Deutscher Fußball-Bundestrainer: Ist Joachim Löw wirklich noch der Richtige?
Nach den erneut dürftigen Länderspielvorträgen in den vergangenen Tagen wächst die Kritik an Joachim Löw. Doch der Bundestrainer gibt sich unbeirrt.
Die breite Öffentlichkeit hat es vermutlich gar nicht mitbekommen, was am 1. April dieses Jahres geschah. An diesem Tag wurde Joachim Löw zum dienstältesten Nationaltrainer weltweit. Der inzwischen 60-jährige Schwarzwälder löste den uruguayischen Chefcoach Oscar Tabarez ab, dem wegen der Coronakrise vom nationalen Verband zum 31. März 2020 gekündigt worden war.
Ein Aprilscherz war es nicht, auch wenn viele Fußballanhänger in diesem Land Joachim Löw nicht mehr für den geeigneten Bundestrainer halten. 76,5 Prozent der Befragten sprachen sich vor wenigen Tagen in einer repräsentativen Umfrage der App „FanQ“ im Auftrag des Sport-Informations-Dienstes (sid) gegen ihn aus. Lediglich 14,5 Prozent waren anderer Meinung.
Man kann über Umfragen wie diese trefflich diskutieren, und doch bilden sie für den Moment einen Zustand ab, der nicht wegzuschieben ist. Fakt ist, dass das Image der deutschen Nationalmannschaft in den zurückliegenden Monaten gelitten hat, dass es einer Vielzahl von Fans immer schwerer fällt, sich mit der Mannschaft zu identifizieren.
Immer weniger ausverkaufte Spiele in Zeiten vor der Pandemie und aktuell schwache Fernsehquoten zeugen davon. Und das hängt natürlich auch mit dem Wirken von Löw zusammen.
Löw macht sich durch seine Personalentscheidungen immer wieder angreifbar
Gerade in den letzten Tagen ist der Bundestrainer erneut kritisiert worden. Von Trainerkollegen und ehemaligen Weltmeistern wie Berti Vogts, Lothar Matthäus und Olaf Thon. Sie kritisierten wahlweise die Nominierungskriterien Löws und eine fehlende, klare Spielausrichtung und -weiterentwicklung.
Tatsächlich hatte Löw für die zurückliegenden drei Begegnungen Spieler in den Kader der Nationalmannschaft berufen und aufgeboten, die nicht mal in ihren Vereinen erste Wahl sind. Zudem bot er in diesen Spielen gegen die Türkei (3:3), in der Ukraine (2:1) und am Dienstag gegen die Schweiz (3:3) jeweils unterschiedliche Abwehrreihen auf, was sich kontraproduktiv auswirkte. Nicht zuletzt dadurch hat sich Löw erneut angreifbar gemacht.
In all diesen Tagen war Löw von den Medien immer wieder auf die Kritik angesprochen worden, und fast immergleich antwortete er. Löw sagte, dass es ihn nicht interessiere, wer was sagt, er wisse schon, was er tue. Außerdem sehe er das große Ganze. Er stehe über den Dingen, was Kritik anbelange.
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Man kann das sture Kritikresistenz nennen oder joviale Entrücktheit, aber es erinnert auf fast schon dramatische Weise an die Situation im WM-Sommer 2018, als die deutsche Mannschaft als Titelverteidiger schon in der Vorrunde krachend gescheitert war.
Bei dieser WM in Russland ist womöglich mehr kaputtgegangen, als viele wahrhaben wollten. Allen voran Löw selbst.
Nach der WM 2006 hatte Löw das Amt von Jürgen Klinsmann übernommen. Von da an schaffte es die Mannschaft bei allen großen Turnieren bis 2018 jeweils immer mindestens ins Halbfinale. Ein schöner Erfolg. Der Löw zugeschrieben wurde, auch wenn er wie kaum ein Bundestrainer vor ihm auf eine immense Ansammlung von guten Fußballern zurückgreifen konnte.
Doch mit jedem Turnier, in dem es nicht zum Titel reichte, wurden die Stimmen laut, die fragten, ob Löw überhaupt noch der Richtige sei. Vor allem nach dem vercoachten EM-Halbfinale von 2012 gegen Italien.
Und ja, der WM-Titel von 2014 hat viel mit Löw zu tun. Im Positiven. Sein größter Kniff war, dass er in Ermangelung geeigneter Außenverteidiger eine Viererkette aus vier Innenverteidigern formte.
