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Die Befreiung. Auch von Trainer Pal Dardai (links) ist nach dem Klassenerhalt mit Hertha BSC eine Menge abgefallen.
© imago images/Contrast

Hertha BSC nach dem Klassenerhalt: Warum Pal Dardai Cheftrainer bleiben muss

Pal Dardai hat Hertha BSC in einer schwierigen Situation erneut den Hintern gerettet. Dafür sollte er Cheftrainer der Profis bleiben dürfen.

Vielleicht musste es genau jetzt passieren. Nie zuvor war Pal Dardai ein solches Malheur unterlaufen. Guter Sechser halt, mit ausgeprägtem Spielverständnis, einem Gespür für Gefahren und den richtigen Laufwegen. Am frühen Samstagabend, in den Katakomben des Olympiastadions, hat es ihn dann doch erwischt. Die Mannschaft von Hertha BSC lockte ihren Trainer in einen Hinterhalt und verpasste Dardai die erste Bierdusche seiner Karriere. Als hätte er sie sich exakt für diesen ganz besonderen Moment aufgespart.

Dardai und Hertha hatten sich gerade durch ein zähes 0:0 gegen den 1. FC Köln den Verbleib in der Fußball-Bundesliga gesichert. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für einen Verein mit diesen Ambitionen und diesen finanziellen Möglichkeiten. Aber genau das war es nicht. Dardai selbst hat die Aufgabe, die er Ende Januar übernommen hat, als den schwersten Job seiner Karriere bezeichnet. Dass er diesen Job nun schon einen Spieltag vor Ende der Saison erledigt hat, „das ist einfach ein Traum“, sagte er.

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Es folgte am Abend eine – zumindest für Corona-Bedingungen – ausgelassene Party auf der Terrasse des Quarantäne- Hotels. Dardai, der normalerweise vor zehn schlafen geht, verabschiedete sich um zwei in der Nacht, und als er am nächsten Morgen um elf zu einer digitalen Medienrunde erschien, vermutete er den Rest des Hertha-Trosses noch im Bett. „Wir hatten so einen Druck“, sagte er. „Da hast du dir das verdient.“

Dardai war am Samstag noch auf dem Rasen des Olympiastadions reich beschenkt worden. Er bekam eine Art Mini-Humidor mit zwölf hochwertigen Zigarren, mehr als hundert Glückwunsch-Nachrichten gingen in den Stunden nach dem Klassenerhalt auf seinem Handy ein. Zum zweiten Mal nach 2015 hat der Ungar seinem Verein in schwieriger Lage den Hintern gerettet.

Die Saison war zehrend, für alle Beteiligten. Sogar Dardai, sonst die Ruhe in Person, hat das zu spüren bekommen. Normalerweise braucht er nicht lange, um die Aufregungen eines Spiels zu verarbeiten. Vorige Woche aber, ausgerechnet nach dem Sieg auf Schalke, der Hertha zwei Matchbälle zum Klassenerhalt bescherte, war das anders. „Ich habe zwei Tage gebraucht, um meinen Körper wieder gerade zu biegen“, berichtete er. „Das hatte ich noch nie in meinem Leben.“

Die Aufgabe war komplizierter als gedacht

Wenn man einen flüchtigen Blick auf Herthas Kader wirft, ist der Klassenerhalt eigentlich nichts, wofür man sich ausgiebig feiern sollte; bei genauerem Hinsehen aber ergibt sich ein anderes Bild. „Den Teamgeist zu wecken, das war das Schwierigste. Eigentlich sollte es einfach sein“, sagte Dardai. Details nannte er nicht, aber wenn man seine Andeutungen richtig interpretierte, dann war die Mannschaft bei seinem Amtsantritt noch ein bisschen kaputter als kaputt.

