Neuer Wettbewerb: European Championships: Großes Ding für die Kleinen
Viele Sportarten werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die European Championships in Glasgow sollen das ändern.
Berlino, der knuffige Bär, steht in Glasgow zu Werbezwecken vor einer Supermarktkette mit einer Einkaufstüte in der Hand. Er wirkt träge neben dem schottischen Seehund Bonnie. Es ist wahrscheinlich nur Zufall, vielleicht ist dem Darsteller schlicht zu warm unter dem dicken Bärenfell. Bonnie umarmt Berlino mit einer Flosse, mit der anderen zeigt er an, dass alles bestens ist. Berlino war einmal der Star unter den Maskottchen. Bei der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin bildete er mit dem Kindskopf und Sprinter Usain Bolt ein derart lustiges Duo, dass die Veranstalter für die am 7. August beginnende Leichtathletik-EM in Berlin erneut den Bären aus der Mottenkiste holten. Dieses Mal aber gibt es neben Berlino in Bonnie einen weiteren tierischen Darsteller, der um die Gunst des Publikums buhlt. Überhaupt ist nicht nur Berlino umklammert von der Konkurrenz, das gilt auch für die komplette Leichtathletik-EM.
Die Veranstaltung firmiert unter den sogenannten European Championships, die am kommenden Donnerstag in Glasgow starten und ihren sportlichen Abschluss am 12. August im Berliner Olympiastadion finden. Die European Championships sind die gebündelten Europameisterschaften im Rudern, Turnen, Schwimmen, Triathlon, Golf, Radsport sowie der Leichtathletik. Letztere wird in Berlin ausgetragen, der Rest in Glasgow und Umgebung. Die Veranstaltung ist nicht zu verwechseln mit den Europaspielen, die 2015 in Baku stattfanden und im kommenden Jahr in Minsk geplant sind. Wenn man so will, sind die European Championships die Olympischen Spiele in klein. Nur mit dem Unterschied, dass sie in zwei Städten stattfinden und nicht vom Internationalen Olympischen Komitee organisiert werden. Die European Championships sind – und da wird es interessant – eine Schöpfung des Fernsehens.
Fußball dominiert
„Viele Einzelsportarten haben – die Leichtathletik ausgenommen – nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätten“, sagt Axel Balkausky. „Ich nenne mal als Beispiel die Europameisterschaften im Turnen oder Schwimmen. Dort gibt es leider kaum Zuschauerinteresse. Deswegen ging der Impuls, hier etwas zu verändern, von der Europäischen Rundfunkunion aus.“
Balkausky ist der Sportkoordinator der ARD. Er muss sich seit vielen Jahren den Vorwurf anhören, dass die finanzkräftigen Öffentlich-Rechtlichen viel zu viel Geld und Sendefläche für Fußball bereitstellten. Vereinsfunktionäre und -manager außerhalb des Fußballs gehen mitunter so weit, dass sie die Öffentlich-Rechtlichen für die Monopolstellung des Fußballs verantwortlich machen. „Der Vorwurf ist nicht haltbar“, sagt Balkausky. In der ARD betrage der Anteil von Live-Fußball maximal 25 Prozent, der Anteil von Sommer- und Ballsportarten liege bei rund 30 Prozent und der von Wintersport bei circa 45 Prozent.
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Das mag alles stimmen. Der Haken an den Zahlen aber ist, dass der Fußball besonders abseits der Live-Berichterstattung dominiert, mit Formaten wie der ARD-Sportschau oder dem Aktuellen Sportstudio im ZDF. Die Wahrheit ist: In der medialen Wahrnehmung hat der Fußball bis auf wenige Ausnahmen Sportarten zu Randsportarten gemacht, die in der Breite von Millionen Menschen ausgeübt werden. Der Deutsche Turner-Bund etwa hat über fünf Millionen Mitglieder, im Fernsehen findet Turnen aber genauso wenig statt wie Schwimmen mit immerhin 600 000 Verbandsmitgliedern. Selbst für private Spartensender wie Eurosport oder – mehr noch – Sport 1 werden olympische Kernsportarten immer uninteressanter. Die billigere Zweit- und Drittverwertung von Profi-Fußball, selbst die Übertragung von Amateurfußball – also die Brotkrumen der Fußballberichterstattung – versprechen häufig bessere Quoten.
