Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: Hertha BSC spielt erfolgreich - und keiner kriegt's mit?
Wo bleibt die Euphorie in Berlin? Außerdem: Der VfB Stuttgart und die falschen Visionen, Andreas Rettig als Schweinchen Schlau, und die TSG Hoffenheim am Ende.
Wo, bitte bleibt die Euphorie? Von Euphorie keine Spur. Fabian Lustenberger, der Kapitän von Hertha BSC, schafft es spielend, zwischen seinen verschiedenen Rollen hin- und herzuwechseln. Heute Innenverteidiger, morgen defensiver Mittelfeldspieler - kein Problem für den Schweizer. Seine Lieblingsrolle, so ist mein Eindruck, ist inzwischen aber die des Medienkritikers. Nach jedem Sieg der Berliner lässt er einen ätzenden Kommentar los, dass jetzt von den bekannt bösen Berliner Medien wieder irgendwelche übertriebenen Erwartungen aufgebaut werden, nur um nach der nächsten Niederlage wieder auf die armen Fußballer einzudreschen. „Es geht nur um die Champions League, um nichts anderes“, hat Lustenberger also nach dem 1:0-Sieg am Sonntag gegen die TSG Hoffenheim geätzt, mit dem Hertha den vierten Tabellenplatz behauptet hat.
Das war natürlich nicht ernst gemeint, auch wenn die Tabelle gut aussieht, für den Moment zumindest. Und natürlich ahnen und wissen sie bei Hertha, dass sie eigentlich noch nicht in solche Regionen gehören. Offensichtlich geht es dem gemeinen Berliner nicht anders. Denn die große Hertha-Euphorie will sich in der Stadt noch nicht einstellen, obwohl sich inzwischen eigentlich herumgesprochen haben sollte, dass Hertha derzeit nicht nur erfolgreich, sondern auch immer häufiger durchaus ansehnlich spielt (gut, die Begegnung gegen Hoffenheim jetzt explizit mal ausgenommen).
Der „Berliner Kurier“ hat den Klub schon auf dem Weg zu einem neuen Zuschauerrekord gesehen, verbunden mit einer schönen Zusatzeinnahme in Millionenhöhe. Und auch Hertha selbst hat auf der eigenen Internetseite verkündet: „Herthas guter Saisonverlauf schlägt sich auch in den Zuschauerzahlen nieder.“ Bisher aber gibt es noch keinen signifikanten Zuschauerzuwachs bei Herthas Heimspielen. Am Wochenende sind die Berliner in der Zuschauertabelle sogar von Platz fünf auf Platz sieben abgerutscht - hinter den VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach.
Die angebebliche Euphorie rund um Hertha kann man sogar exakt beziffern. Sie liegt bei 1685. Vor dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach Anfang des Monats war von großer Hertha-Euphorie die Rede gewesen, der Klub selbst hatte verkündest, dass mehr 60.000 Zuschauer ins Olympiastadion kommen würden. Am Ende waren es exakt 58.566 - und damit 1685 mehr als gegen denselben Gegner in der vergangenen Saison, als es noch das Spiel des Dreizehnten gegen den Dritten war und nicht das Duell des Fünften gegen den Siebten. Beweisen kann ich es nicht, aber dem Augenschein nach war der leichte Zuwachs sogar eher auf Anhänger der Gladbacher zurückzuführen.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Zuschauerzahlen der Heimspiele der vergangenen Saison mit denen der aktuellen zu vergleichen (Quelle: kicker.de) und die Differenz (mittels Kopfrechnen) zu ermitteln. Hier das Ergebnis:
Werder Bremen: minus 3296
VfB Stuttgart: minus 318
1. FC Köln: minus 11.022
Hamburger SV: plus 6659
Mönchengladbach: plus 1685
Hoffenheim: minus 2559
Solche Vergleiche hinken in manchen Fällen, ganz konkret im Falle des Köln-Spiels. In der vorigen Saison hat Hertha an einem Samstagnachmittag gegen den FC gespielt, in dieser Saison an einem Dienstagabend, was natürlich deutliche Einbußen zur Folge hat.
