Der Goldjunge vom FC Schalke 04: Leroy Sané: Jung, talentiert - und sauteuer
55 Millionen Euro für einen 20-Jährigen? Leroy Sané vom FC Schalke 04 beflügelt die Fantasie der Anleger. Doch an solche Summen muss man sich gewöhnen.
Das Raunen der Zuschauer ist bei nahezu jeder seiner Aktionen zu hören: Wenn Leroy Sané den Ball am Fuß hat und zu einem seiner pfeilschnellen Dribblings ansetzt, dann sind die Besucher der Trainingseinheiten des FC Schalke 04 in seinen Bann gezogen. Ihn einmal live und aus kürzester Distanz zu erleben ist für viele Motivation genug, den eisigen Wind zu ertragen, der in dieser Woche über das Vereinsgelände geweht hat. Der erst 20 Jahre alte Offensivspieler ist die große Attraktion des Ruhrgebietsklubs. Vor allem dank Sanés außergewöhnlicher Begabung hegen viele Schalker Anhänger die Hoffnung, dass ihr Klub in naher Zukunft wieder zur Bundesligaspitze aufschließt. Und das, obwohl der Sohn des ehemaligen Fußballprofis Souleyman Sané gerade einmal 31 Bundesligaspiele hinter sich gebracht hat.
„Leroy ist ein außergewöhnlich talentierter Spieler, der flexibel im Offensivbereich einsetzbar ist“, sagt Schalkes Manager Horst Heldt. „Wir sind sehr froh, dass er bei uns ist.“ Im vergangenen Juli war es Heldt gelungen, Sanés Vertrag vorzeitig um zwei Jahre bis Sommer 2019 zu verlängern. Ein vorausschauender Schritt des Managers. Einerseits kann der Klub auf Sanés fußballerisches Potenzial zurückgreifen. Zum anderen – und das dürfte der zweite wesentliche Teil der Vereinbarung sein – werden die Schalker mit ihm in nicht allzu ferner Zukunft einen ziemlich großen Transfererlös erzielen.
Denn darauf wird es wohl über kurz oder lang hinauslaufen.
Es hat in den vergangenen Wochen kaum einen Tag gegeben, an dem nicht über den 20-Jährigen und seine berufliche Zukunft spekuliert wurde. Immer neue Vereine wurden als mögliche neue Arbeitgeber gehandelt, immer größer wurden die Namen der Klubs: von Real Madrid bis zum FC Barcelona, von Arsenal bis Manchester (City und United). Nahezu alle europäischen Edelklubs gelten als brennend interessiert. Entsprechend stieg die vermeintliche Ablöse in immer höhere Höhen. In diesem Winter wird Sané nicht wechseln, aber die Schalker wissen auch, dass es schwer bis aussichtslos wird, ihn über den Sommer hinaus zu halten. „Wenn seine Entwicklung weitergeht wie bisher, wird er irgendwann gehen – unabhängig von dem, was im Vertrag steht“, sagt Heldt. In Europa seien nur sechs oder sieben Vereine groß und stark genug, Angebote abzulehnen, wie sie für Sané zu erwarten seien. Schalke gehört aufgrund seiner Schuldenlast von rund 150 Millionen Euro jedenfalls nicht zu diesem Kreis.
Von 55 Millionen Euro war zuletzt als Ablöse die Rede – wie gesagt für einen Fußballer, der vor zwei Wochen 20 geworden ist und seit seinem Bundesligadebüt vor 21 Monaten auf gerade mal 18 Startelfeinsätze gekommen ist. „Das ist schon skurril“, hat Max Eberl, der Manager von Borussia Mönchengladbach, der „Sportbild“ gesagt. Andererseits ist Sané nur die Spitze einer Entwicklung, deren Folgen noch gar nicht absehbar sind. Im Sommer, wenn der neue, längst sagenumwobene TV-Vertrag der Premier League tatsächlich in Kraft tritt, wird noch deutlich mehr Geld in den Fußball fließen. Granit Xhaka zum Beispiel, der prägende Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach, soll für 30 Millionen Euro den Klub verlassen können, allerdings frühestens 2017. Gut möglich, dass er dann mit diesem Preis schon ein echtes Schnäppchen ist und die Gladbacher ihn lieber schon in diesem Sommer für eine frei auszuhandelnde Ablöse veräußern. Ablösen, die uns heute noch versaut vorkommen mögen, könnten bald völlig normal sein. Das betrifft auch und vor allem junge Spieler.