„Es hat sehr lange gedauert, bis die Spieler einige Sachen akzeptiert haben“, berichtete Dardai. Manchmal dachte er: Okay, jetzt haben sie es verstanden. Aber dann machten seine Spieler im nächsten Spiel mit ziemlicher Sicherheit genau die Fehler, die sie eigentlich schon hinter sich zu haben glaubten. „Irgendwann geht das an die Nerven.“

Weil Dardai bei allen Zweifeln stets Ruhe bewahrt, weil er auch in schwieriger Zeit Zuversicht verbreitet, viele richtige Entscheidungen getroffen und die Mannschaft peu à peu stabilisiert hat, ist der Klassenerhalt vor allem sein Werk. „Pal und sein Team machen hervorragende Arbeit“, sagt Sportdirektor Arne Friedrich. „Sie haben es geschafft, aus dieser Mannschaft eine Mannschaft zu machen.“

Friedrich hat sich bereits dafür ausgesprochen, dass Dardai Cheftrainer der Profis bleibt. Dass darüber selbst nach dem Klassenerhalt überhaupt noch diskutiert wird, ist einerseits schwer zu verstehen. Es sagt andererseits aber auch viel über die Zustände bei Hertha. Über einen Verein, bei dem nicht nur die sportliche Führung entscheidet, sondern auch ein ehrgeiziger Investor mitreden will, und der dadurch die Bodenhaftung verloren hat.

Dardai denkt längst über den Sommer hinaus

Dardai hat Hertha wieder geerdet. Das ist die Basis, auf der sich aufbauen lässt. Schon in seiner ersten Amtszeit hat der Ungar bewiesen, dass er eine Mannschaft, selbst mit geringen finanziellen Mitteln, entwickeln kann. Ihm diese Möglichkeit nun vorzuenthalten, wäre nicht nur eine mittelschwere Überraschung, es wäre auch ein schwer zu akzeptierender Affront.

„Ich kann die Fans beruhigen“, sagt Dardai. „Pal Dardai bleibt bei Hertha BSC.“ Aber das heißt nicht zwingend, dass er weiterhin die Profis trainiert; möglicherweise kehrt er in den Nachwuchs zurück. Kurz nachdem Dardai zum Cheftrainer ernannt worden war, hat der „Kicker“ enthüllt, dass sein Vertrag nur dann über den Sommer hinaus gültig ist, wenn er 24 Punkte mit der Mannschaft holt. Bisher sind es 18.

Hertha hat die Existenz einer solchen Klausel nie bestätigt. Demnach müsste gelten, was der Verein bei Dardais Einführung ins Amt per Pressemitteilung verkündet hat: „Die Vereinbarung gilt bis Sommer 2022.“ Andererseits hat Dardai selbst noch einmal gesagt: „Mein Vertrag hat eine Laufzeit.“ Was nur heißen kann: eine Laufzeit bis zum Ende dieser Saison.

Auch auf Nachfrage hat Dardai nie klar und deutlich gesagt, dass er bei den Profis weitermachen möchte. Aber er denkt längst über den Sommer hinaus. Nach inzwischen acht Spielen ohne Niederlage will er auch das letzte Spiel der Saison zumindest nicht verlieren, um mit einem positiven Gefühl in die neue Spielzeit zu starten. Und auch die Extremerfahrungen aus dem Abstiegskampf können durchaus hilfreich sein. „Die Mannschaft und der Verein werden davon profitieren“, sagt Dardai. „So eine Saison schweißt wieder zusammen.“

Auch in diesem Sommer wird es Veränderungen geben. Fredi Bobic kommt als Sportvorstand, von ihm wird die Entscheidung in der Trainerfrage maßgeblich abhängen, ebenso die Kaderplanung. Gibt es erneut einen Umbruch? Die vielen neuen Spieler und der Umbruch mit der Brechstange waren eines der Probleme bei Hertha, die überzogenen Ziele ein anderes. „Das Wichtigste ist eine realistische Zielsetzung“, sagt Dardai.

Von Hirngespinsten sollte Hertha erst einmal genug haben. Der Verein braucht daher auch keinen Trainer mit großem Namen, der solche Hirngespinste nur zusätzlich befeuert. Er braucht einen Trainer, der mit beiden Füßen auf dem Boden steht, gern auch ein bisschen breitbeinig. Wer das wohl sein könnte?

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