Valentin Stocker von Hertha BSC: „Ich gehe davon aus, dass ich meinen Vertrag erfülle“
Valentin Stocker spricht im Interview über drei Jahre in Berlin, die Spekulationen um seinen Wechsel in diesem Sommer und eine mögliche Rückkehr zum FC Basel.
Herr Stocker, Sie waren gerade zum dritten Mal mit Hertha BSC im Lauftrainingslager in Bad Saarow. Gewöhnt man sich irgendwann an die Strapazen?
Nein (lacht). Natürlich nicht. Aber man weiß ja, was einen erwartet: essen, schlafen, trainieren. Wichtig ist nur, dass man das irgendwie durchsteht.
Ist es Ihnen denn beim dritten Mal leichter gefallen als beim ersten Mal?
Leider ist es immer die gleiche Qual.
Haben Sie wenigstens die Erfahrung gemacht, dass sich diese Qualen auszahlen?
Natürlich. Ich finde, dass dadurch ein großer Zusammenhalt entsteht. Vielleicht kann man in schwierigen Momenten darauf zurückgreifen, weil man weiß: Hey, es gab in der Vorbereitung Momente, da haben wir noch mehr gelitten. Und da haben wir auch miteinander gekämpft.
Nach dem Trainingsauftakt vor einer Woche hat ein Fan zu Ihnen gesagt: „Schön, dass du noch da bist.“ Hat Sie das überrascht?
Es hat mich gefreut. Es freut mich allgemein sehr, dass viele Leute zu mir kommen und mir so etwas sagen. Oder dass sie das Trikot mit meiner Nummer tragen. Die Fans in Berlin sind mir sehr positiv gesinnt. Das wollte ich in den vergangenen drei Jahren auch zurückgeben. Aber es ist auch klar, dass in meinem letzten Vertragsjahr viel von den Medien spekuliert wird. Dazu kommt der Druck aus der Schweiz.
Wo über eine Rückkehr zum FC Basel debattiert wird.
Das ist schon eine spezielle Situation. Ich kriege so viele positive Rückmeldungen von den Fans, dass ich hier bleiben soll. Und genauso viele Leute schreiben mir: Komm bitte zurück nach Basel! Ich kann also machen, was ich will. Es ist sowieso gut. Aber ich versuche mich so wenig wie möglich daran zu beteiligen. Ich möchte lieber mit den Leuten direkt reden. Irgendwann werde ich sicher eine Entscheidung treffen. Aber dazu muss ich erst einmal wissen, was meine Vorgesetzten planen.
Apropos Schweiz: Ist es dort eine geläufige Redewendung, dass zwei Menschen das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben?
Ja, das kennt man.
Und bedeutet, dass zwei Menschen nicht besonders gut miteinander klar kommen.
Ja.
Die Boulevardzeitung „Blick“ hat geschrieben, dass Sie und Pal Dardai das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben.
Gut zu wissen. Aber an solchen Spekulationen möchte ich mich gar nicht beteiligen. Es liegt in der Natur der Medien, solche Geschichten und die eine oder andere Halbwahrheit zu verbreiten. Am Ende ist man als Person in der Öffentlichkeit sowieso machtlos. Vorige Woche bin ich angeblich in Basel gesehen worden – an einem Tag, an dem ich zwei Mal in Berlin trainiert habe. Klar, da bin ich zwischendurch mal eben hingeflogen. Das ist echt geil, dass das einfach so geschrieben wird.
Wie ist denn die Wahrheit?
Es geht in der Bundesliga nicht darum, neue Freunde zu finden. Ich muss gut trainieren, ich muss meine Leistungen bringen. Wenn ich das mache und meine Tore schieße, werde ich auch spielen. Alles andere ist eigentlich egal.
Vielleicht weiß man erst am 1. September, was die Wahrheit ist – wenn die Transferperiode vorüber ist.
Ganz bestimmt sogar. Und ich glaube, dass die Medien dem nicht vorgreifen können. Ich sitze hier und habe noch mit niemandem über meine Zukunft gesprochen. Man kann mit mir offen über alles reden. Das ist auch das, was ich erwarte: dass man irgendwann zu mir kommt. Solange das nicht passiert, sind das für mich nur Bauchgefühle. Aber ich sehe natürlich auch die Situation.
Ihr Vertrag läuft in einem Jahr aus. Um noch einen Transfererlös zu erzielen, müsste Hertha Sie jetzt verkaufen.
Aber ich bringe eben auch große Erfahrung in internationalen Spielen mit. Ich habe mehr als 60 Spiele im Europacup bestritten. Und weil ich mal mit Hertha international spielen wollte, genau deshalb bin ich nach Berlin gekommen.
