Unser Blog zur Fußball-Bundesliga: Der Fall Spahic: Leverkusen greift durch - zum Ärger der Ultras
Außerdem in unserem Bundesliga-Blog: Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach, das Saisonaus für Alex Meier, der Hamburger SV und Thomas Tuchel
16:15 Uhr: Welche Folgen es hat, wenn eine Vereinsführung sich mit den Ultras in der Kurve anlegt, ist gerade in Hannover zu sehen. Kein Verständnis für die Fans von seiten des Vereins heißt im Umkehrschluss nichts anderes als keine Stimmung im Stadion. So einfach ist das. Dass man nicht immer vor den Ultras kuschen darf, hat Bayer Leverkusen jetzt gezeigt. Beim Spiel in Mainz hing am Samstag ein Banner am Zaun vor der Leverkusener Kurve. "Emir, einer von uns." Gemeint war Emir Spahic, der zu diesem Zeitpunkt in Leverkusen allenfalls noch über einen Duldungsstatus verfügte.
Spahic war nach dem Pokalspiel der Leverkusener gegen die Bayern in eine Prügelei mit einem Bayer-Ordner verwickelt. Wobei, verwickelt ist eine wohl etwas zu harmlose Formulierung. Videoaufnahmen zeigen, dass der bosnische Innenverteidiger wie ein brutaler Schläger auf die Ordner eingedroschen hat.
Aber Gewalt gegen Ordner ist eben für viele Ultras höchstens putative Notwehr und damit nicht zu beanstanden. Vermutlich werden sie demnächst Doppelhalter mit Spahics Konterfei hochhalten, ihn zum Ehrenmitglied der "Sektion Stadionverbot" ernennen und extra für ihn die Fahne mit der Aufschrift "Ausgesperrte immer bei uns" schwenken. Mal sehen, wie die Leverkusener auf die Entscheidung des Vereins reagieren, den Vertrag mit Spahic aufzulösen. Vielleicht schweigen sie ja beim nächsten Spiel aus Protest. Das wäre jedenfalls mal was ganz Neues: dass man Leverkusens Fans gar nicht hört.
15:25 Uhr: Auf die Frage "Muss Thomas Tuchel sofort beim Hamburger SV einspringen?" antwortet unser Leser rob1969 (siehe Kommentar unten): "Er muss gar nichts. Überhaupt sollte er Abstand von dem Verein nehmen, der in den letzten zehn Jahren so viele Trainer verschlissen hat, dass ein Scheitern quasi programmiert wäre. Das hat schon was von Schalker und Stuttgarter Zuständen."
Ich vermute mal, dass rob1969 mit dieser Ansicht nicht alleine steht. Dass es überhaupt viele wundert, welche Faszination dieser HSV offensichtlich auf Tuchel ausstrahlt; auf den Trainer also, der seit Monaten als der heißeste Sch... im deutschen Fußball gehandelt wird. Trotzdem: Die "Süddeutsche Zeitung" zitiert in ihrer heutigen Ausgabe Tuchels Berater mit den Worten: "Thomas würde den HSV gerne machen, wenn gewisse Voraussetzungen stimmen."
Wenn man vor anderthalb Wochen das Interview mit Tuchel in der "Zeit" gelesen hat, muss man wohl davon ausgehen, dass Tuchel eher nicht davon ausgeht, dass er beim HSV scheitern wird. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm definitiv nicht. Und wo kann Tuchel eindrucksvoller beweisen, dass er ein herausragender Trainer ist, als bei dem Verein, bei dem alle Trainer zuletzt krachend gescheitert sind? Dazu ist der HSV immer noch ein Klub mit großer Außenwirkung (anders als Mainz oder Rasenballsport Leipzig), zudem hat der HSV sich so weit ruiniert, dass die dafür verantwortlichen Herren aus der Führungsebene Tuchel nur schwer ins Tagesgeschäft reinreden kann. Im Gegenteil: Der neue Trainer wird in Hamburg freie Hand bekommen – plus ein, wenn die kolportierten Zahlen stimmen, recht anständiges Gehalt.
