zum Hauptinhalt
Konzentration vor der Kraftanstrengung: Robert Harting gilt als der bedachte Riese in der Leichathletikszene.
© AFP

Istaf in Berlin: Der letzte große Wurf für Robert Harting

Beim Istaf im Berliner Olympiastadion endet am Sonntag die Karriere von Diskuswerfer Robert Harting.  Mit ihm geht nicht nur ein Spitzensportler.

Hier soll es nun also enden. Im Berliner Olympiastadion. Auf der blauen Bahn. Im Wurfkäfig – mit seinem Publikum. Robert Harting hat das hier immer sein Wohnzimmer genannt. Er ist ein Sohn dieser Stadt, auch wenn er ursprünglich aus Cottbus stammt. Jahrelang ist er für den SCC Berlin gestartet. Er lebt hier und hat seinen ersten von drei WM-Titeln 2009 hier gewonnen. „Dort, wo alles angefangen hat“, sagt Harting, geht seine Karriere im Alter von 33 Jahren auch vorbei. An diesem Sonntag beim Istaf. Was wird von ihm bleiben?

Harting ist ruhiger geworden

Titel, freilich, und auch spannende Wettkämpfe. Nicht wenige wurden erst mit dem letzten Wurf für Harting entschieden. Die Statistik besagt, dass er Olympiasieger, dreimal Weltmeister, zweimal Europameister und zehnmal Deutscher Meister geworden ist. Aber es sind auch viele Bilder zusammengekommen: sein Schrei, das Zerreißen des Trikots, die kindliche Freude beim Hüpfen über die Hürden auf der Ehrenrunde. Oder, wie er sich das knuddlige Maskottchen Berlino rücklinks über die Schulter geworfen hat.

All das gehört der Vergangenheit an. Harting hat sich verändert. Man hat den Eindruck, er ist ernster geworden. Leiser, vielleicht erwachsener. Ist das so, weil er sportlich nicht mehr im Mittelpunkt steht? Vielleicht ist es auch ein bisschen Demut. Robert Harting hat in diesem Jahr viel kämpfen müssen. Mit sich selbst. Gegen den Körper – und um die Gesundheit. Das letzte Jahr in seiner Karriere war vielleicht das härteste. In jedem Fall war es voller Schmerzen. Harting schlenderte nicht mehr wie üblich, sondern schleppte sich mit einer kaputten Sehne im Knie eher ins Ziel. Im Laufe der Karriere hatte er viele Verletzungen erfahren. Was der Verschleiß im Spitzensport wirklich heißt, wird er wohl erst in ein paar Jahren erfahren.

Robert Harting bleibt allerdings nicht nur wegen seiner Erfolge und der vielen schönen Bilder in Erinnerung, sondern auch wegen seiner Worte. Er hat viel gestritten im Laufe der Jahre, auch sportpolitisch. Das unterscheidet ihn von den meisten seiner Kollegen. Als es in Deutschland um das Antidopinggesetz ging, sprach der Sportler sogar im Bundestag. Da saß er zwischen Abgeordneten im T-Shirt und gestikulierte. Er fühle sich durch das Gesetz nicht geschützt, sagte er. Das Antidopinggesetz macht Doping zur Straftat. Sportler müssen nun im Zweifelsfall ihre Unschuld beweisen, Harting äußerte Sorge wegen Missbrauch. Was, wenn ihm ein Konkurrent etwas unterjubelt? Wenn überhaupt, dann brächte das Gesetz nur etwas international. Aber einen einheitlichen Antidopingkampf, den gibt es weltweit eben nicht, die Maßstäbe sind in jedem Land andere. Harting hat das immer wieder moniert im Lauf seiner Karriere.

Er schreckte vor politischen Aussagen nicht zurück

Oder das Staatsdoping der Russen. Den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach hat Harting mal als „Teil des Dopingsystems“ bezeichnet und gesagt: „Ich schäme mich für ihn.“ Harting forderte Bach zum Rücktritt auf. Aber er war nicht nur Kritiker, sondern auch konstruktiv kreativ: Harting hat etwa die Deutsche Sportlotterie mit ins Leben gerufen. Sie kommt heute der Förderung von Spitzensportlern und Talenten zugute.

