Doping-Razzia bei Ski-WM: Erfurter Sportmediziner im Zentrum des Skandals
Das Netzwerk des festgenommenen deutschen Arztes in der Szene ist weit verzweigt, es könnten neben Ski-Langlauf noch weitere Sportarten betroffen sein.
Der Kampf zwischen Dopingjägern und Dopingsündern ist ein ungleicher, weil Letztere in der Regel mit großem Vorsprung in das Duell gehen. Deshalb heißt es im Allgemeinen, dass nur die Dummen erwischt werden. Und genau das titelte dann auch am Donnerstag das österreichische Boulevardblatt „Kurier“: „Dümmer geht’s nicht“. Nachdem tags zuvor fünf Skilangläufer, darunter zwei Österreicher, bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Seefeld festgenommen worden waren.
Der Aussage konnte nur schwerlich widersprochen werden. Schließlich hatte der ehemalige österreichische Langläufer Johannes Dürr erst wenige Wochen vor den Wettkämpfen in Tirol umfangreich über seine Doping-Praktiken ausgepackt. Dass der 31-Jährige Bereitschaft zeigte, auch konkret Ross und Reiter zu nennen, war erwartbar – genauso wie die daraus folgenden Ermittlungen. Und so ist es dann auch gekommen.
Das alles hat wohl auch der deutsche Sportmediziner S. nicht kommen sehen. Er wurde am Mittwoch von der Polizei in Erfurt festgenommen und am Donnerstag einem Haftrichter vorgeführt. Dieser bestätigte die Fortdauer der Haft, woraufhin S. zur Untersuchungshaft nach München gebracht wurde. Ihm droht eine Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren. Es gilt die Unschuldsvermutung. Auf Anfrage bei der Praxis von S. erhielt der Tagesspiegel keine Antwort. Seine Anwälte teilten mit, „keine Stellungnahme zum jetzigen Zeitpunkt abzugeben“.
S. steht unter Verdacht, die festgenommenen Skilangläufer mit Dopingmitteln versorgt zu haben. Und nicht nur sie: Es könnten noch Athleten anderer Sportarten von ihm mit illegalen Mitteln behandelt worden sein. Laut einem Ärzteblatt wurden in der Praxis von S. auch Schwimmer, Radsportler, Fußballer, Handballer und Leichtathleten „betreut“. War die Erfurter Praxis von S. also vornehmlich ein Doping-Labor?
Offenbar schon lange ein Fachmann für Blutdoping
Sportarzt S. jedenfalls hat eine spezielle Karriere hingelegt. 2013, im Rahmen der Aufarbeitung des Doping-Skandals beim Radsportteam Gerolsteiner, wurde bekannt, dass er in seinem Kulturbeutel gern Viagra transportierte – nicht für den Eigengebrauch, sondern für die Radprofis. Bronchienerweiterung und verbesserte Blutzirkulation verspricht man sich in der Branche von dem Potenzmittel.
S. ist offenbar schon lange ein Fachmann für Blutdoping. Frühere Radrennprofis wie Bernhard Kohl und David Kopp beschrieben das damalige Ärzteteam bei Gerolsteiner als fachlich gut präpariert in Sachen Dopingfragen. Kopp sagte 2013 im Stuttgarter Prozess aus: „Die Mittel wurden nicht offensiv angeboten. Aber man konnte sich bei den Ärzten über alles von Belang austauschen – verboten oder nicht verboten.“ Die Aussage schloss S., später noch Teamarzt beim zweiten deutschen Rennstall Milram, mit ein.