Gegen Hoffenheim war nur jeder zweite Platz besetzt
Das Gegenbeispiel ist Hoffenheim. In beiden Jahren fand das Spiel am Sonntag um 15.30 Uhr statt, in beiden Jahren in der eher ungemütlichen Zeit; in der vorigen Saison sogar am vierten Advent. Und damals war Hertha nur Dreizehnter. Mag sein, dass die besonderen Umstände nach dem Terror in Paris und der Absage des Länderspiels in Hannover viele von einem Stadionbesuch abgehalten hat. Dieser Effekt wäre dann allerdings nur in Berlin zu beobachten gewesen. In keinem der anderen acht Bundesligastadion lag die Auslastung am Wochenende unter 90 Prozent. Im Olympiastadion war gerade mal jeder zweite Platz besetzt (37.045 von 74.475).
Mit aktuell 50.598 Zuschauer liegt Hertha immer noch über dem großzügig kalkulierten Schnitt von 49.300 Zuschauern. Und die Selbstläufer Bayern und Dortmund kommen erst noch in der Rückrunde. Richtig. Aber es kommen auch noch Mainz (an einem Sonntag im Dezember), Augsburg, Ingolstadt und Wolfsburg. Zudem ist der offizielle Schnitt bei Hertha in den vergangenen Jahren nach der Saison immer noch bereingt, sprich nach unten korrigiert worden. In der Vorsaison lag er - nach Abzug der Frei- und Ehrenkarten - nur noch bei 47.324 Zuschauer (anstelle der zuvor vermelden 50.185). Statt Platz sechs in der Zuschauertabelle reichte das nur zu Platz neun.
Völler attackiert Rettig. Aus gegebenem Anlass noch einmal zurück zu den Revolutionären vom FC St. Pauli. Die Werksklubs haben sich inzwischen zu Wort gemeldet - und lehnen die Pläne aus Hamburg überraschenderweise ab. „Für die gesamte Bundesliga wäre dies eine schädliche Entwicklung, die die Grundwerte des Erfolgs des deutschen Profifußballs in Gefahr bringen würde“, sagt Klaus Allofs, der Manager des VfL Wolfsburg. Rudi Völler, der Sportdirektor von Bayer Leverkusen, bezeichnet den Vorschlag des FC St. Pauli als populistisch. Und mit Blick auf Andreas Rettig, den Geschäftsleiter des Hamburger Zweitligisten. „Das ist ein typischer Rettig: Er macht ein bisschen auf Schweinchen schlau.“ Na gut, dass er nicht auch noch Maltafüße hat.
Interessant ist die Personalie Rettig in diesem Zusammenhang übrigens allemal. Der mäßig erfolgreiche Oberliga-Kicker (vermutlich nicht mal Maltafüße, sondern höchstens Gibraltarfüße) hat bei der Bayer AG nicht nur eine Ausbildung zum Industriekaufmann gemacht, er hat bei Bayer 04 auch die ersten Schritte seiner Funktionärskarriere zurückgelegt. Hinzu kommt seine Zeit als Geschäftsführer bei der Deutschen Fußball-Liga.
Martin Kind, der ab 2017 als Eigentümer von Hannover 96 ebenfalls von St. Paulis Plänen betroffen wäre, hat den Antrag in der „Bild“-Zeitung als „substanzlos und unüberlegt“ bezeichnet. Darüber kann man streiten. Für mich stecken darin schon ein paar Überlegungen. Zum Beispiel die Überlegung, wie man im deutschen Fußball die Wettbewerbsfähigkeit weiter gewährleisten will (okay, zumindest jenseits der Bayern). Oder auch die Überlegung, wie man die Vereine belohnt, die sich an die 50+1-Regelung halten, die im deutschen Fußball immer noch wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird, obwohl sie durch Konstrukte wie Bayer Leverkusen, den VfL Wolfsburg, die TSG Hoffenheim und demnächst Hannover 96 längst ad absurdum geführt worden ist. Rasenballsport Leipzig ist noch ein besonderer und Sonderfall, weil der Verein nur dem Geist der 50+1-Regel widerspricht, nicht aber dem Gesetz (und daher von den Ideen des FC St. Pauli auch nicht betroffen wäre).
Substanzlos sind die Ideen der Hamburger übrigens auch nicht. So wie die DFL (als Versammlung der 36 Erst- und Zweitligisten) Ausnahmen wie Wolfsburg und Hannover genehmigt hat, so kann sie auch auf demokratischem Wege über eine andere Verteilung des Fernsehgeldes entscheiden. Zumindest theoretisch.