Dann ist doch alles bestens.
Eben. Für den Verein kann es doch nur von Vorteil sein, so einen Spieler in seinen Reihen zu haben. Ich habe in der letzten Saison viel gespielt, auch relativ gut, wie ich finde. Ich habe so viele Tore gemacht wie noch nie, bin wieder für die Nationalmannschaft nominiert worden, habe auch dort getroffen. Und vielleicht denken sie sich bei Hertha trotzdem, dass sich die Wege jetzt trennen müssen. Aber das sind für mich nur Vermutungen. Die Wahrheit kenne ich aktuell auch noch nicht.
Ändert sich Ihr Bauchgefühl?
Klar ändert sich das. Das kann von Kleinigkeiten abhängen, von einer Aufstellung im Training, wo du denkst: Jetzt bin ich dran. Genauso gibt es Situationen, wo du das Gefühl hast: Nein, es funktioniert nicht mehr.
Im Training sind Sie sehr lustvoll und sehr engagiert bei der Sache.
Ich zähle zu den wenigen, die das Glück haben, ihren Kindheitstraum zum Beruf zu machen. Deshalb bin ich glücklich, wenn ich auf dem Trainingsplatz stehe und einen Ball am Fuß habe. Natürlich gibt es schwierige Situationen. Aber ich habe so etwas schon zwei, drei Mal in meiner Karriere erlebt. Ich kann damit umgehen, und ich weiß, dass auch wieder andere Zeiten kommen. Ich weiß nicht, was vor einem Jahr alles in den Zeitungen stand: dass ich weg muss und keine Chance mehr habe. Am Ende habe ich 20 Bundesligaspiele gemacht, vier Tore geschossen, eins im Pokal. Da fragt man sich doch: Auf wen soll ich eigentlich hören?
Sind Sie jemand, der aus Trotz zusätzliche Motivation zieht?
Das ist situationsbedingt. Das Spiel gegen Schalke in der vergangenen Saison …
… als Sie zum 2:0 getroffen haben …
… war für mich schon eine persönliche Bestätigung, vielleicht sogar ein bisschen eine Trotzreaktion. Aber damit hat es sich auch. Es ist nicht so, dass ich irgendwie nachtragend bin.
Sie sind mit Mitte 20, in der vielleicht wichtigsten Phase Ihrer Karriere, nach Berlin gekommen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Ich habe acht Jahre in Basel gespielt, hatte mit dem Verein eine unglaublich erfolgreiche Zeit. Und trotzdem kam irgendwann der Punkt, an dem ich gesagt habe: Ich möchte noch mal etwas Neues probieren. Ich habe gemerkt, dass ich beim FC Basel mit Freunden Fußball gespielt habe, die alle irgendwann aufgehört haben – und dass diese Zeit vorbei ist und nie wiederkommt. Ich wollte einfach sehen, wie es in der Bundesliga ist. So bin ich nach Berlin gekommen.
Und?
Es ist einfach eine andere Welt. Ich bin raus aus dieser Komfortzone. Ich musste viele Sachen wieder neu lernen. Wenn ich es kritisch betrachte, muss ich vielleicht so ehrlich sein und zugeben: Ich weiß nicht, was ich fußballerisch dazugelernt habe. Ich bin nicht größer geworden, nicht schneller. Auf der anderen Seite bin ich unheimlich stolz auf meine menschliche Entwicklung. Durch Berlin. Durch all das, was passiert ist. Ich bin stolz, dass ich einen weiten Weg zurückgelegt und meinen Charakter weiterentwickelt habe. Dass ich ein erwachsener Mann geworden bin, für meine Werte einstehe oder mir zumindest Gedanken mache, welche Werte mir wichtig sind.
Das ist ja nicht das Schlechteste.
Finde ich auch. Ich habe mit Basel drei Mal Champions League gespielt, wurde sieben Mal Schweizer Meister. Ich habe gegen Barcelona gespielt, gegen Tottenham, war mit dem FCB im Halbfinale der Europa League, habe Tore geschossen gegen ich weiß nicht wen. Ich kann natürlich nicht sagen: Fußballerisch habe ich bei Hertha ähnliche Sachen erlebt. Trotzdem hat es auch in der Bundesliga sehr, sehr schöne Momente gegeben. Ich wusste, dass ich nicht mehr nur vier, fünf Spiele in einer Saison verlieren werde, sondern dass ich vielleicht genauso viele verliere, wie ich gewinne. Aber das war für mich ein Anreiz. Ich habe bisher jedes Jahr probiert, mich durchzukämpfen, mich zu zeigen und meinen Transfer und meine Einsätze mit Leistung zu rechtfertigen. Ich finde, dass ich das vor allem in der letzten Saison gut hingekriegt habe.
