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Joggen durfte man 2020 immerhin noch. Und das taten viele.
© Kitty Kleist-Heinrich

Kolumne „Losgelaufen“: Der Laufsport ist der große Gewinner dieses Jahres

Das Laufen boomt wie nie – trotz oder gerade wegen der Krise. Und es schafft ein Gemeinschaftsgefühl, selbst wenn wir 2020 so oft allein unterwegs waren.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Weihnachten ist die Zeit der Geschichten, natürlich auch die der Laufgeschichten, der Rückblicke auf die großen nationalen und internationalen Erfolge des Jahres, auf Wettkämpfe, Siege und Niederlagen. In diesem Jahr war vieles anders und das nicht nur, weil die überwiegende Zahl der Laufevents abgesagt wurde.

Wir alle blicken auf ein Jahr zurück, das die meisten von uns reichlich durchgeschüttelt und herausgefordert hat. Manche wohl bis an die Grenzen. Und trotzdem gibt es einen Gewinner: den Laufsport. Er boomt wie nie.

Viele Menschen haben in der Pandemie das Laufen neu oder wieder für sich entdeckt. Sicher nicht nur, weil es hilft, den Kopf freizubekommen, sondern auch, weil mit wenig Aufwand Grenzerfahrungen bei gleichzeitiger Bewältigungserfahrung möglich sind. Dazu kommen der positive Einfluss auf die Gesundheit und das Gefühl, an der frischen Luft aktiv zu sein.

Natürlich ist das Laufen kein Allheilmittel gegen Corona, es kann keine Wunder vollbringen, aber es ist zumindest eine sehr effiziente Möglichkeit, mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – gleichzeitig etwas für den Körper und den Geist zu tun. Und wann, wenn nicht jetzt in dieser Pandemie, ist genau das immens wichtig?

Mancher musste sich seinen Sport neu erobern und sich anders motivieren

Für die Läuferinnen und Läufer, die vor Corona bereits am Start waren, gab es 2020 sicher hier und da ein paar Motivationslücken. Einfach so, ohne Ziel zu laufen, wenn man es über Jahre anders gewohnt war, fällt nicht jedem leicht. Da spielt es keine Rolle, ob man Freizeitläufer oder Leistungssportler ist, zumal die Grenze, schaut man ausschließlich auf den Trainingsumfang, bei vielen gar nicht so exakt zu ziehen ist. Und so mussten sich einige ihren Sport neu erobern, sich anders motivieren, Ziele neu definieren.

Eine kleine, nichtrepräsentative Umfrage unter meinen Lauffreunden hat ergeben, dass einige von ihnen arge Schwierigkeiten hatten, dranzubleiben und ihren Trainingszustand aufrechtzuerhalten. Andere haben sich motiviert, indem sie in den Zeiten, als es möglich war, an privat organisierten Laufevents teilgenommen haben. Wiederum andere haben das Jahr genutzt, um das Laufpensum ein bisschen herunterzufahren und alternative Trainingsformen einzubauen. Insgesamt ein buntes Potpourri an Strategien.

Wenn ich auf mein Laufjahr 2020 zurückblicke, dann war es vorrangig von meiner Plantarfaszienentzündung geprägt. Nie hätte ich gedacht, dass das so schmerzhaft und vor allem so langwierig sein könnte. Rückblickend kann ich nicht einmal sagen, was der Auslöser war und was genau jetzt am Ende die Linderung gebracht hat. Erstes war vermutlich Überlastung und Letzteres wahrscheinlich die Summe aus verschiedenen Anwendungen: Akupunktur, Faszienbehandlung, Massagen und Aufbautraining.

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Von all dem war allerdings Ende 2019 noch nichts in Sicht. Nach dem letzten Marathon am 30. Dezember hatte ich noch voller Zuversicht geplant: Rennsteiglauf im Mai, Südthüringen-Trail im September, Halbmarathon und Marathon in Berlin und mehrere kleinere Wettkämpfe. Doch selbst wenn sie alle stattgefunden hätten, wäre ich bei keinem einzigen gestartet. Auch das: eine komplett neue Erfahrung.