Spitzenspiel mit Hertha BSC. Der Börsenverein Borussia Dortmund hält heute seine turnusmäßige Aktionärsversammlung ab. Das ist immer eine gute Gelegenheit, sich selbst ein bisschen zu feiern. Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer des BVB, hat zum Beispiel in seinem Rechenschaftsbericht auf die erfolgreiche Saison 2013/14 verwiesen, in der die Dortmunder sich souverän die Vizemeisterschaft gesichert haben. Das, so Watzke, sei „das Höchste, was du derzeit im deutschen Fußball erreichen kannst“. Es könnte also wieder eine erfolgreiche Saison für den BVB werden, der trotz der Niederlage in Hamburg immer noch fünf Punkte Vorsprung auf den Tabellendritten Wolfsburg hat.
Nach oben schauen lohnt sich schon lange nicht mehr. Also: Keine Ahnung, wie viele Rekorde die Bayern an diesem Wochenende wieder egalisiert oder übertroffen haben; dass sie von den ersten dreizehn Saisonspielen zwölf gewonnen haben, hat es (Quelle: Sportschau) natürlich noch nie gegeben. Auch die Schalker mühten sich am Samstag vergebens, die Bayern zu schlagen, und haben damit die Bühne bereitet für - Hertha BSC.
Die Berliner haben das Vergnügen, am Samstag in München anzutreten. Sie sind aktuell Vierter. Zumindest dem Papier nach handelt es sich also um ein Spitzenspiel. „Das wird ein heißes Spiel“, hat Herthas Linksverteidiger Marvin Plattenhardt am Sonntag nach dem 1:0-Erfolg gegen die TSG Hoffenheim gesagt. „Wir werden uns da nicht verstecken, aber wir sind bodenständig.“
Herthas Fans in der Ostkurve haben die Mannschaft am Sonntag mit einem klaren Auftrag in die neue Woche verabschiedet. „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“, hallte es in erstaunlicher Lautstärke durch das nicht mal mehr halbleere Rund. „Wir fahren auf jeden Fall mit einem guten Gefühl hin“, hat Innenverteidiger Sebastian Langkamp gesagt. „Fakt ist, dass wir in einer komfortablen Situation sind, aber wir fahren sicherlich nicht als Favorit zu den Bayern.“ Trotzdem: Die Berliner haben sich in den vergangenen Jahren immer ganz gut in München verkauft. In der vergangenen Saison gelang den Bayern nur ein bescheidener 1:0-Sieg durch ein spätes Tor von Bastian Schweinsteiger, das ein gewisser Mitchell Weiser auf recht ansehnliche Weise vorbereitet hatte. In der Spielzeit zuvor war es ähnlich knapp. Nach dem 3:2-Sieg gegen den damaligen Aufsteiger aus Berlin lobte Bayerns Trainer Pep Guardiola Hertha sogar als den bisher stärksten Gegner, gegen den man bisher gespielt habe.
Herthas letzter Sieg in München? Vor 38 Jahren!
Natürlich hat bei Hertha niemand drei Punkte gegen die Bayern eingeplant. „Es wird das schwerste Spiel der Saison“, sagt Kapitän Fabian Lustenberger. Nur zur Erinnerung: Der letzte Sieg in München datiert vom 29. Oktober 1977 - hat man in den vergangenen Jahrzehnten schon häufiger mal gelesen und wird einem in dieser Woche vermutlich noch das eine oder andere Mal unterkommen. Es geht auch nicht darum, dass die Mannschaft ausgerechnet gegen die Überflieger aus München jetzt aber mal beweisen muss, dass sie auch die Großen schlagen kann. Es geht um Haltung. Trainer Pal Dardai hat das am Sonntag so ausgedrückt: „Wir sind momentan stolze Herthaner, und wir wollen auch als stolze Herthaner nach Hause kommen.“
Habe zum Auftritt der Hertha bei den Bayern noch einen interessanten Wortbeitrag eines Hertha-Fans gefunden. Der User und Allesfahrer Opa, über den wir auch im Tagesspiegel schon berichtet haben, schreibt bei „Immerhertha.de“ über das Spiel in München: „Ich fahre zwar hin, gehe aber sicher nicht ins Stadion. Ich freue mich, die Kumpels der dortigen Exilherthaner ,Alte Dame München’ wiederzusehen, Ete Beer hat sich auch zum Weißwurstfrühstück angekündigt, aber das Spiel werde ich in einer Münchner Kneipe vorm Fernseher ,ertragen’. In das Schlauchboot vor den Toren der Stadt kann man nicht gehen. Ein einziger S-Bahn-Steig, danach gefühlte 20 Minuten Fußweg, massive Gängelei der Gästefans incl. Abschieben in den dritten Rang, Grabesstimmung, sächsisch ,dialektierende’ Seppls, ein Operettenstadl und grauenhaftes Symbol von allem, was die ,Progressiven’ toll finden und ,Traditionalisten’ hassen.“
