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E-Bikes boomen, doch nicht allen Rädern sieht man auf den ersten Blick an, dass sie einen Motor haben.
© dpa/ Roland Weihrauch

Radkolumne „Abgefahren": Wenn das E-Bike als Sportgerät getarnt wird

Mit der Anschaffung eines E-Bikes liegt man voll im Trend. Die Begeisterung unseres Kolumnisten für diese Gattung Räder hält sich allerdings in Grenzen.

Michael Wiedersich ist Sportjournalist und Radsporttrainer. Hier schreibt er im Wechsel mit Läuferin Jeannette Hagen.

Weihnachten steht vor der Tür. Wieder einmal ist es Zeit für kleine und große Geschenke, auch wenn das in diesem Jahr etwas schwieriger werden dürfte. Wenn ich der absolut nicht repräsentativen Umfrage im Freundes- und Bekanntenkreis glauben darf, planen einige von ihnen sogar die Anschaffung eines E-Bikes. Damit liegen sie voll im Trend. Wie das Statistische Bundesamt schon im September mitteilte, soll es in 4,3 Millionen Haushalten Deutschlands bereits mindestens ein E-Bike geben. Und auch die Zweiradindustrie frohlockt. Allein im ersten Halbjahr ist ein Absatzplus bei Fahrrädern mit Elektromotor von fast 16 Prozent vermeldet worden.

In unserem Haushalt hat sich jedenfalls noch kein E-Bike verirrt und das ist auch gut so. Denn meine Begeisterung für diese Gattung Räder hält sich Grenzen. Bei diesem Thema bin ich ein Zweirad-Romantiker, meine Räder werden nur durch die eigene Muskelkraft angetrieben. Natürlich gibt es Gründe, warum so ein Elektro-Doping am Rad für andere Sinn machen könnte. Wenn es zum Beispiel darum geht, möglichst wenig schweißtreibend von A nach B zu kommen, meinetwegen. Oder weil man nicht mehr ganz so fit ist, aber aufs Radfahren nicht verzichten will, okay. Selbst diese schnellen S-Pedelecs, die mit gut 45 Stundenkilometern über den autobefreiten Teil des Kronprinzessinnenweg jagen, lasse ich mir gefallen. Da kann man mit etwas Glück schön im Windschatten mitsegeln, wenn ihren behelmten Piloten nichts dagegen haben. Solchen Rädern sieht man an, dass sie einen Motor haben, da bin ich auch extrem tolerant.

Meine Laune verschlechtert sich erst, wenn das elektromobilisierte Rad als Sportgerät getarnt wird, man es ihm aber nicht ansieht, dass es einen Motor hat. Welch eine Blasphemie, aber das kommt in letzter Zeit häufiger vor. Und es kann sehr peinlich werden. Als ich neulich ein kleines Stück auf der Straße statt im Wald fuhr, hatte ich eine solcher unheimlichen Begegnungen der dritten Art. Auf der Havelchaussee wurde ich im Anstieg zum Grunewaldturm von einem etwas schwergewichtigen Menschen mit Rückspiegel am Helm überholt. Sein Rad sah wie ein normales Rennrad aus, nichts Besonderes also. Bei der schnellen Schätzung seiner Watt-pro-Kilogramm-Leistung war ich mir ziemlich sicher, dass ich ihn früher oder später locker lächelnd überholen werde.

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Als der Herr zur Hälfte des Hügels immer noch vor mir fuhr übermannte mich mein Ehrgeiz. Ich trat deutlich härter in die Pedale und kam auch schnell näher. Als ich fast am Hinterrad war, blickte er in seinen Rückspiegel Danach hörte ich nur noch das leise Surren des Elektromotors und mein neuer Sportsfreund hatte mich abgehängt. Außer Puste schlug ich mich gleich wieder rechts in den Wald und fuhr frustriert geradewegs nachhause.

Vermutlich bin ich einfach nur neidisch auf diese E-Biker, weil sie mit so wenig Aufwand so viel schneller fahren können als ich. Und wenn das so weiter geht, wird es genauso enden wie meine Abneigung gegen Scheibenbremsen. Inzwischen besitze ich sogar zwei Räder mit Scheibenbremsen in meinem Fuhrpark.

Michael Wiedersich

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