In dem Prozess wurde der Arzt allerdings nicht schuldig gesprochen. In Interviews wehrte er sich auch vehement gegen die Dopingvorwürfe. Kurz zuvor hatte der österreichische Radprofi Kohl den Mediziner in der ARD-Sendung „Beckmann“ zumindest indirekt der Dopingunterstützung bezichtigt. Kohl musste seine Aussagen später vor einem Gericht zurückziehen. Die aktuelle Entwicklung dürfte nun Kohl wieder rehabilitieren. Denn was verleitet einen Arzt, der aus einem Doping-Skandal gerade so herausgekommen ist, bloß dazu, Jahre später Doping so aktiv zu unterstützen, dass sogar die Fahnder zuschlagen?
„Mit Doping kann man viel Geld verdienen"
„Geld und Frankenstein“, lautet die Antwort von Uwe Trömer. „Mit Doping kann man viel Geld verdienen. Die Präparate kriegt man fast umsonst“, behauptet er. Trömer war DDR-Leistungssportler in Erfurt. Er dopte, und wurde vom Doping so schwer geschädigt, dass er fast starb. Jetzt ist er Invalide und seit vielen Jahren Aktivist gegen Doping.
Trömer erzählt dem Tagesspiegel: „Ich fragte einmal eine Krankenschwester in einer großen Herzklinik nach Epo. Sie sagte mir, ich könne es für lau kriegen.“ So ergebe sich eine finanzielle Motivation. „Wenn man dann sieht, für welches Geld, bis in die Hunderttausende, Dopingkuren angeboten werden, kann man sich ausrechnen, wie solche Ärzte zu ihren Porsches kommen.“ Und ein bisschen, sagt Trömer, sei es auch die Frankensteinnummer, also das perverse Interesse daran, zu schauen, wie weit man einen Menschen in seiner Leistungsfähigkeit bringen könne. „Da gibt es Ärzte, die mit großer Kaltschnäuzigkeit diesem Forscherdrang nachgehen.“
Bei Turbine Erfurt, Trömers damaligem Sportklub, arbeitete auch die Mutter und Praxispartnerin von S.: „Ich kenne sie noch aus meiner aktiven Zeit als Sportler. Sie fing dort gerade als Assistenzärztin im Sportmedizinischen Dienst an.“ Beim Pillenverteilen und Spritzengeben zur illegalen Leistungssteigerung hat er sie nicht erlebt. Schwer vorstellbar ist aber auch, dass S. gar nichts mitbekommen hat vom Dopingsystem der DDR. „Die Ärzte kannten doch die Blutwerte, sie konnten das doch einschätzen“, sagt Trömer.
Mindestens fünf Jahre lang sei nun in Erfurt das Doping-Labor betrieben worden, stellten die Fahnder der „Operation Aderlass“ fest. Seit mindestens 2014 also. Das Datum ist pikant, denn um diese Zeit war S. ein kleiner Star der lokalen Ärzteschaft. Das Ärzteblatt berichtete in seiner Ausgabe 4/2014 ausführlich von S. Praxis. Es stellte ihn als erfolgreichen Stipendiaten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Thüringen vor. 250 Euro monatlich erhielt er als Bonus, um sich als Hausarzt niederzulassen. Die KV Thüringen hatte offenbar S.' anrüchige Arbeit beim Team Gerolsteiner zuvor entweder nicht bemerkt, oder als nicht unvereinbar mit einem Stipendium angesehen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Vater von S. Der pflegte geschäftliche Kontakte zur Kanzlei von Heinz-Jochen Spilker. Spilker war Ende 1990 Sprint-Bundestrainer in der Leichtathletik und trat zurück, nachdem der „Spiegel“ aufgedeckt hatte, dass er Athletinnen seines Vereins Eintracht Hamm unter anderem mit anabolen Steroiden versorgte. Er wurde wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetzes zu einer Geldstrafe verurteilt.
Trömer jedenfalls hofft, dass S. ins Gefängnis muss und „dass er auch die Approbation verliert. Denn sonst zieht er einfach weiter und macht eine neue Praxis auf“.
Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier.
Hinweis: In einer früheren Version war zu lesen, dass S. ein Stipendium der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erhalten habe. Das ist falsch.