der VfL Wolfsburg hat den 18 Jahre alten Kroaten Josip Brekalo für sechs Millionen Euro von Dinamo Zagreb verpflichtet; der Hamburger SV hat den 20-jährigen Alen Halilovic für 5 Millionen Euro vom FC Barcelona verpflichtet und bemüht sich um Onyinye Ndidi, 19, vom KRC Genk. Hertha BSC holt für rund vier Millionen Euro den 21 Jahre alten Slowaken Ondrej Duda. Manager Michael Preetz hat noch nie so viel Geld für einen Spieler ausgegeben.
Renato Sanches (18, für 35 Millionen zu Bayern) und Breel Embolo (19, für 25 Millionen zu Schalke) sind auch jung, aber preislich gehören sie in eine andere Kategorie. Max Eberl hat offen zugegeben, dass Embolo für Gladbach zu teuer war. Er hat in diesem Sommer Mamadou Doucouré ablösefrei geholt, einen 18 Jahre alten Innenverteidiger aus der A-Jugend von Paris St. Germain, und für zwei Millionen Euro Laszlo Benes, einen ebenfalls 18 Jahre alten slowakischen U-21-Nationalspieler.
Und der nächste Transfer ist schon so gut wie fix. Es gibt bereits Fotos, die Julio Villalba, im Trikot der Gladbacher zeigen. Der Stürmer aus Paraguay spielt in seiner Heimat für den Club Cerro Porteño. Mit der Verkündung des Transfers ist nach dem 17. September zu rechnen. An diesem Tag wird Villalba 18.
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