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Klare Ansage. Jamilon Mülders, 41, im Kreis seiner ehemaligen Mannschaft. Seit diesem Monat ist er Nationaltrainer in China.
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Chinas neuer Hockey-Trainer Jamilon Mülders: "In China reisen wir mit der Sonne"

Jamilon Mülders ist neuer Hockey-Nationaltrainer in China. Im Interview spricht über über die ungeahnten Möglichkeiten dort und die Gefahren für den deutschen Sport.

So schnell kann das gehen. Insgesamt zehn Jahre hat Jamilon Mülders, 41, für den Deutschen Hockey-Bund (DHB) gearbeitet, die vergangenen fünf als Bundestrainer der Frauen. Nun trifft er gleich bei seinem ersten offiziellen Einsatz für seinen neuen Arbeitgeber China auf sein altes Team. Beim Finalturnier der World League in Auckland (Neuseeland, 17. bis 26. November) sind China und Deutschland Gruppengegner. Beide Teams bestreiten am 19. November das zweite Gruppenspiel. Die weiteren Vorrundengegner sind England und Argentinien.

Ni hao, Herr Mülders, guten Tag.

Ni hao ma.

Was macht Ihr Chinesisch?

Es ist gut. Ich habe drei, vier Mal die Woche Unterricht, lerne fleißig. Einen Tee kann ich schon bestellen. Es wird nicht zu einer fließenden Kommunikation in den ersten drei Monaten führen. Aber es wird dazu führen, dass ich die Grundfloskeln kann und immer mehr verstehe. Die Fachterminologie geht auch schon, einzelne Sätze, Phrasen, Begriffe. Ich bin ganz zuversichtlich, dass das klappt.

Ihr Ziel ist es, im Spiel mit der Mannschaft auf Chinesisch zu kommunizieren?

Ja. Das Ziel ist eindeutig, dass die Kommunikation bei der WM und bei den Asian Games im nächsten Jahr auf Chinesisch läuft. Alles andere wird ein Kauderwelsch aus Englisch und Chinesisch sein. Die Mädels haben seit September zwei, drei Mal die Woche Englisch-Unterricht.

Warum das?

Weil ich möchte, dass es für sie neben dem ganzen Training auch noch eine geistige Aktivität gibt. Aktuell ist Englisch der Schwerpunkt, aber es wird auch andere Themen geben, denen sie sich in Workshops widmen werden. Und wir lernen weiter Chinesisch. Wir …

… neben Ihnen unter anderem Ihre Teammanagerin Julia Walter, Ihr Co-Trainer Andreas Höppner und Ihr Athletiktrainer Tillmann Bockhorst …

… haben aber auch einen Dolmetscher. Trotzdem wird es noch genügend Barrieren geben. Es wird auch totale Veränderungen geben, wie ich eine Mannschaft führe, Kommunikation erreiche und wie wir Leistung entfalten und entwickeln wollen. Aber das ist ja auch spannend und führt zu einer persönlichen Weiterentwicklung aller.

War es Ihre Bedingung, dass die Spielerinnen Englisch lernen?

Bedingung nicht, Anregung ja. Zum einen, damit sie ein besseres Gefühl haben im Umgang mit uns. Zum anderen, weil ich in den ganzen Jahren als Bundestrainer festgestellt habe, dass sich die Chinesen im Welthockey isolieren, auch aufgrund ihrer Kultur, keine Fehler machen zu wollen. Es gibt wenig direkten Kontakt mit anderen Trainern oder Spielern, obwohl sie der englischen Sprache zum Teil Herr sind. Die Chinesen sind bei Turnieren eher zurückhaltend.

Und solche Anregungen werden dann gleich umgesetzt.

Es gibt auf jeden Fall eine unglaubliche Offenheit, Dinge umzusetzen. Die Frage ist nur, wie lange es dauert. Wenn die Verbände oder das Nationale Olympische Komitee Equipment anschaffen wollen, ist es gesetzlich verpflichtend, dass chinesische Firmen bevorzugt werden. Wenn aber das Equipment nicht von chinesischen Firmen hergestellt wird, ist es erlaubt, auch westliche Produkte zu kaufen. Doch das dauert eben. Man braucht also eine Entspanntheit, einen langen Atem und eine gewisse Weitsicht. Alles was kurzfristig möglich ist, wird gemacht, der Englisch-Workshop zum Beispiel, Yoga, Kochkurse.

Kochkurse?

