Simon Rolfes im Interview: „Ich bin gespannt, ob es überhaupt noch einen Domino-Effekt gibt“
Folgen auf einen großen Transfer viele weitere? Simon Rolfes, Sportdirektor von Bayer 04 Leverkusen, zeigt sich skeptisch. Ein Interview.
Herr Rolfes, in der ersten DFB-Pokal-Runde haben Sie gegen Ihren ehemaligen Verein Alemannia Aachen gewonnen. Von dort sind Sie 2005 dank einer Ausstiegsklausel für nur 750.000 Euro zu Bayer Leverkusen gewechselt. Was wäre Simon Rolfes heute wert?
Wahrscheinlich ein Vielfaches – ohne, arrogant klingen zu wollen. Die Summen haben sich ja vervielfacht. Ich war ein junger Spieler aus der Zweiten Liga, hatte internationale Erfahrung bei der Alemannia, dann ein Wechsel zum Topklub: Das würde heute deutlich mehr sein.
Wie viel genau?
Wahrscheinlich schon im Millionenbereich.
Wie lief der Wechsel damals ab?
Das war relativ einfach. Ich wollte im Rheinland bleiben und Leverkusen war und ist immer noch ein fantastischer Verein. Also haben ich und mein Berater etwas darauf spekuliert, dass Leverkusen noch was auf der Position machen will. Und dann haben sie angerufen, es gab am Dienstag ein gutes Gespräch mit Rudi Völler (damals Sportdirektor von Bayer Leverkusen, Anm. d. Red.), am Donnerstag ein Gespräch mit dem Trainer und am Samstag habe ich unterschrieben.
Zehn Jahre haben Sie bei Leverkusen gespielt, seit vergangenem Dezember sind Sie Sportdirektor. Wie oft wurden Sie heute schon angerufen?
Ich weiß, worauf Sie abzielen: dass Berater anrufen. Wir sind aber schon sehr weit mit unseren Kaderplanungen, daher war es heute Morgen relativ ruhig.
Und an anderen Tagen – ist da manchmal schon beim Frühstück Alarm?
Das gibt es auch. Aber wir sind sehr klar in unseren Vorstellungen, was wir brauchen. Das läuft sehr zielgerichtet und weniger auf Anrufe von Beratern hinaus.
Wie werden Sie von Beratern oder anderen Vereinen kontaktiert?
Da gibt es alle möglichen Wege. Von Vereinen direkt, wenn Rudi Völler oder ich die handelnden Personen kennen. Manchmal auch über Vermittler und Berater, die Kontakte beim Verein haben. Das kommt per E-Mail, WhatsApp oder durch Anrufe. Idealszenario ist aber, dass wir nicht kontaktiert werden, sondern selbst in Kontakt treten.
Hat sich mal ein Spieler direkt bei Ihnen gemeldet?
Nein, das gibt es nicht mehr.
Wie hat sich der Transfermarkt in den vergangenen Jahren verändert?
Es ist globaler geworden. Es ist einfacher als früher, einen guten Überblick über andere Märkte zu bekommen. Dadurch ist auch der Konkurrenzkampf um Talente internationaler geworden.
Friedhelm Funkel hat vor Kurzem in der „Bild“-Zeitung den wachsenden Einfluss der Spielerberater auf Transfers und Profis scharf kritisiert und gesagt, dadurch sei der Transfermarkt komplizierter geworden.
Das kann ich nicht bestätigen. Wir hatten dieses Jahr auch den einen oder anderen Transfer, der sehr schnell über die Bühne gegangen ist, ein anderer hat sich vielleicht ein bisschen gezogen. Es kommt immer auf die drei Seiten an: abgebender Verein, aufnehmender Verein und Spieler. Haben diese Parteien klare Vorstellungen, ist es meist nicht kompliziert.
Welche Rolle spielen dabei die Spielerberater?
Es gibt Berater, die sind sehr professionell, aber da gibt es auch andere - wie in anderen Berufen auch. Es kommt immer drauf an, wie gut der Verein aufgestellt ist. Seriöse Berater schätzen ja, wenn bei einem Verein professionell gearbeitet wird, weil sich der Spieler gut entwickelt und sie dann auch davon profitieren.
Aktuell vergeht ja kaum ein Tag ohne die Verkündigung eines Transfers. Wie verfolgen Sie die Aktivitäten der Konkurrenz?
Durch die Medien. Natürlich gibt es auch viele Gerüchte, aber die interessieren mich weniger.
Nervt Sie das?
