Rainer Widmayer im Interview: "Für Ante ist die Messlatte natürlich hoch"
Stuttgarts neuer Co-Trainer Rainer Widmayer über den Abstieg des VfB, den Neustart in der Zweiten Liga und das, das er am meisten an Berlin vermisst.
Rainer Widmayer, 52, war seit 2015 der Co-Trainer von Pal Dardai in Berlin. Nachdem er sich im Frühjahr für einen Wechsel nach Stuttgart entschied, stieg der VfB ab. Am Freitag startet er mit seinen Stuttgartern gegen Hannover 96 (20.30 Uhr, live bei Sky) in die Zweitliga-Saison. Zuvor haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Widmayer, wo haben Sie die Relegationsspiele zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Union geguckt?
Das Hinspiel im Stadion und das Rückspiel auf dem Weg ins Hotel, im Urlaub auf Fuerteventura. Wir kamen im Hotel an, da lag der VfB 1:0 in Führung und dann wurde das Tor zurückgenommen.
Seit 2015 waren Sie bei Hertha BSC der Co-Trainer von Pal Dardai. Im vergangenen Januar entschieden Sie sich dann, zur kommenden Saison als Co-Trainer nach Stuttgart zu wechseln. Wie bitter war es, dem Abstieg Ihres zukünftigen Vereins zuzusehen?
Voriges Jahr im Oktober ist der VfB auf mich zugekommen. Mein Gedanke war: Okay, Bundesliga von zu Hause aus, das wäre klasse, wieder bei der Familie. Ich habe nie damit gerechnet, dass Stuttgart absteigt. Dann kam die Relegation. Und schon im Heimspiel habe ich gespürt, dass es eng wird.
Also saßen Sie dann in Ihrem Hotel, und der Urlaub war erst mal gelaufen?
Das war eine Riesenenttäuschung. Dass der VfB in die Zweite Liga muss, das hat total weh getan.
Hat sich Ihre Enttäuschung gelegt?
Man muss die wegschaffen. Es bringt ja nichts: Der Verein ist abgestiegen, das sind die Fakten. Jetzt gilt es, dass ich mithelfe, alles wieder in die richtige Richtung zu bringen.
Sie haben schon mehrmals beim VfB gearbeitet, waren von 2000 bis 2005 und in der Saison 2008/2009 Co-Trainer. Was hat sich seitdem geändert?
Der Verein ist überragend, aber er hat sich in eine Größe entwickelt, die teilweise nicht mehr überschaubar ist.
Das ließ sich zuletzt beobachten. Sportvorstand Michael Reschke, der Sie verpflichtet hat, ist schon nicht mehr da, Präsident Wolfgang Dietrich ist ebenfalls zurückgetreten. Was ist da los?
Ich kann mir nach der kurzen Zeit, die ich da bin, kein Urteil erlauben. Aber das Bild in der Öffentlichkeit leidet, das ist kein Geheimnis. Da müssen wir unseren Teil beitragen, dass es besser wird.
Waren Sie bei der Mitgliederversammlung dabei, die wegen kaputten Wlans abgebrochen wurde und wo es danach laute Proteste gab?
Wir waren nur kurz mit der Mannschaft da. Da war alles noch in Ordnung. Was danach passiert ist, kann ich nicht beurteilen, das ist auch nicht meine Aufgabe.
Inwieweit hat das Einfluss auf Ihre Arbeit?
Ich habe nach dem Abstieg die Stimmung - insbesondere die gegen den Präsidenten - mitbekommen, das war schon extrem. Am Ende stand der Rücktritt, aber es geht weiter. Mit unserem Sport hat das erst mal nichts zu tun. Stuttgart ist ein leidenschaftliches Pflaster, das kann auch schnell wieder ein Vorteil werden, wenn wir sportlich überzeugend auftreten.
Auch auf der Trainerbank gab es Änderungen. Markus Weinzierl wurde entlassen. Danach übernahm Nico Willig, jetzt ist Tim Walter der Chefcoach. Wie geht man als bereits verpflichteter Co-Trainer damit um?
Das ist in meiner Position normal. Was neu ist, sind die vielen Trainer innerhalb eines Jahres. Wenn ich auf meine Zeit bei Hertha zurückblicke, dann weiß man zu schätzen, dass wir über viereinhalb Jahre an einem Standort einen ordentlichen Job gemacht haben. Wir haben immer das Vertrauen vom Verein gehabt. Das wünscht man sich als Trainer.
Wie läuft es denn im Trainerteam, wenn man sich vorher noch nicht kennt?
Das ist anders und auch neu für mich. Der neue Cheftrainer hat zwei Co-Trainer mitgebracht, wir müssen uns alle noch besser kennenlernen und aufeinander einstellen. Es ist unsere Aufgabe, aus dieser Konstellation das bestmögliche zu machen, das gehe ich hochprofessionell an.
Was braucht Stuttgart, um wieder erfolgreich Fußball zu spielen?