Klar. Für die Spielerinnen, für den Staff. Einfach um ihnen das Thema Ernährung näher zu bringen und sie aus dem Alltag des täglichen Trainings zu lösen. Wir geben den Spielerinnen mehr Freiräume, ohne dass wir das System zu sehr ändern. Denn das würde unmittelbar zu einer Destabilisierung führen. Aber die Spielerinnen haben zum Beispiel zum ersten Mal überhaupt einen Jahresplan bekommen. Und das heißt auch: einen Urlaubsplan. Das kannten sie bisher nicht. Es ist aber auch eine Anforderung: Was mache ich in dieser Zeit? Wie ist man selbstständig als Athlet? Das beherrschen noch nicht alle. Aber da geben wir Unterstützung.

Wie ist die Qualität Ihres Kaders?

In der Weltrangliste liegt China nur einen Platz hinter Deutschland. Aber Deutschland ist klar auf dem aufsteigenden Ast, China aus meiner Sicht ganz klar auf dem absteigenden Ast. Die Chinesinnen haben zwar das Finale der World League erreicht, aber das Niveau in den Spielen des Halbfinalturniers war wirklich mäßig, und wir sind uns sehr bewusst, dass die Medaillenvergabe bis Tokio erst einmal ohne uns stattfinden wird.

Woran liegt das?

Die Chinesinnen haben unter anderem das Problem, dass sie über zu wenig Spiel- Erfahrung verfügen. Sie haben China anderen Nationen nicht gerade schmackhaft gemacht. Wir werden China für das internationale Hockey mehr und mehr öffnen. Außerdem haben die Spielerinnen eine zu hohe Trainingsbelastung und kaum Ruhephasen. Das Motto „Viel hilft viel“ ist dort etabliert und sicher nicht unser Ansatz. Aber man kann etwas entwickeln, weil auf der Führungsebene und in der jungen Mannschaft eine große Offenheit besteht. Die jungen Spielerinnen sind mittlerweile viel westlicher orientiert als noch vor 10, 15 Jahren. Ich glaube, dass die Zeit ein wichtiger Faktor sein wird, weil wir die Mannschaft konstant zur Verfügung haben und wir uns nicht hetzen müssen. Ob das aber innerhalb eines Jahres geht, das wage ich noch zu bezweifeln. Es ist historisch alles sehr manifestiert und zum Beispiel ein Element der Erziehung, dass man sich bei Fehlern schämt, sich zurückhält, keinen Fehler machen will. Und wenn man Fehler macht, wird man entsprechend dafür sanktioniert. Da muss man als Trainer schon vorsichtig sein. Nur weil man nett und freundlich ist, verändert sich damit nicht das Wesen einer Mannschaft.

Zu dieser Erkenntnis scheinen auch die Entscheidungsträger gekommen zu sein.

Der Präsident des Hockeyverbandes ist ein ehemaliger Sportschütze, der viele Kontakte in die westliche Welt hat, speziell nach Deutschland. Er führt sein Amt absolut offen und hat erkannt, was im Weltsport der Zug der Zeit ist. Trotzdem ist es wie überall abhängig von einzelnen Personen. Wer weiß, was passiert, wenn dieser Präsident nicht mehr im Amt sein sollte? Was passiert, wenn wir bei den Asienspielen im kommenden Jahr noch nicht so performen, wie sie sich das wünschen, also nur Dritter oder Vierter werden? Sind sie in der Lage, das sachlich zu reflektieren? Das wissen wir alles nicht und ist mit einem Risiko verbunden.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie die westliche Mentalität in die Mannschaft tragen können?

Wir gehen nicht dahin und sagen: So geht’s. Wir werden Impulse in das System reinspielen und gucken, wie das System darauf reagiert. Der Prozess ist total offen, und viele vorhandenen Abläufe sind interessant und nicht per se schlecht. Der einzige Anspruch, den ich an alle Mitarbeiter habe, ist, dass sie diese Offenheit besitzen, Höflichkeit, Demut, Neugier. Das brauchen wir. Natürlich wissen wir um gewisse kulturelle Verankerungen. Alles andere wäre naiv. Aber wenn ich nicht überzeugt davon wäre, dass es gut wird, würde ich da nicht hingehen. Ich bin nämlich nicht der risikofreudigste Mensch.

Immerhin lassen Sie Ihre Familie in Deutschland zurück.

Ich schau mir in aller Ruhe an, was in China passiert, wie ich mich fühle und wie es meiner Familie geht. Sollte ich das Gefühl haben, dass es meiner Familie nicht gut geht, werde ich das relativ schnell beenden. Wir gehen sicher nicht beim ersten oder zweiten Problem in die Knie, aber wenn ich das Gefühl habe, dass es für meine Frau und meine Kinder nicht praktikabel ist, werden wir das Ganze beenden.