Ja, weil es dann immer wieder Nachfragen der Medien gibt. Nach dem Motto: Es ist irgendwo geschrieben worden: „Ihr seid interessiert an dem Spieler.“ Deswegen will ich grundsätzlich zu Gerüchten nichts sagen, weil es müßig ist, irgendjemanden aus irgendeinem Land, der mit Leverkusen in Verbindung gebracht wird, kommentieren zu müssen. Die Spieler, an denen wir interessiert sind und wo es klappt, präsentieren wir ja zwangsläufig.
Ist schon mal ein Gerücht zu einem Spieler aufgetaucht, den Sie gar nicht kannten?
Das kommt vor. Es gibt häufiger Spieler, die mit uns in Verbindung gebracht werden, obwohl wir uns mit denen nicht im Ansatz beschäftigt haben.
"Wir haben alles versucht, Julian zu halten"
Nicht nur die Journalisten bringen immer neue Gerüchte auf, sondern auch die Fans. In Online-Foren diskutieren sie über ihre Traum-Transfers.
Dass Fans diskutieren, ist ja normal. Das ist ja auch das Schöne am Fußball. Allerdings gehört viel Hintergrundwissen dazu. Die Tiefe der Beurteilung können die Fans aus nachvollziehbaren Gründen gar nicht leisten, es bleibt also bei einer Betrachtung von außen.
Im Fokus der Fans steht derzeit vor allem Bayern München mit all den Spekulationen um Leroy Sané, dessen Verletzung und andere Transferalternativen wie nun Ivan Perisic oder Philippe Coutinho. Beobachten Sie das Hin und Her?
Da verfolge ich, was in der Zeitung steht. Es zeigt in meinen Augen vor allem eins: Dass die Preise für hochtalentierte Spieler immer weiter steigen – auch in Deutschland. Ansonsten bin ich da ganz entspannt, das ist auch nicht unser Transfer.
Häufig wurde in diesem Sommer, auch von den Bayern, vom Domino-Effekt gesprochen. Wenn ein Spieler wechselt, würden sich daraus viele weitere Wechsel ergeben.
Klassisch ist das bei Torhütern. Wenn ein Torhüter wechselt, wird Ersatz gesucht und dann kann es diesen Domino-Effekt geben – oder bei großen Transfers, wo viel Geld in den Kreislauf gerät. So war es damals beim Neymar-Transfer von Barcelona zu PSG. Da gab es den Effekt: Barcelona hat dann Dembele geholt usw.
Sehen Sie Bayer Leverkusen aktuell in dieser Domino-Reihe?
Nein, dafür sind wir zu weit mit unseren Planungen. Die Transferphase geht noch drei Wochen. Ich bin gespannt, ob es da überhaupt noch einen Effekt geben wird.
Sie haben bislang Kerem Demirbay und Nadiem Amiri, Moussa Diaby aus Paris und Daley Sinkgraven aus Amsterdam verpflichtet.
Alle haben viel Potenzial, spielerische Qualität und passen zu unserer Philosophie. Demirbay ist ein sehr interessanter Transfer, weil er mehrere Positionen im zentralen Mittelfeld spielen kann. Er ist auch in einem guten Fußballeralter. Sinkgraven ist ein talentierter Spieler, mit dem wir die Konstellation schaffen, die Linksverteidigerposition doppelt zu besetzen. Diaby ist ein ganz junger und schneller Außenbahnspieler, den wir entwickeln wollen. Und Amiri hat auch sehr viel Potenzial. Er passt sehr gut zu uns.
Amiri ist ja ein begehrter U-21-Nationalspieler. Für nur 9 Millionen ist er von der TSG Hoffenheim gewechselt. Wie ist das gelungen?
Zwei Sachen haben uns sehr geholfen: Die Vertragskonstellation, er hatte nur noch ein Jahr Vertrag, und dass der Spieler unbedingt zu uns wollte.
Auf der Gegenseite konnten Sie den Abgang von Julian Brandt zu Borussia Dortmund nicht verhindern.
Ich habe mit Julian noch zusammengespielt und hätte es sehr gerne gesehen, wenn er geblieben wäre. Der Transfer ist vernünftig abgelaufen, er hatte die Ausstiegsklausel und dann ist das so – auch wenn wir alles versucht haben, um ihn zu halten. Aber so funktioniert der Profifußball. Und wir verpflichten ja auch Spieler von anderen Vereinen, die darüber nicht so ganz glücklich sind.
Leverkusen hat letzte Saison auf dem vierten Rang beendet. Was ist das Ziel für die kommende Spielzeit?
Das Ziel ist Champions League.
Denken Sie daran, aus dem Zwei- oder Dreikampf an der Spitze einen Vierkampf um die Meisterschaft zu machen?
Wir wollen gut in die Saison starten und uns oben festsetzen. Es ist wie bei der Tour de France, da sollte man von Etappe zu Etappe denken. Wohlwissend, dass es auch mal schwerere Phasen in der Saison gibt.