Manchester United hat bereits im Sommer 50 Millionen Euro für den damals 19 Jahre alten Franzosen Anthony Martial ausgegeben. „Das ist verrückt für einen Spieler in meinem Alter“, hat Martial selbst gesagt. „Meine Familie hat sogar ein bisschen Angst bekommen, als sie den Betrag gesehen hat.“ Durch erfolgsabhängige Bonuszahlungen kann die Ablöse sogar noch auf 80 Millionen Euro steigen. Und Uniteds Lokalrivale Manchester City hat Raheem Sterling, 20, für 62,5 Millionen Euro vom FC Liverpool verpflichtet – es ist die höchste Ablöse, die je für einen Engländer gezahlt wurde.
Im Moment geht es im internationalen Fußball zu wie zu Zeiten der ersten Interneteuphorie auf dem Aktienmarkt. Alles scheint möglich. Der VfL Wolfsburg soll an Breel Embolo vom FC Basel interessiert sein. Der Junge ist 18 Jahre alt – angeblich sind die Schweizer bei einem Angebot von 30 Millionen Euro bereit, über einen Wechsel zu reden. Mahmoud Dahoud, seit Anfang des Jahres 20, hat im Sommer für Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga debütiert. Nach einer Handvoll Spielen hieß es, Juventus Turin wolle ihn verpflichten.
Wenn die Preise im Sommer – wovon auszugehen ist – noch einmal anziehen, muss man eben ein bisschen schneller sein als die Konkurrenz, echte Qualität erkennen, bevor alle sie erkannt haben. In den kolportierten Ablösen steckt trotzdem auch jede Menge Fantasie, sie sind eine Wette auf die Zukunft. Das trifft auch auf Leroy Sané zu, wobei es keinen begründeten Zweifel an seiner besonderen Begabung geben kann. Von Bundestrainer Joachim Löw wurde er im November bereits in der A-Nationalmannschaft eingesetzt. Es wäre nicht überraschend, wenn der Schalker bei der EM im Sommer dabei wäre; überraschend wäre eher, wenn Löw auf ihn verzichtete.
Sané bündelt sämtliche Gaben, die ein besonderer Fußballspieler benötigt. Er spielt unbekümmert, manchmal auch noch sehr unbedarft – aber stets spektakulär. Dazu ist er außerordentlich schnell, hat enorme Durchsetzungskraft und ein überdurchschnittliches Spielverständnis. Und mannschaftsdienlich ist er auch noch. Mit vier Toren und vier Vorlagen ist Sané Schalkes Topscorer der Hinrunde.
Im Fußball sind schon viele Karrieren explosionsartig gestartet – aber nur selten verfügen Spieler über so viel nachhaltige Substanz wie Sané. Die Experten sind sich darüber einig, wie groß die Möglichkeiten sind, die er noch ausschöpfen könnte. Vor allem aber lässt sich der junge Mann vom Hype, der spätestens nach seinem spektakulären Tor in der vergangenen Champions-League-Saison gegen Real Madrid ausgebrochen ist, nichts anmerken. „Das geht natürlich nicht spurlos an ihm vorbei. Aber Leroy geht damit großartig um“, sagt Schalkes Trainer André Breitenreiter. „Er steht unter besonderer Beobachtung – auch bei uns.“