15:00 Uhr: Die Verzweiflung in Hamburg muss schon ziemlich groß sein, wenn man auf die Idee kommt, dass im Abstiegskampf das Restprogramm für den HSV sprechen könnte. Aber bitte, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann: Nach dem Nordderby in Bremen empfängt der HSV Augsburg, anschließend muss er nach Mainz, empfängt Freiburg, muss nach Stuttgart und hat zum Saisonabschluss den FC Schalke 04 zu Gast. Mal abgesehen davon, dass für die Hamburger in ihrer aktuellen Verfassung jedes Restprogramm schwer wäre, weil sie in jedem Spiel und gegen jeden Gegner der Außenseiter wären – mit Mainz, Freiburg und Stuttgart trifft der HSV auf drei direkte Konkurrenten, die nichts zu verschenken haben; Werder wird sowieso alles tun, um dem ungeliebten Nordrivalen weh zu tun, und der FC Augsburg kämpft noch um die Qualifikation für die erste Europacupteilnahme der Vereinsgeschichte. Stand heute, könnte allein Schalke am letzten Spieltag ein Segen für die Hamburger sein. Wenn bis dahin alles entschieden ist und die Schalker die Saison nur noch austrudeln lassen wollen.
14:45 Uhr: Für jeden nur drei Trainer! Hamburgs Sportchef Dietmar Beiersdorfer hat nach der Niederlage gegen Wolfsburg ausgeschlossen, dass der Klub in dieser Saison noch einmal den Trainer wechselt. Das muss aber nichts heißen: Klaus Allofs hat Ende Januar auch dementiert, dass der VfL Wolfsburg André Schürrle verpflichten wird.
In verantwortlicher Position bei einem Fußball-Bundesligisten ist man gewissermaßen zu einem taktischen Umgang mit der Wahrheit gezwungen. Auf den HSV bezogen heißt das: Jetzt auch nur den kleinsten Zweifel am ohnehin schon beschädigten Peter Knäbel aufkommen zu lassen wäre taktisch äußerst unklug.
Egal, was Beiersdorfer sagt: Sollte der HSV am Wochenende das Nordderby bei Werder Bremen verlieren, wird Hamburgs Sportchef gar nicht umhinkönnen, als den Trainer erneut auszutauschen. Natürlich wird der Klub auch noch die letzte, die kleinste Möglichkeit ausschöpfen, um das Unabwendbare abzuwenden. Und wenn es die Peinlichkeit eines weiteren Trainerwechsels wäre.
Die Frage ist nur: Springt für die Kurzstrecke ein Feuerwehrmann ein, der nach dann fünf Spielen den Platz für Thomas Tuchel wieder räumen muss? Oder sagt sich Tuchel: Bevor ich im Sommer bei einem Zweitligisten gewissermaßen unter null anfangen muss, versuche ich doch lieber selbst, den Abstieg noch zu verhindern? Es gibt einige Punkte, die gegen diese Variante sprechen. Da ist zum einen Tuchels vertragliche Situation. Er ist nicht frei in seinen Entscheidungen, sondern immer noch beim FSV Mainz angestellt. Würde er tatsächlich noch in dieser Saison beim HSV anfangen wollen, müsste der Klub sich erst mit Tuchels bisherigem Arbeitgeber einigen. Nur, warum sollte Mainz den Trainer freigeben, zumal an einen Konkurrenten im Abstiegskampf? "Thomas hat mit Mainz 05 eine Vereinbarung getroffen, die vorsieht, dass er erst in der kommenden Saison wieder einsteigen kann. Und er will sich an diese Vereinbarung halten", sagte Tuchels Berater Olaf Meinking der Deutschen Presse-Agentur.
Das zweite Argument, das gegen ein sofortiges Engagement in Hamburg spricht: Tuchel soll den HSV langfristig neu erfinden soll – und kann sich mit der Mannschaft in ihrer aktuellen Verfassung nur selbst beschädigen. Eine solche Erfahrung hat Ralf Rangnick ganz zu Beginn seiner Trainerkarriere gemacht. Mit dem SSV Ulm war er auf dem besten Weg, den Durchmarsch von der dritten in die erste Liga zu schaffen. Kurz vor dem zweiten Aufstieg hintereinander aber erklärte er sich bereit, den VfB Stuttgart im Abstiegskampf zu übernehmen, zu dem er ohnehin zur neuen Saison gewechselt wäre. Rangnick schaffte zwar mit dem VfB den Klassenerhalt, hatte in Stuttgart aber nie die Chance, sich als Konzepttrainer zu positionieren, der langfristig arbeitet.