"Deutschland braucht einen Sportminister"

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat verfügt, dass China bis spätestens 2050 Fußball-Weltmeister geworden ist. Welchen Stellenwert hat Hockey?

Hockey ist – ganz sachlich – eine von vielen olympischen Sportarten, die anerkannt wird, aber nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit genießt wie Baseball, Softball, Fußball oder Judo. Hockey wird gut gefördert, hat einen guten Status als Mannschaftssportart. Alle Entscheidungsspiele bei Weltturnieren mit chinesischer Beteiligung werden auch im Fernsehen übertragen. Positive Leistung wird registriert. Man lebt da sehr angenehm.

Und trotzdem hat man Ihnen ein Angebot unterbreitet, von dem Sie gesagt haben, dass Sie es gar nicht ablehnen konnten.

Aber das betrifft nicht nur Hockey, das betrifft fast alle olympischen Sportarten. Top-Trainer aus Dänemark trainieren jetzt die Handballerinnen. Der Trainer unserer Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel ist ebenso nach China gegangen wie der Stabhochsprungtrainer von Renaud Lavillenie, dem Olympiasieger. Die Chinesen haben Dieter Kollark aus Neubrandenburg, der die Kugelstoßerinnen zum WM-Titel geführt hat, deutsche Kanu-Trainer. Überall, wo sie ein Defizit an Know-how und eine Lücke zur Weltspitze haben, machen die Chinesen seit einigen Monaten die Tür komplett auf. Sie suchen dieses Know-how, kaufen es ein. Sie wollen kurzfristig davon profitieren. Und langfristig so viel im Land behalten, dass sie irgendwann eigenständig agieren können. Daraus machen sie auch keinen Hehl.

Wie ist der finanzielle Aufwand, den die Chinesen betreiben, in Relation zu dem, was in Deutschland aufgewendet wird? Ist es das Doppelte? Das Dreifache?

Die Dimension ist relativ simpel: Wenn ich das Jahresbudget des DHB für Reisen und Unterkünfte nehme und dazu die Honorare für die Mitarbeiter, dann reden wir nicht vom Doppelten oder Dreifachen. Dann reden wir locker vom Sechs- bis Achtfachen. Zusätzlich zu den bestehenden Trainingszentren, die wir nutzen können. Das ist Wahnsinn! Wir sprechen in Deutschland davon, dass wir ein Hockeyzentrum bauen wollen. In China gibt es bestimmt fünf mit allen Einrichtungen, die für leistungssportliche Entwicklungen sinnvoll sind.

Wie muss man sich die Trainingsmöglichkeiten vorstellen?

Die Nationalmannschaft reist mit der Sonne. In Peking wird es jetzt im November kalt. Das heißt: Wir werden erst im Februar, März wieder zurückkommen. Im Norden, in Liaoning, gibt es noch ein wunderschönes Zentrum, es gibt Changzhou im Osten, Guangzhou in Südchina, Panzhihua wird unsere Base im Dezember, wunderbar in den Bergen gelegen auf 1200 Metern. Man kann sich das gar nicht vorzustellen. Da gibt es Krafträume, da können Sie busweise die Mannschaften reinkarren, dazu Laufbahnen, Hallenkomplexe, Physioeinrichtungen, Schwimmbäder, Saunen, Eisbäder, Yogaräume. Die ersten Eindrücke sind schon – interessant.

Wie sieht es mit Ihrem Gehalt aus?

Das war schon sehr gut durchdacht von den Chinesen. Sie haben die Budgets in allen Sportarten so hoch angesetzt, dass die Trainer sich wirklich damit auseinandersetzen. Wer mich kennt, weiß, dass ich aus sehr einfachen Verhältnissen stamme, bei meinen Großeltern aufgewachsen bin und nicht den Background habe, der es mir per se ermöglicht, große Sprünge zu machen. Meiner Familie geht es aktuell gut. Ich hatte beim DHB wirklich einen tollen Job, habe auch vernünftig verdient. Aber es ist sicherlich auch so, dass da kein großen Potenzial mehr war. Wenn der Vertrag in China über drei Jahre erfüllt wird und einfach nur das Basisgehalt fließt, dann eröffnet mir das Möglichkeiten, die so für mich nicht denkbar gewesen sind.

Das heißt: Nach China sind Sie finanziell erst einmal versaut?

Das wird ganz sicher nicht der Fall sein. Ich habe noch nie einen Job aufgrund des Geldes gewählt, sondern immer aufgrund der Inhalte. Jetzt ist es das erste Mal anders und eine Durchmischung. Ich bin sehr, sehr bodenständig, aber es geht auch um die Absicherung und Vorsorge. Und wenn ich das drei Jahre gemacht habe, kann ich mir sehr gut vorstellen, ohne Probleme beim DHB zum Beispiel als Co-Trainer bei der U 18 auszuhelfen, für ein Honorar von 70 Euro am Tag, und zusätzlich einfach abzuwarten, was es sonst für Angebote gibt, weltweit und auch aus anderen Sportarten und Bereichen.

