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Sabrina Mockenhaupt nimmt sich eine Auszeit.
© Imago

Kolumne „Losgelaufen“: Mütter, entspannt euch doch mal!

Junge Mütter stoßen nach der Geburt oft an ihre Grenzen – auch körperlich. Laufen sollte dann der Entspannung dienen und nicht zum Hochleistungssport ausarten.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Die meisten Läufer oder Läuferinnen, die ich kenne, vergleichen sich gern und haben links und rechts ein Auge darauf, was die anderen in Sachen Laufen so treiben. Wer feiert welche Erfolge, wo klemmt es vielleicht oder wo kann man noch etwas lernen – das sind Fragen, mit denen auch ich mich hin und wieder beschäftige.

Um sie zu beantworten, folge ich auf Instagram oder Twitter einigen Laufgrößen, unter anderem der vielfachen Deutschen Meisterin und Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt. Sie ist eine taffe Athletin und seit Mai dieses Jahres Mutter. Allerdings scheint sich das eine mit dem anderen nicht so recht vertragen zu wollen, jedenfalls postete sie vor ein paar Tagen, dass sie sich eine Auszeit nehmen müsste.

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Ja was denn sonst, dachte ich, nachdem ich gelesen hatte, dass sie weinend nach dem Training nach Hause gekommen war, dass das Stillen an ihr zehren würde und sie nicht mehr die Leistung bringen könnte, die man von ihr gewohnt war. Vielleicht sollten ja Top-Athletinnen ab und zu auch bei uns Freizeitläufern mitlesen, war mein nächster Gedanke.

Dann würden sie eine Ahnung davon bekommen, dass so etwas völlig normal ist. Dass eine junge Mutter, die gleichzeitig stillt und Höchstleistungen vollbringen will, mit aller Wucht an ihre Grenzen stoßen wird, denn das Stillen allein ist schon Höchstleistung genug.

So romantisch das immer daherkommen mag, wenn die Mutter das trinkende Kind in den Armen wiegt, die Wahrheit ist, dass Stillen den mütterlichen Körper extrem beansprucht. Vielleicht ist es weniger die Tatsache, dass der Körper die Milch bereitstellt – das hat die Evolution ja so eingerichtet –, als vielmehr der Umstand, dass man plötzlich komplett auf die Bedürfnisse eines anderen Menschen ausgerichtet ist.

Für ambivalente Gefühle und Zweifel ist kaum noch Raum

Von einem Tag auf den anderen ist man absolut fremdbestimmt und weil das in einer Welt, in der das Muttersein als DAS glücksbringende Ereignis überhaupt gefeiert wird, gern beiseitegeschoben wird, haben ambivalente Gefühle und Zweifel kaum Raum.

Aus meiner Erfahrung heraus fördert aber genau diese Mischung aus Erwartungshaltung, aus dem Druck, weiterhin taff sein zu wollen und dem Wunsch, alles wie gewohnt zu schaffen, jene Überlastungsgefühle.

Ich kann mich gut an die Zeiten nach meinen Entbindungen erinnern – ich wollte auch alles gleichzeitig und bin drei Mal grandios mit diesem Anspruch gescheitert. Mehr noch – einmal fand ich mich sogar mit Mangelerscheinungen und bedenklichen Blutwerten in einer Arztpraxis wieder und durfte lernen, dass ich keiner Sache gerecht werden kann, wenn ich sie alle übers Knie breche. Vor allem nicht meinem eigenen Körper.

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Das gilt natürlich grundsätzlich und nicht nur für junge Mütter. Ich sehe viele um mich herum, die auf mehreren Ebenen gleichzeitig auf einem Höchstlevel fahren, dass mir schwindelig wird und die auch das Laufen dabei nicht mehr als Entspannung, sondern als weitere Spielwiese für maximale Leistung begreifen. Da reicht dann der Marathon nicht mehr, da muss es der Ultralauf sein.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich schätze hohe Ziele, trotzdem möchte ich manchmal rufen: Entspannt Euch, lasst es doch mal laufen. Aber das steht mir nicht zu, denn an die eigenen Grenzen zu stoßen, gehört wohl zu den Erfahrungen, die jeder oder jede am Ende selbst machen muss.

Jeannette Hagen

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