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Pappkameraden: In Mönchengladbach konnten Fans Fotoaufsteller ins Stadion beordern.
© Imago

Fan-Sprecherin über die Bundesliga-Pläne: „Der Fußball kann nicht für die Gesellschaft entscheiden“

Helen Breit ist die Vorsitzende des Fanbündnisses „Unsere Kurve“. Im Interview spricht sie über den Dialog mit der DFL und den Rahmen möglicher Geisterspiele.

Helen Breit, 32, ist die Vorsitzende der Faninitiative „Unsere Kurve“. Das Bündnis setzt sich seit 2005 für die Belange von Fußballfans ein und steht dazu auch im Dialog mit DFL und DFB.

Frau Breit, wie haben Sie den 1. Mai verbracht?
Wir bei „Unsere Kurve“ hatten unser Bundestreffen, diesmal nicht ganz regulär, sondern online. Da ging es unter anderem darum, Erfahrungswerte auszutauschen, etwa bei Fragen zu Rückerstattungen von Tickets und eigenen Fahrten. Und natürlich stand auch die aktuelle Situation im Fußball auf der Agenda.

Die stand auch am selben Abend wieder besonders im Blickpunkt, als der 1. FC Köln drei Fälle von Coronavirus-Infektionen bekanntgab.
Das haben wir dann aber erst im Nachhinein gelesen.

Die Kritik an den Plänen zur Saisonfortsetzung ist danach noch einmal lauter geworden. Sie als Fan-Interessengemeinschaft standen Geisterspielen bislang kritisch gegenüber, ohne sie jedoch klar abzulehnen. Hat sich daran nun etwas geändert?
Wir sind nach wie vor der Meinung, dass es an der Politik liegt, eine Entscheidung zu treffen. Wir sagen ja oft, dass im Fußball die Gesellschaft im Kleinen verhandelt wird. Aber ich glaube, der Fußball kann keine Entscheidungen für die Gesellschaft treffen. Und deshalb ist es die Aufgabe der Politik, auch für den Fußball Entscheidungen zu treffen. Die Politik muss jetzt unabhängig, umsichtig und weitsichtig entscheiden.

Sie stehen regelmäßig im Dialog mit Vereinen und Verbänden, auch mit der DFL. Inwieweit haben Sie sich dabei auch über das Hygienekonzept ausgetauscht?
Alle Rückfragen, die aus unserem Zusammenschluss kommen, stellen wir auch an den DFB und die DFL. Ein großes Thema war die Frage der Testkapazitäten. Das wurde sehr ausführlich diskutiert. Das ist dann ein Austausch von Positionen, Eindrücken und Wahrnehmungen, weil wir immer glauben, dass man mit möglichst vielen Informationen eine bessere Einschätzung vornehmen kann als mit weniger Informationen.

Im Gespräch: Helen Breit ist die Vorsitzende des Fanbündnisses „Unsere Kurve“.
Im Gespräch: Helen Breit ist die Vorsitzende des Fanbündnisses „Unsere Kurve“.
© Arne Amberg

Und wie hat das die interne Stimmungslage beeinflusst?
Wir haben weiterhin ein sehr heterogenes Meinungsbild bei uns. Das reicht von einem Abbruch oder einer Verschiebung der Saison bis hin zu zähneknirschender Akzeptanz für die Fortsetzung. Deshalb nehmen wir keine Wertung vor. Wir können aber geschlossen sagen, dass es nur zu einer Fortsetzung kommen kann, wenn es im Profifußball auch zu Reformprozessen kommt.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?
Der offensichtlichste Punkt ist die finanzielle Nachhaltigkeit von Vereinen. Das liegt so offen da wie nie. Auch die gerechtere Verteilung von TV-Geldern ist ein Thema. Das steht in Verbindung damit, mehr Gerechtigkeit zwischen den Ligen herzustellen. Außerdem wünschen wir uns einen offenen Diskurs über Gehaltsobergrenzen und dass der Fußball auch seine Rolle nutzt, politisch darauf hinzuwirken, die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

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Haben Sie den Eindruck, dass Liga und Vereine Ihre Anliegen ernst nehmen?
Wir haben das ins Spiel gebracht und die Antwort erhalten, dass es einen Reformprozess geben wird. Die DFL hat ja in Person von Christian Seifert eine Taskforce zur Zukunft des Profifußballs angekündigt, auch einzelne Vereine haben sich geäußert. Das begrüßen wir sehr.

Wir haben kommende Woche erneut eine Ad-hoc-Gruppe und werden dort noch mal den Zeitpunkt der Einrichtung dieser Taskforce thematisieren, weil aus unserer Sicht der Herbst dafür zu spät ist. Das muss jetzt passieren. Und wir werden auch über die Beteiligung von Fans daran sprechen, das kann man aus unserer Sicht nicht außen vor lassen.

Trübe Aussichten: Für Fußballfans wird es so schnell keine Spiele im Stadion geben.
Trübe Aussichten: Für Fußballfans wird es so schnell keine Spiele im Stadion geben.
© Imago

Ist der Profifußball in den vergangenen Wochen demütiger geworden?
Ich habe den Eindruck, dass der Fußball verstanden hat, dass er sich selbstkritisch hinterfragen muss. Das machen die einen sehr intensiv und die anderen weniger. Jetzt gilt es, weiter daran zu arbeiten, dass es nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt.

Demut wird ja auch gerade dadurch eingefordert, dass man sagt, der Fußball muss seine wirtschaftlichen Interessen komplett hinter alles stellen. Und das ist noch eine andere Diskussion als darüber, was anders laufen muss, damit die Entfremdung zwischen Fans und Profifußball nicht weiter voranschreitet.

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Gehen die Fans aber nicht gerade jetzt völlig unter, wenn es tatsächlich Geisterspiele geben sollte?
Wenn es dazu kommt, dann müssen die Spiele frei zugänglich sein, für die, die es wollen. Niemand darf in ein Bezahlabonnement gedrängt werden. Außerdem weisen wir alle Versuche zurück, Fankultur durch irgendwelche Maßnahmen wie zum Beispiel Apps zu ersetzen. Tribünen dürfen nicht als Werbeplattformen benutzt werden. Und die Repräsentation von Fans darf nur von der aktiven Fanszene ausgehen. Die Tribüne und die Fankultur gehören den Fans und sind unantastbar.

Leonard Brandbeck

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