VfB Stuttgart: Das Ende der Visionen? Als Unbeteiligter stellt man sich den Beruf das Fußballprofi ja immer als einen besonders erstrebenswerten vor. Viel Geld, wenig Arbeit, viel Freizeit. Aber auch dieser Job hat offensichtlich seine Schattenseiten, wie die Fußballer des VfB Stuttgart am Wochenende erfahren mussten. Erst wurden sie von ihren Anhängern auf das Übelste verhöhnt: Die Fans feierten das 0:4 gegen den vormaligen Tabellenletzten aus Augsburg mit einer La Ola; dann mussten sie, offenbar auf Geheiß der Vereinsführung, nach dem Schlusspfiff noch einmal vor ihre Peiniger in der Kurve treten, um sich ... ja, was eigentlich: für die vorbildliche Unterstützung zu bedanken?
„Mehr als eine Niederlage“, titelt der „Kicker“ in seiner heutigen Niederlage nach dem 0:4 gegen die Augsburger. Gegen einen Tabellenletzten mit vier Toren Differenz zu verlieren - das muss man erst einmal hinbekommen. Einen „Blackout auf Schwäbisch“ hat die „FAZ“ am Samstag gesehen: „Es braut sich was zusammen bei den Stuttgartern.“ Mit Spielen wie dem gegen Augsburg werden die Stuttgarter nur schwer den Stimmungsumschwung hinbekommen, die Diskussionen um Trainer Alexander Zorniger werden anhalten.
Zorniger hatte sich unter der Woche in Interviews mit der Fußballfachpresse noch gewohnt selbstbewusst und kraftmeierisch positioniert, nach dem Debakel am Samstag klang er erstmals kleinlaut und nachdenklich. „Ich muss mir überlegen, was ich im Vorfeld übersehen habe“, sagte er. „Irgendwas kann nicht gepasst haben.“
Ich gestehe: Nach dem Endspurt der Stuttgarter zum Klassenerhalt in der vergangenen Saison hätte ich eine derartige Entwicklung nicht erwartet. Die Idee des VfB, ausnahmsweise mal eine Idee zu verfolgen, habe ich nicht für die schlechteste Idee gehalten. Dazu gehörte auch, einen Trainer zu verpflichten, der für eine klare Philosophie steht. Man kann nur spekulieren, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn die Stuttgarter ihre große Überlegenheit in den beiden ersten Saisonspielen in zwei Siege umgemünzt, sie ihren Lauf aus der Vorsaison quasi in die neue Spielzeit hinübergerettet hätten.
Jetzt geht es beim VfB wie schon in den vergangenen beiden Jahren nicht mehr um schöne Visionen, sondern nur noch ums sportliche Überleben. Oder wie es die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Es scheint, als habe diese Elf ihre Zukunft verspielt, ohne je eine Gegenwart gehabt zu haben.“ Und Huub Stevens ist auch nicht mehr auf dem Markt.
St. Pauli plant die Revolution. Ist ein Vorschlag nicht ernst zu nehmen, nur weil er vom FC St. Pauli kommt? Ohne Redaktionsinterna zu verraten: Ein Kollege hat gleich angefangen, gegen den Kiezklub zu wettern, von wegen: Heuchler! Seine Abneigung sitzt offenbar tief (obwohl er kein Anhänger vom Hamburger SV ist), sie speist sich aus einem Besuch am Millerntor, der allerdings mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt. Damals wurde der dunkelhäutige Nürnberger Spieler Souleymane Sane mit Affenlauten beleidigt. So viel, sagt der Kollege, zum Thema moralische Überlegenheit. (Allerdings erzählt er gerade, dass der FC St. Pauli kurz darauf Handzettel verteilt habe, mit denen dazu aufgerufen, fortan doch bitte auf derartiges Verhalten zu verzichten. Vermutlich war er dem Rest des Landes, in dem dunkelhäutige Spieler von der großen Mehrheit in den Stadien bis Mitte der Neunziger beleidigt und diffamiert wurden, damit einige Jahre voraus.)