Schrecken Sie deshalb davor zurück, jetzt schon in die Schweiz zurückzukehren?
Es ist doch eine grundsätzliche Frage: Wer entscheidet eigentlich, wie lange man Fußball spielt? Ist es immer eine Verletzung, die dich zwingt aufzuhören? Ist es ein Verein, der dir keinen Vertrag mehr gibt? Ich möchte selbst entscheiden, wann ich aufhöre. Und es ist auch meine Entscheidung, ob und wann ich vielleicht zum FC Basel zurückkehre. Weil ich weiß, dass das etwas Endgültiges hätte. Ich würde nicht zurückgehen, um dann von Basel noch einmal woanders hinzugehen.
Würden Sie eine Rückkehr zu Ihrem alten Verein als Rückschritt bewerten?
Ganz und gar nicht. Ich weiß nicht, ob Sie das ein bisschen mitbekommen haben. Als ich aus Basel weggegangen bin, haben die Fans gesungen, dass ich gehen könne, aber auch wieder zurückkommen müsse (lacht). Es ist halt eine spezielle Situation. Die mögen mich echt gerne da. Für mich ist es auch ein Anliegen, dort meine Karriere zu beenden. Die Frage ist: Ist jetzt der richtige Moment? Und man muss leider auch sagen: In diesem Geschäft geht es mittlerweile gar nicht mehr darum, ob ich selber die Entscheidung treffe.
Das müssen Sie uns erläutern.
Angenommen, ich sage: Jetzt ist der richtige Moment. Was passiert denn, wenn Hertha sagt: Nein, wir brauchen dich. Oder sie sagen: Ja, du kannst gehen, aber wir wollen 15 Millionen. Ich will damit sagen: Natürlich kann ich für mich eine Entscheidung treffen, aber ob es dann wirklich so kommt, weiß man nicht.
Haben Sie denn das Gefühl, dass Ihre Reise in Berlin noch nicht zu Ende ist?
Dieses Gefühl hatte ich voriges Jahr ganz stark. Ich kam aus dem Urlaub und habe gesagt: Es ist noch nicht vorbei. Momentan ist es nicht an mir, Schritte zu unternehmen. Ich gehe davon aus, dass ich meinen Vertrag hier erfülle. Ich habe für vier Jahre unterschrieben. Wieso soll ich mich daran nicht halten? Es sei denn, es gibt ein Gespräch, in dem mir die Verantwortlichen mitteilen, dass man keine Zukunft für mich sieht. Aber selbst dann ist es nicht meine Aufgabe, sondern die meines Beraters, zu welchen Bedingungen man meinen Vertrag auflöst.
Ihr früherer Mitspieler Marco Streller ist jetzt Sportchef beim FC Basel. Er ist auch Ihr Freund. Haben Sie ihm mal gesagt: Marco, lass mich einfach in Ruhe, damit ich eine Entscheidung treffen kann.
Das habe ich ihm natürlich nicht gesagt. Marco Streller und ich hatten und haben eine unglaublich enge Beziehung. So etwas findet man kein zweites Mal. Deswegen ist es ja auch wichtig, dass wir miteinander in Kontakt stehen. Alles andere wäre gelogen. Aber es ist tatsächlich so, dass ich ihm vor dem Urlaub gesagt habe, dass ich diese fünf Wochen genießen und keine Entscheidung fällen möchte.
Haben Sie sich daran gehalten?
Ja, ich habe fünf Wochen lang das Handy beiseitegelegt. Das war großartig. Heute geht alles so schnell. Alles wird so extrem hochgepusht. Auch bei mir. Die Geschichte mit Basel. Ich mag das nicht. Das macht nur alle Leute verrückt. In der Schweiz denken sie: Ja, jetzt ist es so weit. Und die Fans hier glauben: Mist, jetzt muss er doch gehen. Deshalb: Was soll ich dagegen ankämpfen? Früher habe ich mir darüber einen Kopf gemacht, habe gedacht: Ich muss doch was dazu sagen, was klarstellen. Heute mache ich einfach fünf Wochen das Handy aus.
Haben Sie trotzdem etwas Tolles im Urlaub erlebt?
Mir ist in Italien ein Hund zugelaufen. Eines Tages war dieser kleine Knopf da. Von da an war es vorbei mit dem Urlaub (lacht). Ich hatte also gar keine Zeit, mich um etwas anderes zu kümmern.