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Neuzugang Sami Khedira begreift sich selbst weder als Boss noch als großer Retter, sondern als ein Teil der Mannschaft.
© imago images/Sven Simon

Sami Khedira bei Hertha BSC: „Ich bin nicht der Big Boss, sondern sehe mich als Teil des Teams“

Hertha steckt in der Bundesliga in Schwierigkeiten. Jetzt soll Khedira helfen und den Klub vor dem Abstieg bewahren - zumindest für die nächsten vier Monate.

Arne Friedrich trägt Stolz in seinem Gesicht. Neben ihm sitzt er nun – Sami Khedira, ein Weltmeister. Kam schon lange nicht mehr vor, dass ein solcher den Weg zu Hertha BSC gefunden hat. Rainer Bonhof, Weltmeister von 1974, war vor bald 40 Jahren mal da. Und Luizao, der 2002 Weltmeister mit Brasilien wurde und anschließend für Hertha kickte. Glück und Erfolg brachten beide Transfers weder den Spielern noch dem Verein.

Das soll nun anders werden. „Ich freue mich unheimlich, dass er hier ist“, sagt Friedrich, der vor wenigen Tagen die Managergeschäfte von Michael Preetz übernommen hat. „Sami wird uns weiterhelfen, er ist ein großer Gewinn für uns.“ Khedira lächelt dazu und drückt sein Kreuz durch. Fit sieht er ja aus, der 33-Jährige.

Die Sache ist nämlich die: Hertha steckt in der Fußball-Bundesliga gerade in allerlei Schwierigkeiten. Statt Kurs auf die internationalen Plätze zu nehmen, stehen die Berliner gerade mal so über dem Strich zu den Abstiegsplätzen. Und Freitagabend kommt Bayern München. Aber jetzt hat Hertha ja Khedira.

Wird nun alles gut? Für den Weltmeister von 2014 spricht schon mal seine Ehrlichkeit. „Jeder kennt meine Situation bei Juventus. Ich will wieder spielen, ich will Verantwortung übernehmen und etwas mit Hertha erreichen“, sagt er und ruckelt mal kurz auf seinem Stuhl. Im Prinzip hat Khedira beinahe ein Jahr lang nicht mehr gespielt. „Die Zahlen sprechen nicht für mich“, sagt er, „die letzten fünf Monate waren nicht einfach, wenn man fit ist“.

Andrea Pirlo, der Trainer von Juventus Turin, hat auf jüngere Spieler gesetzt. Erst gestern sei er noch mal in Turin gewesen, habe sich von allen verabschiedet. Alles gut, aber jetzt möchte er wieder „Dreck an den Armen und Beinen haben“, wie er sagt. Hertha gibt ihm die Chance dazu. Erst einmal für vier Monate, bis zum Saisonende.

Dann werde man weitersehen. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass es weitergeht. Man muss nicht immer einen Vertrag auf Papier haben“, sagt Khedira. Friedrich und er hätten offen und ehrlich gesprochen. „Ein Blatt Papier muss nicht immer was bedeuten. Der Fokus liegt auf diesen vier Monaten.“

Wer Khedira kennt, weiß, dass er neben seinen sportlichen Qualitäten einen ausgesprochenen Willen und großen Ehrgeiz besitzt. Seit Jahren legt er Wert auf Ernährung und Regeneration bis hin zur mentalen Präparation für optimale Leistungsbereitschaft. Er hat schon immer viel dafür getan, seine Karriere zu erhalten und zu verlängern.

Denn schon früh wurde er von teils schweren Verletzungen heimgesucht. Nun ist er – wie man so schön sagt – in die Jahre gekommen. Das ist keinesfalls ehrenrührig für einen Profifußballer jenseits der Dreißig, der mehr zehn Jahre auf höchstem Niveau spielte. Auf all seinen Profistationen ist er Meister geworden: in Stuttgart (2007), später bei Real Madrid (2012) und bei Juve seit 2016 fünf Mal hintereinander. Mehr als 300 Pflichtspiele hat er für Real und Juventus bestritten.

In seinen besten Jahren verehrten ihn Madrid und Turin

Jetzt, nach zehneinhalb Jahren, kommt er in die Bundesliga zurück. Auch Khedira weiß, dass er die Zeit nicht so leicht ausspielen kann wie so manchen Gegner auf dem Platz. „Ich muss mich reinfinden, muss intelligent spielen“, sagt Khedira. „Und ich habe Lust.“ Das erste Mal in seiner Karriere geht es nicht um Pokale und Meisterschaften, mit Hertha geht es schlicht darum, die Klasse zu halten.

Die Pläne des Vereins waren andere. Im vorigen Jahr wurden 110 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben. „Ich freue mich auf die Mannschaft“, sagt Khedira. „Die Mannschaft ist talentiert und sehr jung. Ich bin aber von meinen Qualitäten überzeugt und bin bereit, dafür zu leiden.“

Vieles spricht für Khedira, bis auf das Alter. Von ihm gibt es einen Satz, den er vor der WM 2010 sagte, als er beim Turnier den verletzten Michael Ballack zu ersetzen hatte, den damals wichtigsten deutschen Spieler. Damals war Khedira 23 Jahre alt. Für ihn gebe es kein Jung oder Alt. Es gehe darum, ob du – je nach Alter – schon oder noch die nötige Power hast.

Damals machte er Ballack vergessen. Seitdem sind mehr als zehn Jahre vergangen. Khediras Spiel lebte immer von körperlicher Robustheit, von strategischer Reife und Präsenz sowie einem ausgeprägten Leadership. Spieler wie er bringen sich mit viel Verve ein, sie dienen einer Mannschaft. Khediras Art zu spielen hatte immer etwas Treibendes, Draufgängerisches, aber auch Wachsames. In seinen besten Jahren verehrten sie ihn in Madrid und Turin dafür.

Die Frage ist, ob er daran wird anknüpfen können? Und wie viel Ehrgeiz und Wille verträgt sein von Verletzungen und Krankheiten geplagter Körper noch? Der prominente Neuzugang bleibt bescheiden. „Ich bin nicht der Big Boss, nicht der große Retter, sondern sehe mich als Teil des Teams“, sagt Khedira. Er komme als Spieler, der seine Erfahrungen einbringen möchte „und wenn es nötig ist, auch mal klare Ansprachen macht.“ Vielleicht schon gegen die Bayern? „Der Trainer entscheidet, ob es reicht.“

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