Die von St. Paulis Vorschlag betroffenen Vereine Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim und (ab 2017) Hannover sehen in dem Antrag „die Aufkündigung der Solidargemeinschaft“. Er solle daher „als unzulässig, hilfsweise als unbegründet“ eingeordnet werden.
Laut „Kicker“ bezieht sich der Antrag der St. Paulianer nicht nur auf das Fernsehgeld, sondern auch auf die Marketingerlöse der Liga etwa durch den zentralvermarkteten Einheitsball. Damit geht der Vorschlag über eine Idee hinaus, die Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, schon vor einigen Jahren geäußert hat. Zustimmung gab es damals auch von Borussia Mönchengladbach, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt, dem HSV und dem 1. FC Kaiserslautern. Dass Traditionsvereine bei der Verteilung des Fernsehgelds besser gestellt werden, ist also keine Erfindung des Hamburger Zweitligisten.
Man kann über die Idee durchaus konstruktiv diskutieren. Sie hat nämlich zumindest eine leistungsorientierte Komponente. Wer Zuschauer vor den Fernseher lockt, soll stärker vom Fernsehgeld partizipieren als der, der das nicht schafft. Das Medienportal „Meedia.de“ ermittelt Woche für Woche nach einer komplizierten Methode die Quoten der Sky-Spiele. Hier die Plätze 12 bis 18 (in der aktuellsten Auswertung, die ich gefunden habe): Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim, Hannover, Darmstadt, Ingolstadt, Augsburg.
TSG Hoffenheim: Gefangen in der Komfortzone
Mehr wert? Ein Nachtrag noch zur TSG Hoffenheim und meiner weiter unten geäußerten These, dass man mit dieser Mannschaft nicht zwingend gegen den Abstieg spielen muss. Auf der Internetseite Transfermarkt.de gibt es eine Tabelle "Marktwert vs. Liga-Rang". Ich gehe mit den Einschätzungen der Seite in der Regel sehr vorsichtig um, man sollte sie nicht für wissenschaftlich über jeden Zweifel erhaben halten, wie man es offensichtlich bei der "Bild"-Zeitung tut (man gehört ja auch zum selben Verlag, aber das nur am Rande). Da die Einschätzungen in diesem Fall meine Meinung stützen, greife ich ausnahmsweise mal darauf zurück. Laut Transfermarkt beträgt der Marktwert des Hoffenheimer Kaders 95 Millionen Euro und ist damit der siebtwertvollste der Bundesliga. Bei keinem Klub ist die Diskrepanz zwischen Wert und Tabellenplatz so groß wie bei der TSG.
Werksklubs raus? Vom FC St. Pauli, einem Klub, der wie kein zweiter mit seinem Image als der etwas andere Verein spielt, kommt aktuell der Vorschlag, dass Werksklubs von der Verteilung der Einnahmen aus der Fernseh- und Gruppenvermarktung ausgeschlossen werden sollen. Das betrifft neben Rasenballsport Leipzig, dem VfL Wolfsburg und Bayer Leverkusen natürlich auch die TSG Hoffenheim. Wer gestern in Berlin einen Blick aufs westliche Ende des Olympiastadions geworfen hat, kann erahnen, wie eine solche Idee entsteht. Für den kompletten Anhang aus Sinsheim hätte vermutlich auch eine halbgroße Loge im Umlauf des Olympiastadions gereicht. Okay, war ein Sonntagsspiel, die Anreise aus dem Kraichgau ist lang ...
