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Als große Bühne bleiben ihm die Paralympics. Markus Rehm, hier 2012 in London, wird ein großer Traum verwehrt bleiben.
© AFP/Dennis

Das Ende der Inklusion: Leichtathleten mit Prothesen von WM und Olympia nahezu ausgeschlossen

Athleten mit Prothesen müssen nach einer neuen Regel des Weltverbands künftig beweisen, dass sie keinen Vorteil haben. Das können sie kaum schaffen.

Ein Sieg der Inklusion, so feierten manche, als Oscar Pistorius bei den Olympischen Spielen in London 2012 als erster Läufer auf Prothesen startete. Der Weltverband hatte sich lange mit ihm gestritten, ob er denn nun gegen Nicht-Behinderte um Titel und Medaillen 400 Meter im Stadion laufen dürfe. Der Internationale Sportgerichtshof gab ihm das Startrecht, Pistorius lief, was danach passierte, ist eine andere Geschichte. Jetzt hat der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) jedoch eine Linie gezogen, und seit diesen Tagen steht fest: Den Start eines Prothesenläufers oder eines Prothesenspringers wird es bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften nicht mehr geben.

Es geht ohnehin längst nicht mehr um Pistorius. In Deutschland wurde Markus Rehm im vergangenen Jahr mit einer Prothese Deutscher Meister im Weitsprung bei den Nicht-Behinderten. Seine Bestweite von 8,29 Meter hätte in der gestrigen Qualifikation zum WM-Finale an diesem Dienstag Platz zwei bedeutet. Aber auch er wird eine WM oder Olympische Spiele nur als Zuschauer erleben dürfen. Denn das Council der IAAF hat eine Regel verabschiedet, die die Benutzung jeglicher technischer Hilfsmittel verbietet, „es sei denn, der Athlet kann auf Grundlage von Wahrscheinlichkeiten belegen, dass der Gebrauch des Hilfsmittels ihm keinen allgemeinen Wettkampfvorteil gegenüber einem Athleten verleiht, der dieses Hilfsmittel nicht benutzt“. So der übersetzte Wortlaut. Weil sich nicht eindeutig belegen lassen wird, ob die Benutzung einer Prothese nun Nachteile oder Vorteile bringt, bedeutet das den Ausschluss von Sportlern mit Prothese von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften.

Noch am vergangenen Donnerstag hatte Essar Gabriel, der Generalsekretär der IAAF, sehr vage darüber gesprochen, dass es eine neue Regelung für den Start von Leichtathleten mit Prothesen geben werde. Daraufhin wurde der scheidende IAAF-Präsident Lamine Diack gebeten, die Idee hinter dieser neuen Regel zu erläutern. „Die Idee ist, dass diese Frage nicht wieder auftaucht“, antwortete Diack. „Diese Athleten sollen woanders starten.“

Die Regel überlässt es bei Ereignissen unterhalb von Olympia und WM den Veranstaltern, ob sie Athleten mit Prothesen gemeinsam starten lassen wollen, dann aber mit getrennter Wertung. So war es beispielsweise beim Istaf im vergangenen Jahr im Olympiastadion geschehen, als Markus Rehm im Wettbewerb mitsprang, sein Ergebnis aber separat ausgewertet wurde.

Die Regel ist nicht mit großem Getöse verabschiedet worden. Auch bei Markus Rehm ist sie daher noch gar nicht richtig angekommen. „Ich habe auch von dieser Entscheidung gehört, habe aber noch nichts schwarz auf weiß. Ich kann das noch gar nicht wirklich kommentieren und warte erst einmal ab“, sagte der Paralympics-Sieger am Montag. „Es wäre spannend, da noch tiefer gehende Informationen zu haben.“ Seinen Traum von einer WM-Teilnahme oder Olympischen Spielen will Rehm noch nicht begraben. Aber nach Lage der Dinge müsste er das tun.

Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, glaubt jedenfalls nicht an eine reelle Startchance für Athleten wie Rehm. „Die Athleten sind in der Regel überfordert, einen Nachweis zu erbringen, dass sie keinen allgemeinen Vorteil haben. Wie schwierig das ist, habe ich gerade im Fall Markus Rehm mitbekommen.“ Wenn ein Athlet seine Prothese verändere, müsse er bei scharfer Anwendung der Regel jedes Mal einen neuen Nachweis erbringen, dass er jetzt nicht doch einen Vorteil besitze.

Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, Friedhelm Julius Beucher, tut sich daher auch nicht schwer mit einer Bewertung der neuen Regelung: „Hier entledigt sich der Weltverband scheinbar elegant, aber sehr, sehr fragwürdig dieses Problems durch die Umkehr der Beweislast. Wer so handelt, dem liegt nichts an der Inklusion.“ Die Entscheidung der IAAF hält Beucher für unsportlich. „Athleten, die einen Nachteil haben, weil ihnen ein oder zwei Beine fehlen, sollen beweisen, dass sie keinen Vorteil haben. Das stellt die Fairness auf den Kopf“, sagt er. Allein im Fall des Südafrikaners Pistorius war es zu einem Gelehrtenstreit über Vor- und Nachteile der Prothesen auf der 400-Meter-Strecke gekommen. Beim Start schien er Nachteile zu haben, weil seine Karbonfedern sich nicht wie ein menschlicher Muskel unter Vorspannung setzen lassen, beim Laufen auf der Geraden hatte er Vorteile, weil der Kunststoff nicht ermüdet, in der Kurve waren es wiederum Nachteile, weil er die Prothese nicht wie ein Fußgelenk verkanten kann.

Ginge es nach der IAAF, sollten solche Streitereien nun aufhören. Die Ungleichheit zwischen Bein und Prothese ist dem Verband auf jeden Fall zu viel geworden.

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