Doch der Titelgewinn tat Löw nicht gut. Es schlich sich die Haltung bei ihm ein, wonach er als Weltmeistertrainer niemandem mehr etwas beweisen müsse. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, Löw lebe in seinem eigenen Sonnensystem. Damals war der Eindruck entstanden, als habe die alltägliche Arbeit sich aus Löws Alltag geschlichen. Löw wirkte selbstzufriedener, ja selbstgefälliger. Und so spielte seine Mannschaft dann auch.
Nach dem WM-Debakel weitermachen, als sei nichts passiert
Die eigentliche Tragik lag 2018 darin, dass es ihm nicht gelungen war, aus dem Weltmeisterteam von 2014 und dem Confed-Cup-Siegerteam von 2017 eine Mannschaft zu formen, die diesen Namen verdient.
Doch Löw machte weiter, er durfte weitermachen, als sei nichts passiert. Die Freiheit hatte ihm die damaligen Verbandsspitze um DFB-Präsident Reinhard Grindel eingeräumt, die seinen Vertrag als Bundestrainer schon vor der WM 2018 ohne Not bis 2022 verlängert hatte.
Ohne Gespür für die Situation und ohne auch nur den Ansatz einer Analyse vorgenommen zu haben, hatte sich die Verbandsspitze in einer Telefonkonferenz zu Löw derart bekannt, dass es am Ende wieder nur noch an Löw selbst lag.
Den besten Zeitpunkt, als einer der ganz großen deutschen Trainer abzutreten, hat Löw vermutlich schon 2014 verpasst, wie es Spieler wie Miroslav Klose, Philipp Lahm und Per Mertesacker taten. Selbst ein Rücktritt nach der WM 2018 hätte weder Löw noch dem deutschen Fußball geschadet.
Denn genau genommen, hat sich seit dem WM-Debakel vor zwei Jahren nicht wirklich viel zum Guten gewendet. Löw leitete einen Umbruch ein, der anfangs wenig konsequent war und im Frühjahr 2019 dann überkandidelt in der Ausbootung dreier Weltmeister (Hummels, Boateng, Müller) mündete, was bis heute als unklug gilt.
In gewisser Weise befindet sich die Nationalelf noch heute im Umbruch. In den 21 Länderspielen seit der Russland-WM hat Löw 41 Spieler eingesetzt, darunter 14 Debütanten. Auch taktisch wechselte der Bundestrainer immer wieder hin und her. In elf Spielen wurde mit Dreier- respektive Fünferkette verteidigt, zehnmal gab es eine Viererkette.
Lichtblicke wie etwa ein 3:2-Sieg im März 2019 in den Niederlanden gab es wenige. Vielmehr sind in der jüngeren Vergangenheit immer wieder mögliche Siege in den letzten Spielminuten hergeschenkt worden. Löws späte Einwechslungen trugen dazu bei.
Der Bundestrainer schafft es nicht, das Optimum aus der Mannschaft herauszuholen
Zur momentanen Wirklichkeit gehört, dass die deutsche Offensivabteilung einiges veranstalten kann und jederzeit in der Lage ist, Tore zu erzielen. Die Abwehr aber gleicht einem Panikorchester, wie die Schweizer Zeitung „Blick“ schrieb: „Das Team von Jogi Löw steckt in einer monumentalen Schaffenskrise.“
Nun muss man die Bedeutung der Herbstspiele in der Nations League nicht größer machen, als sie sind, doch das Bild, dass die Mannschaft und ihr Trainer gerade abgeben, ist schräg. Vor allem drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass der Bundestrainer nicht das Optimum aus der Mannschaft herauszuholen vermag. Und das ist ein deutliches Warnsignal.
Wie hatte eben noch Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, gesagt: „Die Nationalmannschaft ist im Moment vielleicht nicht die beste, aber immer noch die wichtigste Mannschaft in Deutschland.“ Auch deswegen wird über Löw derzeit viel diskutiert.
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Rund um das Spiel gegen die Schweiz am späten Dienstagabend ist Toni Kroos, der sein 100. Spiel im deutschen Trikot bestritt, gefragt worden nach den besonderen Momenten in seiner zehnjährigen Nationalmannschaftkarriere. Sicher, der WM-Titel von Rio sei ein besonderer Höhepunkt gewesen. Auch sonst gäbe es viele Dinge, die ihm einfielen.
Aber Kroos hob hervor, dass er in diesen zehn Jahren nur einen Bundestrainer gehabt habe. Bei Toni Kroos hörte sich das positiver an, als viele Fußballfans gerade denken.