Es könnte aber auch daran liegen, dass man Leidenschaft weder verordnen noch züchten kann. Zsolt Petry, Torwarttrainer bei Hertha BSC, der zuvor in Hoffenheimt gearbeitet hat, hat in der „Berliner Morgenpost“ am Wochenende ein paar interessante Dinge über die TSG gesagt: „In Hoffenheim sind die Voraussetzungen Weltklasse, sie haben europaweit eines der schönsten Gelände. Sie haben alles, was du für professionelle Arbeit brauchst. Aber die Stimmung dort ist etwas steril. (...) In Hoffenheim ist alles etwas verkapselt. Es ist anders. Sie haben keine gewachsene Vereinskultur.“
Ich glaube, dass die aktuelle sportliche Diskussion sehr wohl etwas mit der Vereinsstruktur und Vereinsgeschichte der Hoffenheimer zu tun hat. Der Begriff Komfortzone ist, wenn ich mich recht erinnere, erstmals im Zusammenhang mit Bayer Leverkusen verwendet worden. Die Probleme kennen sie auch beim VfL Wolfsburg, wie die Klage von Dieter Hecking über den Hang zur Bequemlichkeit in der vergangenen Woche gezeigt hat. Und sie liegen auch dem Absturz der Hoffenheimer zugrunde. Die Abstiegsgefahr, die an traditionellen Bundesligastandorten höchste Alarmstimmung auslösen würde, wird in Hoffenheim offenbar noch nicht als nicht existenzbedrohend empfunden.
An dieser Haltung ist auch Marcus Gisdol, der Vorgänger von Huub Stevens, schon verzweifelt. Gisdol soll vor dem Spiel gegen Augsburg sogar einen Medizinkoffer durch die Kabine gefeuert haben, weil ihn die Lethargie seiner Spieler unmittelbar vor dem Anpfiff zur Weißglut getrieben hat. Das Spiel gegen Augsburg war das einzige, das die Hoffenheimer in dieser Saison gewonnen haben.
Der Knurrer knurrt wieder. Liebe Freunde der Fußball-Bundesliga. Schon mal den Namen Julian Nagelsmann gehört? Doofe Frage, ich weiß. Natürlich, Nagelsmann, Julian, jüngster Trainer der Bundesligageschichte. Zumindest ist er uns vor ein paar Wochen als solcher vorgestellt worden. Wenn Nagelsmann im Juni 2016 seinen Job als Trainer bei der TSG Hoffenheim übernehmen wird, steht er kurz vor seinem 29. Geburtstag. Die Sache mit dem jüngsten Bundesligatrainer hat nur einen kleinen Haken. Stand heute ist es zumindest fraglich, ob die TSG Hoffenheim im Juni 2016 überhaupt noch Bundesligist ist.
Der allseits beliebte Traditionsverein aus dem Kraichgau ist am Samstag auf den letzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga abgerutscht und hat sich diese Platzierung am Sonntag durch die 0:1-Niederlage bei Hertha BSC nachträglich noch einmal redlich verdient. Seit vier Spielen ist die Mannschaft nun schon ohne Sieg, seit vier Spielen ohne Tor, überhaupt stellt sie hinter Aufsteiger Ingolstadt (zehn Tore) mit zwölf Treffern die schlechteste Offensive der Liga. Wer die Hoffenheimer am Sonntag im Olympiastadion gesehen hat, den wundert das nicht.
Huub Stevens, unter dem die Mannschaft in drei Spielen zwei Punkte bei einer Tordifferenz von 0:1 geholt hat, saß mit verkniffenem Blick auf der Trainerbank und verfolgte sichtlich angefressen die untauglichen Offensivbemühungen der eigenen Mannschaft. Hinterher machte der Holländer seinem Beinamen (Der Knurrer von Kerkrade) mal wieder alle Ehre, als er seine Spieler an ein paar elementare Dinge im Fußball erinnerte: dass ein Spiel nämlich 90 Minuten dauere und nicht erst nach 45 Minuten anfange, so wie es die Hoffenheimer offensichtlich gedacht hatten.
Beim Blick auf die Aufstellung der TSG würde man nicht zwingend auf die Idee kommen, dass man mit einer solcher Mannschaft gegen den Abstieg spielt. Doch genau das tut sie. Die Sache wird im Moment nicht leichter dadurch, dass Stevens gezwungen ist, der Mannschaft im laufenden Betrieb ein neues Spielsystem einzubläuen: weg vom Jagdfußball, der angeblich in der DNS des Klubs eingeschrieben ist, hin zu mehr Defensive, für die Stevens steht. Und das mit einem Kader, der es sich in der Komfortzone Hoffenheim längst bequem gemacht hat, wie die erste Halbzeit in Berlin noch einmal eindrucksvoll bewiesen hat.