Eine, die mir viel Geduld abverlangt hat, denn nicht zu laufen, ist für mich eigentlich keine Option. Dickköpfigkeit in dem Falle aber auch nicht und so durfte ich lernen, umzudenken und ich durfte erfahren, dass meine Ferse zügiges Wandern über eine lange Distanz durchaus toleriert und das Wandern zudem ein ernstzunehmender Sport ist.

Vielleicht erinnern Sie sich an meine Erfahrungen mit dem 100 Kilometer Mammutmarsch. Auch wenn wir „nur“ 73 Kilometer geschafft haben, so war es für mich der Startschuss für eine neue Art der Herausforderung, aber vor allem war es die Gelegenheit, endlich wieder Wettkampffeeling zu spüren, mich gemeinsam mit anderen auf eine Strecke zu begeben und am Ende in erschöpfte, aber restlos glückliche Gesichter zu schauen. Mir war bis dahin nicht bewusst, dass mir das so viel bedeutet. Und weil es mich gepackt hat, bin ich im Oktober gleich noch einmal angetreten und habe den „kleinen Mammut“ – die 55 Kilometer absolviert.

Jeannette Hagen läuft gern und schreibt auch darüber.
Jeannette Hagen läuft gern und schreibt auch darüber.
© promo

Das wäre an sich der letzte Wettkampf 2020 gewesen, hätte ich nicht den sehr verlockenden Aufruf von Christoph Kant, der auf Twitter unter dem Namen @TorpedoMitte unterwegs ist, entdeckt, in dem es darum ging, sich seiner Adventhalbmarathon-Challenge anzuschließen. Jeder für sich, jeder in seinem Tempo und am Ende sammeln sich alle unter dem Hashtag #Adventhalbmarathon auf Twitter.

Da konnte ich nicht widerstehen und da die Plantarfaszie auch wieder einsatzbereit war, bin ich am letzten Sonntag meinen ersten und einzigen Halbmarathon dieses Jahres gelaufen. Insgesamt haben sich an allen vier Adventssonntagen 31 Läuferinnen und Läufer angeschlossen und obwohl alle an verschiedenen Orten gelaufen sind, waren wir doch irgendwie eine Gemeinschaft.

Und wenn es eine Geschichte gibt, die wir über das Laufjahr 2020 erzählen können, dann ist es wahrscheinlich die: Wir Läuferinnen und Läufer sind enger verbunden, als wir vermuten. Jeder, der läuft, weiß um die Magie dieser Trainingsart, ob allein, zu zweit oder zusammen mit Tausend anderen bei einem Wettkampf. Wir sehen in den sozialen Netzwerken unsere Zeiten, sehen die Höhenmeter und wissen, was der andere geleistet, wie er oder sie gekämpft hat. Das schweißt zusammen.

Aber nicht nur das. Nach einer Erhebung von 2017 sind 49,2 Prozent der befragten Leistungs- und Freizeitsportler regelmäßig gelaufen. Damit steht der Laufsport an der Spitze und ich bin sicher, dass er seinen Vorsprung 2020 noch ausgebaut hat. Zu Recht, denn es ist eben die Fortbewegungsart, die tief in uns verankert ist. Auch wenn wir es nicht mit der Schnelligkeit eines Gepards oder der Geschmeidigkeit einer Gazelle aufnehmen können, so sind wir doch mehr zum Laufen als zum Sitzen geboren.

Und der Tag, an dem wir wieder unsere Startnummern anheften und gemeinsam das Laufen auf den vielen Events dieser Welt feiern können, rückt näher. Mit dieser Zuversicht im Laufrucksack wünsche ich Ihnen einen tollen Start ins neue Jahr.

Jeannette Hagen

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