Paralympics-Sieger: Ist der Olympia-Traum von Markus Rehm geplatzt?
Wissenschaftler sehen zwar keinen Gesamtvorteil für Weitspringer Markus Rehm durch seine Prothese, aber einen Vorteil beim Absprung. Das könnte zum Verhängnis werden.
Markus Rehm ist als Leichtathlet eigentlich Einzelsportler, aber das ist in seinem Fall nicht ganz richtig. Denn das großes Ziel des Prothesen-Weitspringers – der Doppelstart bei den Olympischen Spielen und bei den Paralympics in Rio de Janeiro – kann er nicht alleine erreichen. Es ist daher das passende Bild, dass am Montag neben ihm auf einem Podium in Köln auch Sportfunktionäre und Wissenschaftler sitzen. Denn ob er bei Olympia starten darf, das hängt an wissenschaftlichen Ergebnissen und am Regelwerk.
Es geht um die Frage, ob der 27-Jährige mit seiner Prothese einen Vorteil gegenüber anderen Springern hat. Das haben nun Wissenschaftler aus Köln, den USA und Japan untersucht. Ihr Ergebnis lautet: "Zu diesem Zeitpunkt kann nicht eindeutig ausgesagt werden, dass die Prothese von Markus Rehm ihm beim Weitsprung einen oder keinen Gesamtvorteil bietet." Rehm fühlt sich dadurch bestätigt. "Es ist ein schönes Ergebnis, dass man keinen Vorteil feststellen konnte."
Eine Klage als letztes Mittel
Er nimmt jedenfalls einiges an Hoffnung aus den Untersuchungen mit, vielleicht auch Zuversicht für eine juristische Auseinandersetzung um den Olympiastart. Denn es gelte schließlich auch für ihn bei Olympia das Rechtsprinzip "im Zweifel für den Angeklagten". Bislang hat Rehm stets beteuert, sich nicht bei Olympia einklagen zu wollen. Eine Klage sei lediglich sein allerletztes Mittel für den Fall, dass er sich nicht ernst genommen und nicht respektiert fühle.
Bei einem Bootsunfall 2003 hatte Rehm als Teenager seinen rechten Unterschenkel verloren, mit einer Prothese gelingen ihm inzwischen Höchstleistungen. Rehm ist gelernter Otrhopädiemechaniker und baut sich seine Prothese selbst. Seine Bestweite liegt bei 8,40 Meter – paralympischer Weltrekord –, in diesem Jahr ist er in Innsbruck schon 8,18 Meter gesprungen, genug eigentlich für Olympia. Doch da gibt es eben noch das Regelwerk. So unentschieden sich die Erklärung der Wissenschaftler liest, sie könnte eben doch eine Niederlage für Rehm bedeuten.
Die Studie besagt einerseits, dass Rehm mit seiner Prothese einen Nachteil hat. Beim Anlauf zum Weitsprung ist seine Bewegung weniger rund und er erreicht eine geringere Geschwindigkeit. Beim Absprung jedoch bescheinigen die Wissenschaftler ihm einen Vorteil. Denn die Prothese verliert im Gegensatz zum menschlichen Sprunggelenk keine Energie und kann die Anlaufgeschwindigkeit ideal in den Sprung umwandeln. Es gibt also einen Vorteil, aber eben keinen belegbaren Gesamtvorteil. Was Rehm als Chance auf den Start ansieht, wertet Gerhard Janetzky als Dämpfer. Janetzky ist Inklusionsbeauftragter im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) und gehört der Kommission Leichtathletik-Weltverbands (IAAF) an, die sich mit dem Fall Rehm befasst. "Das Abwägen von Vorteilen und Nachteilen ist im paralympischen Sport elementar, weil hier Startklassen eingeteilt werden müssen. Aber der olympische Sport kennt kein Bonus-Malus-System. Wenn ein Athlet einen Vorteil hat, darf er laut Regel nicht starten", sagt Janetzky. Einen Vorteil. Keinen Gesamtvorteil.
Auch für Olympia macht Janetzky Rehm wenig Hoffnungen. „Die Sprünge von Markus Rehm in dieser Saison sind für eine Olympianominierung nicht verwertbar, weil sie außerhalb der Wertung erbracht wurden.“ Rehm startet zwar regelmäßig mit Nicht-Behinderten, aber eben außerhalb der Wertung.
Im vergangenen Jahr hatte das Council der IAAF eine Regel verabschiedet, die Athleten die Benutzung jeglicher technischer Hilfsmittel verbietet, „es sei denn, der Athlet kann auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten belegen, dass der Gebrauch des Hilfsmittels ihm keinen allgemeinen Wettkampfvorteil gegenüber einem Athleten verleiht, der dieses Hilfsmittel nicht benutzt“. Der Deutschen Behindertensportverband (DBS) hatte diese Regel scharf kritisiert und von einer unzulässigen Umkehrung der Beweislast gesprochen. In der Folge vermied es die IAAF, die Regel genauer zu erläutern. DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher forderte den Leichtathletik-Weltverband am Montag erneut auf, sich endlich intensiver mit der Personalie Markus Rehm zu beschäftigen. "Die IAAF muss aus der Deckung heraus", sagte Beucher. Bei so vielen offenen Fragen könne sich die IAAF "nicht in die Büsche schlagen. Wir geben nicht Ruhe." Ein offizielles Statement der IAAF zu den Ergebnissen der Studie gab es am Montag nicht.
"Nach der Regel kann Rehm nicht starten"
Im paralympischen Sport findet Rehm längst keine ernsthaften Gegner mehr, sich mit den Besten zu messen, ist aber immer sein Antrieb gewesen. Bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften kann er das auch weiter tun. "Der DLV hat Markus Rehm wieder eingeladen, bei den deutschen Meisterschaften in Kassel zu starten", sagt Janetzky. Gemeinsam mit den Besten – aber außerhalb der Wertung. Deutscher Meister kann Rehm also wie im vergangenen Jahr in Nürnberg auch mit dem weitesten Sprung nicht werden, aber als Sieger geehrt werden.
Im Juni soll nun der Weltverband eine Entscheidung treffen. "Nach der gültigen Regel kann er Rehm nicht starten lassen", sagt Janetzky. "Die Wissenschaftler haben von unterschiedlichen Bewegungsmustern gesprochen", sagt Janetzky, "das erklärt alles. Es sind vielleicht doch zwei verschiedene Sportarten."
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