DOSB-Präsident im Interview: Alfons Hörmann: „Weniger Metall, mehr Charakter“
DOSB-Präsident Alfons Hörmann definiert die Ziele für die deutsche Olympiamannschaft in Rio de Janeiro neu.
Die Olympischen Spiele in Rio finden unter schwierigen Bedingungen statt: Das Land erlebt eine Staatskrise, hat finanzielle und ökologische Probleme. Was erwarten Sie von den Spielen?
Vor den Spielen gibt es immer viele Dinge, die kritisch thematisiert werden. Doch das, was aus Brasilien seit geraumer Zeit zu hören ist, ist zweifelsohne anders einzuordnen. Die Rahmenbedingungen sind erkennbar schwieriger. Die Vorfreude lassen sich Athleten und auch wir in der Führung der Mannschaft trotzdem nicht nehmen. Aber wir gehen doch mit einer nochmals erhöhten Sensibilität nach Rio. Brasilien muss nach seinen Zusagen nun beweisen, dass es trotz der Krise schöne und Mut machende Spiele ausrichten kann.
Der deutsche Fahnenträger wird in diesem Jahr in neuer Form gewählt. Nach der Vorauswahl von fünf Kandidaten wählen die Bürger und das Olympia-Team den Fahnenträger. Warum dieses neue Verfahren?
Das Ziel war, noch mehr Identifikation mit der deutschen Olympiamannschaft herzustellen sowie vorbildlich transparent und offen zu agieren. In der Vergangenheit ist ja vielleicht nicht zu Unrecht kritisiert worden, dass nur ein relativ kleiner Kreis von Personen diese wichtige Entscheidung getroffen hat.
Sind die fünf Kandidaten alle erste Wahl?
Jeder der fünf nominierten Athleten bringt in jeder Hinsicht – olympische Erfolge, Persönlichkeit, Bekanntheit, Ausstrahlung – die Voraussetzungen mit, ein würdiger Fahnenträger zu sein.
44 Medaillen möchte der DOSB aus Rio mitnehmen. Wären weniger als 40 Medaillen eine Enttäuschung und vier oder fünf Medaillen mehr als kalkuliert ein Grund zum Jubeln?
Erst einmal: Wir werden über jede Medaille jubeln. Nach dem, was vor den Spielen in Sachen Doping aber nun alles diskutiert wurde, sollten wohl andere Werte für das Olympia-Team im Vordergrund stehen als nur die absolute Zahl von Medaillen. Für mich haben damit die Verletzungs- und vor allem die Skandalfreiheit oberste Priorität. Denn, was wir einmal mehr schmerzvoll im Weltsport erkennen müssen: Erfolg um jeden Preis kann und darf nicht das Maß aller Dinge sein.
Was dann?
Gerade in solchen Zeiten, in denen wir über Manipulation, unfaire Wettbewerbe und viele weitere kritikwürdige Dinge zu diskutieren haben, sollte der Fokus weniger auf Metall, sondern vielleicht wieder mehr auf Charakter, Herzblut und Leidenschaft liegen. Wir wollen zuerst einmal vorbildliche Botschafter für unser Land sein. Ob es dann einige Medaillen mehr oder weniger werden, ist nachrangig. Da gibt es auch keine abgestimmte oder vorgegebene Sprachregelung.
Wird es diese Zielvorgaben auch nach der geplanten Leistungssportreform geben? Hält man an Medaillenprognosen fest?
In irgendeiner Form wird man natürlich auch künftig Potenziale ermitteln und messbar definieren müssen – das ist ein wichtiger Bestandteil des Hochleistungssports. Daran wird auch das zukünftige Leistungssportkonzept nichts ändern. Wir diskutieren aktuell noch intensiv, und es wird damit vielleicht nicht mehr Zielvereinbarung heißen, aber im Grunde geht es natürlich um angemessene Zielstellungen auf dem Niveau weltweiter Spitzenleistungen.
Russland hat 2012 in London 82 Medaillen gewonnen. Wird es für die deutsche Mannschaft einfacher, ohne gedopte russische Athleten, Medaillen zu holen?
Die Frage kann man wohl erst beantworten, wenn man weiß, wie das russische Team konkret aussehen wird und in welchen Sportarten mit wem die Russen vertreten sind. Ich will nicht ausschließen, dass sich in einigen Sportarten die Chancen damit noch etwas erhöhen. Es gibt aber dazu bislang keinerlei Berechnungen oder Prognosen. Was bislang kaum wahrgenommen wurde, ist, dass es ja auch schon andere Sperren wegen Dopings gab: Im Kanu fielen dadurch zum Beispiel Quotenplätze aus Weißrussland und Rumänien an uns.
Die deutschen Athleten gehen dopingfrei an den Start?
Davon gehe ich, wie in der Vergangenheit, aus. Bei uns wird durch die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada und mit großem Engagement unserer Fachverbände sowie strengen Kontrollen 365 Tage und Nächte daran gearbeitet. Und ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es erfolgreich umgesetzt wird. „Alles geben – nichts nehmen“: Das Nada-Motto werden wir auch weiterhin aktiv umsetzen, wo immer wir Einfluss haben. Gerade deshalb erwarten wir von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, dass dieser Standard nun auch endlich weltweit in der Praxis umgesetzt wird.
Interview: Andreas Schirmer, dpa