Und ja, auch Robert Harting hatte unrühmliche Momente. Bei seinem ersten WM-Titel 2009 in Berlin wünschte er Antidoping-Demonstranten mal seinen Diskus an den Kopf, weil sie auf die DDR-Vergangenheit seines damaligen Trainers Werner Goldmann hingewiesen hatten. Sie hatten Plakate geschrieben und im Stadion Papp-Brillen verteilt: als Symbol für das Wegsehen bei der Aufarbeitung. Später wurde Harting selbst zum vehementesten Kritiker, wenn es um die aktuelle Antidoping-Politik der Sportverbände geht. Er wird als unbequem in Erinnerung bleiben, in jeder Beziehung.

Die deutsche Leichtathletik hat Robert Harting viel zu verdanken. Dass diese Themen auf dem Plan sind, etwa. Aber auch, dass der Sport durch Charaktere Schlagzeilen gemacht hat, selbst wenn Statistiken dafür nicht taugten. Dass klar wurde: Hier sind Menschen am Werk, nicht nur Medaillenproduzenten oder Maschinen. Mit so einem, der Ecken und Kanten hatte, konnten sich die Zuschauer identifizieren. Und sich ihn zum Vorbild machen. Das ist vielleicht Hartings größte Leistung gewesen in all den Jahren, ungeachtet vom Glanz der Medaillen.

Keiner brachte so gut Eloquenz und Elan, Streitgeist und sportlichen Erfolg zusammen. Wer kann da nachkommen? Sportlich sicherlich der jüngere Bruder. Doch Christoph Harting, Olympiasieger von Rio und mit Robert seit jeher zerstritten, sieht im Sport nur den Job. Alles darum interessiert ihn nicht, und da ist er unberechenbar. Als Gesicht des Sports ist die junge Generation nachgerückt: die Sprinterin Gina Lückenkemper etwa. Sie ist jung und unbekümmert. Redet frech und gerade heraus – aber mit Anfang zwanzig noch nicht kritisch-reflektiert. Sportpolitisch tut sich unter den Erfolgreichen nur Speerwerfer Thomas Röhler hervor. Er äußert sich ruhig und sachlich, drängt nicht in den Vordergrund. Alles zusammen, so wie Robert Harting, vereint keiner von ihnen – noch nicht, will man hoffen.

In ein Loch wird er nach dem Karriereende nicht fallen

Harting steht nun ein neues Leben bevor. Mit dem Abschied selbst scheint er okay zu sein. Hartings Welt war mal die Scheibe. Sie ist es längst nicht mehr allein. Der Fokus hat sich verschoben. Harting studiert an der Universität der Künste. Er ist im zweiten Semester des Masters in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Hier kann er sich kreativ ausleben, wie er es ohnehin so gern tut: bei der Gestaltung der gemeinsamen Wohnung mit Frau Julia zum Beispiel oder wenn er sich selbst aus Gips eine Medaille bastelt und bronzefarben besprüht, um eine Erinnerung an die letzte EM zu haben. Das Lösen von Problemen und Schmieden von Plänen liegt ihm aus der Sportzeit ohnehin. Dazu kommt sein Talent für soziale Medien und Erzählung. Keine Frage: Für so einen klugen Kopf wird sich auch außerhalb des Sports etwas finden. Und es bleibt auch Zeit für private Projekte. Harting sagte dieser Tage, er könne sich vorstellen, eine Familie zu gründen. Aber das hat noch Zeit. Erst steht der Abschied bevor.

Beim Istaf haben sie nochmal mit Robert Harting geworben, abstrahiert in knallbunt beim Wurf, „Der letzte Schrei“ steht darüber. Laut und bunt: So kennt man den Harting. So wird er sich nun auch verabschieden. Freunde, Familie und andere Wegbegleiter werden dabei sein im Berliner Olympiastadion, dem Rund, das Harting immer Heimat genannt hat. „In extremen Situationen freue ich mich, bei meiner Familie und meinen Freunden zu sein“, sagte er. Extrem wird es am Sonntag wohl werden, extrem emotional. Es würde nicht wundern, wenn Harting am Sonntagnachmittag aus dem Käfig Richtung Ehrenrunde auf der blauen Bahn abbiegt.

Harting, der Riese mit Rauschebart, wird dann womöglich eine Träne verdrücken. Rund 50 000 Zuschauer werden ihm ein letztes Mal zujubeln. Die Tribünen sind dann voller Plakate mit seinem Namen und guten Wünschen. Letzte Botschaften. Die hat Robert Harting schon verbreitet, für Kollegen und Kontrahenten. Er wird sich nicht ganz verabschieden. Er wird sie alle genaustens im Blick behalten, beim nächsten Wettkampf dann selbst auf der Tribüne: „Ich schau euch dann von außen zu. Mal sehen, wie ihr es macht.“

Zur Startseite