Die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft sind aus meiner Sicht gestellt. Thomas Hitzlsperger…
… der Sportvorstand des VfB …
… macht einen klasse Job und bildet mit unserem Sportdirektor Sven Mislintat ein sehr gutes Tandem. Sie haben vielversprechende Transfers gemacht. Jetzt gilt es, unsere Jungs gut auf Freitagabend vorzubereiten.
Dann spielen Sie zum Auftakt der Zweitligasaison gegen Mitabsteiger Hannover 96. Welche Bedeutung hat das erste Spiel?
Es ist ein Heimspiel, ausverkauft, die Zuschauer freuen sich. Dann hast du einen Gegner, der auch ambitioniert ist. Das wird nicht einfach, aber wir haben eine hohe Qualität im Kader und wenn wir die auf den Platz bringen, bin ich überzeugt, dass wir gewinnen. Für den Aufstieg zählt aber nicht nur ein Spiel, da brauchst du eine Konstanz über 34 Spieltage, damit du am Schluss vorne stehst. Das ist die Kunst.
Also ist innerhalb der Mannschaft der Aufstieg das erklärte Ziel?
Wir wollen alle aufsteigen. Dass es nicht leicht wird, weiß aber auch jeder. Wir haben ein junges Team und es wird vielleicht in bestimmten Situationen nicht immer einfach. Aber der Mut, die Freude, das Tempo, das junge Spieler mitbringen, können uns sehr helfen.
Widmayer über seinen Abschied aus Berlin
Schauen wir noch einmal zurück: Berlin wollten Sie ja eigentlich bereits im vergangenen Oktober Richtung Stuttgart verlassen.
Im Nachgang muss ich mich bei Herrn Gegenbauer bedanken. Erst einmal war es eine Enttäuschung, weil er mir klar gemacht hat, dass ich nicht rauskomme. Aber so konnte ich wenigstens einen tollen Abschied genießen. Und die Saison war zwar nicht überragend, aber in Ordnung. Man konnte sich beim Abschied in die Augen schauen.
Wie lief der Abschied ab?
Das war alles am letzten Spieltag. Ich habe dann ein Geschenk bekommen.
Was gab es?
Ein wertvolles Geschenk, mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Es war außergewöhnlich. Und auch Pal Dardai hat uns etwas geschenkt. Eine super Sache, die immer in Erinnerung bleiben wird. Das zeigt, dass wir ein harmonisches Verhältnis im Team hatten.
Dardai wurde nach der letzten Saison bei Hertha entlassen.
Ich würde es nicht Entlassung nennen. Wir haben die Saison ja zu Ende gebracht. Pal Dardai hat einen super Job gemacht, hat viele junge Spieler weiterentwickelt und wird mit Sicherheit seinen Weg weitergehen.
Hat Sie der Trainerwechsel überrascht?
Nein. Vielleicht wollte man neue Reize setzen, und das kann man relativ schnell, wenn man von außen etwas macht und mal das Trainerteam austauscht.
Nun hat Ante Covic übernommen.
Für Ante ist die Messlatte natürlich hoch. Denn man will ja noch erfolgreicher werden.
Wie haben Sie ihn bislang wahrgenommen?
Er war immer offen und hat sich eingesetzt. Ihm drücke ich die Daumen, dass er in der Bundesliga Fuß fasst. Das ist eine Riesenchance, die hat er sich verdient. Aber am Ende zählen natürlich die Punkte.
Was könnte sich bei Hertha unter Covic ändern?
Das kann ich nicht beurteilen, ich habe noch kein Spiel gesehen. Es ist aber ein ganz anderer Offensivfußball, das interessiert mich. Ante hat einen neuen Ansatz und eine neue Spielweise.
Ihre Familie nannten Sie als wichtigsten Grund für die Heimkehr. Jetzt sind Sie zurück.
Ich komme jetzt jeden Tag wieder nach Hause komme. Das ist unbezahlbar.
Was haben Sie als erstes gemacht, als Sie in Stuttgart angekommen sind?
Ich bin in Urlaub gegangen. Man muss irgendwo mal runterkommen. Es war anstrengend, weil ich immer zu hundert Prozent Hertha gemacht habe.
Während dieser Zeit haben Sie in einem Hotel in Spandau gewohnt.
Da bin ich mir vorgekommen wie in einer Familie. Die Mitarbeiter haben mich super behandelt und haben genau gespürt, wie sie nach Niederlagen – nicht groß ansprechen – und nach Erfolgen – nicht übertreiben, dass wir die Größten sind – mit mir umgehen müssen.
Wie haben Sie Berlin in den Jahren erlebt?
Im Nachgang hätte ich der Stadt mehr Zeit schenken können. Ich habe aber immer viel mehr an Fußball gedacht. Aus der Distanz spürt man erst, was man möglicherweise versäumt hat.
Was vermissen Sie denn am meisten?
Das Wiener Café. Da konnte ich nach dem Training Kaffee trinken, mich sammeln und überlegen, was morgen ansteht. Das war für mich ein Ort der Ruhe.