Was bedeutet es für den deutschen Sport, dass China verstärkt sportliches Know-how aus dem Ausland holt?

Erst einmal nichts. Weil China ohnehin schon in vielen Sportarten eine gewisse Qualität hat. Ich glaube nicht, dass der deutsche Sport dadurch jetzt mehr oder weniger gefährdet ist. Der DOSB ist bereits vor Jahren zu der Erkenntnis gelangt, dass in anderen Nationen anders gefördert wird. Das ist auch eine der Antriebsfedern, warum Alfons Hörmann und Dirk Schimmelpfennig …

… der Präsident und der Sportdirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes …

… so vehement für eine Leistungssportreform arbeiten. Das machen sie einfach gut, und ich habe die große Hoffnung, dass ihr Rufen nicht verhallt, sondern vom Bundesinnenministerium und der Bundesregierung gehört wird. Wenn man sieht, wie die USA, Frankreich, Italien, England, Kanada, China, Japan, Australien, Neuseeland den Sport fördern; wie dort einzelne Athleten in Bezug auf Ausbildung, Rente, Finanzierung, Trainingsqualität unterstützt werden, auch Trainer – dann haben wir einfach Reformbedarf. Das hat nichts mit China zu tun. Wir können auch ohne Probleme so weitermachen. Nur müssen wir dann unsere Ansprüche relativieren: Dann müssen wir in eine etwas demütigere Haltung übergehen und uns dessen erfreuen, was die Athleten an Topleistungen bringen, auch wenn es nicht zu einer Medaille reicht. Wir dürfen uns halt nicht jedes Mal blenden lassen vom deutschen Fußball. Da sind Dimensionen am Werk, die kein anderer Verband in der Welt hat.

Genießen die Trainer in Deutschland genügend Wertschätzung?

Es wird suggeriert, dass es so ist. Aber es ist eindeutig, dass die Trainer außerhalb der Fußball-Bundesliga nicht entsprechend versorgt und finanziert sind. Es ist eindeutig, dass wir großen Bedarf an Qualifizierung und nachhaltiger Förderung und Begleitung haben. An einer Weiterversorgung, wenn die Trainer aus dem Hochleistungssport rausgehen. Die Traineroffensive war ein großer Flop. Aber der DOSB hat das Problem erkannt und will es angehen. Dazu brauchen wir Herrn de Maizière und das Innenministerium, wir brauchen die Bundesregierung und die finanzielle Unterstützung. Es geht um das Gesamtpaket: Deutschland bekennt sich zum Sport. Das hat Markus Weise …

… der frühere Männer-Bundestrainer …

… schon vor Jahren gesagt: Da geht es nicht um Millionen. Es geht um Milliarden. Es geht um das Thema Bildung, um Gesundheit, um Integration. Das sind alles Themen, die wir mit dem Sport triggern können. Aber dafür müsste sich die Bundesregierung entschließen, das Thema Sport in ihrer Agenda ganz weit nach oben zu setzen und sich nicht immer nur von Wahlkampf zu Wahlkampf zu retten. Man müsste es bei einem eigenen Sportminister verankern und nicht wie bisher dem Innenministerium zuschlagen – obwohl Herr de Maizière es gut macht. Aber der hat weiß Gott andere Themen in dieser verrückten Welt, die verständlicherweise eine deutlich höhere Priorität genießen müssen.

Gibt es viele Länder, die einen eigenen Sportminister haben?

Es gibt ein, zwei, von denen ich es weiß. Aber ob das andere Länder so handhaben, ist für mich nicht das Entscheidende. Die Frage ist: Macht es für uns Sinn? Und ich glaube: Es macht Sinn! Schon um zu unterstreichen, wie wichtig der Sport ist. Um zu unterstreichen, was dieses Ressort auch für andere Themen wie Bildung, Gesundheit, Integration leisten kann. Der Sport hat eine Kraft, die viele Bereiche isoliert so nicht haben. Alle vier Jahre bei einer Fußball-WM oder bei Olympia ist der Sport weit vorne, aber sonst wird die Kraft nicht so genutzt, wie man sie nutzen könnte, um unsere Jugend deutlich mehr zu aktivieren. Und wenn es am Ende nur dazu führt, dass wir eine deutlich gesündere Bevölkerung haben.

Stefan Hermanns

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