Ausnahmetalent wechselt ans US-College: Franz Wagner verlässt Alba Berlin
Das Werben der Berliner bleibt vergeblich: Der 17-Jährige wechselt an die University of Michigan – ein Dämpfer für die Zukunftsplanungen bei Alba.
Eine mittelalte Frau ohne Kinder im Disneyland? Völlig normal, interessiert niemanden. Ein mittelalter Mann ohne Kinder im Disneyland? Gibt direkt einen eigenen Eintrag auf Google Maps. Solche Witze machen die Sklar Brothers, ein Comedy-Duo aus Michigan. Die Zwillinge Randy und Jason Sklar touren mit ihrem Stand-Up durch die USA, treten im Fernsehen auf und haben natürlich ihren eigenen Podcast. Auch dem Sport sind sie sehr zugeneigt. In einer Radioshow zeigten sie sich zuletzt bestens informiert und versuchten Juwan Howard, dem neuen Coach der University of Michigan, ein paar Informationen über „dieses Stück da draußen, das die Leute in Michigan kennen“ aus den Rippen zu leiern.
„Dieses Stück“, damit war Franz Wagner gemeint. Dass der 17-Jährige im europäischen Basketball eine große Nummer ist, hat sich inzwischen auch nach Michigan herumgesprochen – schließlich war sein älterer Bruder Moritz einer der Helden an der Universität und schaffte von dort den Sprung in die NBA. Mit Franz Wagner gibt es nun in Ann Arbor, dem Sitz der Universität, einen neuen Hoffnungsträger: In der Nacht von Samstag auf Sonntag verkündete der Berliner via Instagram, dass er dem US-College seine Zusage gegeben hat. „Ich bin extrem begeistert von dieser Möglichkeit“, zitierte ihn dann auch ein offizielles Statement der Basketball-Abteilung seiner neuen Universität. „Ich kann es kaum erwarten, auf den Campus zu kommen und alle kennenzulernen.“
Bei seinem alten Team bedankte er sich emotional. Die Frage, ob der hochveranlagte Flügelspieler in seiner Heimatstadt bleiben würde, um Profi bei Alba Berlin zu werden, hatte Fans und Verantwortliche zuletzt so beschäftigt wie kaum eine andere Angelegenheit rund um den Verein. Schließlich verkörpert Wagner genau das, was sich die Berliner in Sachen Klubphilosophie auf die Fahnen geschrieben haben.
Mit sieben Jahren begann er bei Alba mit dem Basketball und durchlief dann das Nachwuchsprogramm. Trainer Aito Garcia Reneses, im europäischen Basketball bekannt wie kein Zweiter für seine Talentförderung, hätte ihn am liebsten bereits zu den Profis geholt, als er noch keine 16 Jahre alt war. Bald darauf stand er dann jedoch als jüngster Spieler der Vereinsgeschichte erstmals für die Profis auf dem Parkett.
In der vergangenen Saison wurde der 17-Jährige dann zu einem festen Bestandteil des Teams. 59 Spiele absolvierte er für Alba, stand dabei im Schnitt über zehn Minuten auf dem Feld und übernahm auch in entscheidenden Phasen Verantwortung. Am Ende wurde er zum besten Nachwuchsspieler der Basketball-Bundesliga gewählt; Wagner gilt als das größte Talent des deutschen Basketballs.
Der Reiz des Neuen
Die tiefgreifende Jugendarbeit bei Alba sowie die Förderung der Talente aus der Region sollen auch in Zukunft das Fundament des Klubs bilden, das werden die Verantwortlichen von Alba nicht müde zu betonen. Mit Wagner hat sich nun das Vorzeigemodell dieses Konzepts dagegen entschieden, diesen Weg weiterzugehen. „Er weiß, was er hier alles hat“, hatte Albas Manager Marco Baldi immerzu betont. Bei den Berlinern hätte Wagner auf höchstem europäischen Level in der Euroleague spielen können, für ihn war eine feste Rolle im Kader eingeplant – als 17-Jähriger eine goldene Möglichkeit. Stattdessen nimmt er den sportlichen Rückschritt hin, auf niedrigerem Niveau im starren College-Basketball nur noch Gleichaltrigen gegenüberzustehen.
Doch dass es für Wagner nicht um eine rein sportliche Entscheidung ging, zeichnete sich früh ab. Sein Bruder Moritz, den er als großes Vorbild bezeichnet, erkannte als Teenager in seinem ersten Jahr als Vollzeitspieler bei Alba, dass es ihm auf Dauer zu langweilig werden würde, nur Basketball zu spielen und ansonsten zuhause rumzuhängen, Fernsehen zu gucken und ab und zu mal etwas zu kochen. Deshalb entschied er sich fürs College.
Auch Franz Wagner, der bereits mit 16 ein 1,2er-Abitur hinlegte, reizt die Erfahrung abseits des Spielfelds. „Dieser Reiz des Neuen, des Andersartigen, das spielt immer eine Rolle, gerade bei jungen Menschen“, wusste auch Baldi. „Wir sind nicht in Amerika. Das große Hallo, das fehlt hier natürlich.“
Wagner hat seine Entscheidung nun getroffen und verlässt Berlin. „Das ist sehr schade, denn wir hatten mit Franz noch viel vor und hätten gerne mit ihm weitergearbeitet“, sagte Sportdirektor Himar Ojeda. Eigentlich war man nach der Vertragsverlängerung von Luke Sikma zuversichtlich, das Team auch für die kommende Saison weitgehend beisammenhalten zu können. Trainer Reneses und Spielmacher Peyton Siva stünden bereits kurz vor der Unterschrift, hieß es. Doch aktuell zögern sich die Entscheidungen bei den Berlinern heraus. Auch Spieler mit noch laufendem Vertrag sind für andere Klubs interessant: Rokas Giedraitis soll im Fokus von Khimki Moskau stehen, Landry Nnoko präsentiert sich gerade in der NBA Summer League. Der Sommer bei Alba Berlin könnte beschwerlicher werden als erhofft.
Leonard Brandbeck