Reform der Spitzensportförderung: Angst vor dem totalen Absturz
Innenministerium und DOSB haben sich auf eine Leistungssportreform geeinigt. Das Konzept soll Sieger formen – wird aber auch Verlierer produzieren.
Die Jagd nach Medaillen wird für deutsche Sportverbände künftig mit der Jagd nach Punkten beginnen. Nur Sportarten, die in einem komplexen Analyseverfahren nachweisen können, dass sie gute Entwicklungschancen und professionelle Strukturen besitzen, dürfen auf eine staatliche finanzielle Spitzensportförderung im „Exzellenzcluster“ oder „Potenzialcluster“ hoffen. Weniger erfolgversprechende Sportarten sollen hingegen einem Cluster zugeordnet werden, in dem gar nicht mehr oder kaum noch gefördert wird.
Das sieht das umstrittene Konzept „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ vor, das nach fast zweijähriger Beratung am Donnerstag vorgestellt wurde. Mit dem Konzept wollen der Deutsche Olympische Sportbundes (DOSB) und das Bundesinnenministeriums (BMI) den deutschen Sport nach durchwachsenen Ergebnissen bei den vergangenen Olympischen Spielen „zielstrebiger nach oben orientieren“, wie es Bundesinnenminister Thomas de Maizière formulierte.
Gemeinsam mit DOSB-Präsident Alfons Hörmann präsentierte de Maizière das gut 50 Seiten starke Konzept und sprach von einem „langen, manchmal zähen, aber immer konstruktiven Entwicklungsprozess“. Zuletzt hatten DOSB und BMI noch um die Finanzierung der Reform gerungen. Besonders für das zentrale Potenzial-Analysesystem „Potas“, das die einzelnen Sportarten bewertet und in Cluster einordnen soll, hatte sich Hörmann mehr Geld als Anschubfinanzierung gewünscht. Statt eines hohen einstelligen Millionenbetrags wurden im Bundeshaushalt 2017 aber nur 700 000 Euro genehmigt. Daraufhin hatte Hörmann von mangelndem „Rückenwind“ gesprochen.
Am Donnerstag zeigten sich Hörmann und de Maizière aber in der Sache und im Ton einig. Schließlich habe es nie Zweifel an der Notwendigkeit der Reform gegeben, wie der Minister sagte. De Maizière versprach zudem, sich mittelfristig für „substanziell und dauerhaft mehr Geld“ einzusetzen. Zunächst muss der DOSB das Konzept aber auf seiner Mitgliederversammlung am 3. Dezember billigen, danach soll es im Bundeskabinett Thema sein. 2017 und 2018 sollen Übergangsjahre der Neustrukturierung sein, ab 2019 soll die Reform umgesetzt sein.
Bis dahin soll viel passieren: unter anderem in der Talentsichtung, bei der Förderung von dualen Karrieren für Sportler und Sportlerinnen sowie bei der „Optimierung der Trainersituation“, wie es in dem Konzept heißt. In der Vergangenheit hatten sich deutsche Trainer immer wieder kritisch über das Sportsystem geäußert und auf ihre mitunter prekären Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam gemacht. Auch wenn „Athleten und Trainer im Mittelpunkt“ (Hörmann) der Reform stehen sollen, sorgt das Papier für Verunsicherung bei vielen Trainern. Immerhin sollen viele Olympiastützpunkte wegfallen – und damit auch Trainerstellen.
Hörmann sagte, bei der Konzeption der Reform seien auch mehr als 500 Sportler einbezogen worden, zwölf Top-Athleten hätten zudem ein „Manifest“ für die deutsche Olympia-Mannschaft erstellt, das der DOSB bald veröffentlichen will.
Mit großer Sorge beobachten all jene Sportverbände die Reform, die befürchten, in das dritte Cluster einsortiert zu werden – und damit die Spitzenförderung zu verlieren. Immerhin sieht das Konzept Möglichkeiten einer „Basisförderung“ oder „Individualförderung“ vor, sofern ein Verband in seiner Existenz gefährdet ist. „Wir wollen die breite Sportlandschaft in Deutschland erhalten, weil wir sie als ein hohes Gut sehen“, sagte Hörmann. De Maizière formulierte es weniger blumig: „Wir wollen Wege finden, damit dass nicht den Absturz bedeutet.“