Die Öffentlich-Rechtlichen sehen sich spätestens mit den European Championships vom Vorwurf befreit, die bunte Sportlandschaft durch die Konzentration auf den Fußball zu zerstören. „Der Wettbewerb ist sicher eine Chance für die Sportarten, wieder mehr wahrgenommen zu werden“, sagt Balkausky. ARD, ZDF, die britische BBC und die Europäische Rundfunkunion (EBU) riefen die European Championships gemeinsam ins Leben. Für die olympischen Sportarten stellt die Erfindung und Planung eines solches Events durch das Fernsehen und nicht durch die eigenen Verbände eine Zäsur dar. „Die EBU war hier initiativ, weil die Verbände selbst viele andere Aufgaben zu erledigen haben“, sagt Balkausky. Das ist eine diplomatische Umschreibung dafür, dass viele Verbände nur schwer aus dem Knick kommen. Das liegt in Deutschland zum einen an der Struktur des Verbands- und Vereinswesens, das immer noch von Ehrenamtlichkeit geprägt ist. Zum anderen fehlt es dem Sport an finanziellen Mitteln. Die Öffentlich-Rechtlichen haben beides: Das Knowhow im Marketing sowie das Geld.
ARD und ZDF übertragen im Wechsel
Die Blaupause für die Veranstaltung lieferte den Sendern dabei der Wintersport. „Dort haben wir seit vielen Jahren hervorragende Quoten, weil wir an den Wochenenden die Entscheidungen in vielen Disziplinen gebündelt übertragen können“, erklärt Balkausky.
Dieses Prinzip soll nun mit großem Aufwand und großflächiger Sendefläche auf ausgewählte Sommersportarten angewandt werden. ARD und ZDF übertragen vom 3. bis 12. August an insgesamt zehn Sendetagen im Wechsel aus Berlin und Glasgow. Rund 100 Stunden Livesport stehen in dieser Zeit auf dem Programm. „Die European Championships sind für uns nach den Olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr das größte Event“, sagt Balkausky. Der Personalaufwand sei hoch, aber man profitiere noch von der WM. „So können wir beispielsweise die Technik aus unserem WM-Studio aus Baden-Baden nutzen. Es ist alles in allem eine kostengünstige Produktion“, sagt er.
Kostengünstig auch deshalb, weil ARD und ZDF nicht wie bei der Fußball-WM Hunderte Millionen Euro für die Übertragungsrechte ausgeben müssen. „Wir mussten von den Verbänden keine Übertragungsrechte kaufen. Wir, respektive die EBU, sind ja bereits in Besitz dieser Rechte“, sagt Balkausky. Soll heißen: Die European Championships sind nicht nur eine Chance für vernachlässigte Sportarten, sondern vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen. Sie können ein richtig gutes Geschäft damit machen.
Dass der Senderverbund EBU die Wettbewerbe nicht allein wegen des Erhalts der sportlichen Vielfalt ausrichtet, wird deutlich, wenn man sich beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) umhört. Die Leichtathletik hat den sportartenübergreifenden Wettbewerb nicht unbedingt nötig. Dort lassen sich für die großen Events immer noch viele Sponsoren und Zuschauer gewinnen.
German Championships in Planung
Frank Lebert, seit 2009 Geschäftsführer der Vermarktungsagentur des DLV, hält die zeitliche Bündelung der großen Sommersportarten mit ihren Europameisterschaften grundsätzlich für eine sehr gute Idee. „Das Konzept stärkt alle“, sagt er. Lebert fragt aber auch: „Warum übernimmt man nicht einfach das sehr erfolgreiche Modell der Wintersportberichterstattung? Auch dort behalten die internationalen Verbände während des Weltcups ihre Eigenständigkeit.“ Die Antwort dürfte sein, dass die Sender das Kommando übernommen haben. Lebert befürchtet, dass es mittelfristig den Begriff der Leichtathletik-Europameisterschaft nicht mehr geben wird. „Analog zu den Olympischen Spielen ist unsere Sportart dann nur noch Teil des Ganzen. Die eigenständige Vermarktung einer so großen Sportart wie die der Leichtathletik wird auf der Strecke bleiben.“
Sind die European Championships nun Segen oder Fluch für den Sport? Sicher jedenfalls ist, dass die öffentlich-rechtlichen Sender in dem Konzept die Zukunft sehen. So soll schon Anfang dieser Woche ein neues Format präsentiert werden, eine nationale Version der European Championships, die „Die Finals – Berlin 2019“. Im August nächsten Jahres soll das Ganze in der Hauptstadt ausgetragen werden. Ob dann erneut Berlino seine Faxen macht? Gut möglich, dass er bis dahin seinen Job quittiert hat.