14:15 Uhr: Während unser Kolumnist Frank Lüdecke mit der revolutionären Idee glänzt, der HSV sollte es mal ohne Trainer diskutieren, denkt das Fußball-Establishment weiterhin in den gewohnten Bahnen. Und das heißt: Der HSV muss noch einmal den Trainer wechseln, wenn er noch eine Chance haben will, über das Saisonende hinaus in der Bundesliga zu bleiben. Felix Magath ist natürlich „grundsätzlich immer bereit“, wenn sein Ex-Klub Hilfe benötigt. Gerüchteweise wird jetzt in Hamburg auch mal wieder der Name Bruno Labbadia gehandelt. Wobei man die Frage stellen muss, ob sich aus dem Zusammengehen zweier Gescheiterter wirklich eine Win-win-Situation für beide ergeben könnte. Wäre Labbadia tatsächlich in der Lage, mit dieser Trümmertruppe den Klassenerhalt zu schaffen? Und würde er sich im Gegenzug mit einem erfolgreichen Feuerwehrmann-Job wieder für richtige Trainerjobs interessant machen? Oder steckte er dann erst recht in der Schublade mit dem Aufdruck Feuerwehrmann fest? (In der Schublade hat bisher Peter Neururer gewohnt, aber der ist gerade ausgezogen. Für immer.)
Das Problem ist, dass der HSV im Moment nur Kurzzeitverträge vergeben kann. Zur neuen Saison soll nämlich Thomas Tuchel als Trainer kommen, von diesem Plan sind die Macher in Hamburg nicht mehr abzubringen, was - man wagt es kaum zu schreiben - erst einmal kein schlechter Plan ist. Nur deshalb, nämlich als Platzhalter für Tuchel, hat sich Peter Knäbel ja auch bereit erklärt, kurzfristig als Trainer einzuspringen. Dieser Plan wiederum hat sich als nicht besonders gut herausgestellt. Knäbel fehlt jede Erfahrung als Trainer auf diesem Niveau, und das ist auch an seiner bisherigen Bilanz abzulesen, mehr noch aber an den Auftritten seiner Mannschaft: Zwei Spiele, null Tore, sechs Gegentore – so lautet die Ausbeute des Interimstrainers, wobei man zu Knäbels Ehrenrettung nicht verschweigen sollte, dass die Gegner Leverkusen und Wolfsburg, zwei designierte Champions-League-Starter, hießen. Aber ist es im Moment nicht egal, gegen wen der HSV spielt?
13:45 Uhr: Wie sehr die stolze Stadt Hamburg unter dem Niedergang des einst ebenso stolzen HSV leidet, zeigt eine bemerkenswerte Aktion der "Hamburger Morgenpost". Für das Boulevardblatt ist der HSV an diesem Montag das "Thema des Tages" gewesen. "Das macht HSV-Fans jetzt noch Hoffnung" lautet die Überschrift – über zwei leeren Seiten. Wer weiß, dass Zeitungsjournalisten immer über zu wenig Platz meckern und die hohen Papierpreise beklagen, kann ungefähr ermessen, wie groß der Leidensdruck in Hamburg gerade ist.
Eigentlich sollte der HSV hier und heute mal kein Thema sein, nachdem ich schon in der vergangenen Woche vehement für einen Abstieg plädiert habe. Aber die Mannschaft lässt einem ja keine Wahl. Am Wochenende hat sie es endlich wieder auf den letzten Tabellenplatz geschafft, weil der VfB Stuttgart gegen Werder Bremen gezeigt hat, wie Abstiegskampf geht, selbst in Unterzahl. Der HSV kriegt das seit Wochen nicht hin. Das 0:2 gegen Wolfsburg war das fünfte Spiel hintereinander, in dem die Mannschaft kein Tor erzielt hat. Erst einmal hat es das in der großen Geschichte des Klubs gegeben: in der Hinrunde dieser Saison.
Nach der vergangenen Spielzeit hat man ja gedacht, so schlimm wird es für die Hamburger vermutlich nie mehr werden. Damals retteten sie sich mit gerade 27 Punkten und viel Dusel doch noch vor dem Abstieg. Ein solches Szenario ist nach dem Eindruck der vergangenen Woche auszuschließen. "Der Abstieg scheint nicht mehr abwendbar", schreibt der "Kicker". Warum eigentlich scheint?
13:15 Uhr: Jetzt hat Eintracht Frankfurt auch Details zur Verletzung von Alexander Meier bekannt gegeben. Er wird morgen an der Patellasehne operiert.
12:50 Uhr: Die ersten Entscheidungen in der Bundesliga sind gefallen: Bayern München ist direkt für die Champions League qualifiziert, der VfL Wolfsburg zumindest für die Qualifikationsrunde, und der Hamburger SV steigt als Tabellenletzter ab. In der eminent wichtigen Frage, wer Torschützenkönig wird, ist zumindest eine Vorentscheidung gefallen. Der derzeit Führende Alex Meier (19 Tore) vermutlich nicht. Nach Angaben seines Vereins fällt Meier bis zum Saisonende aus. Da auch der Zweite Arjen Robben (17) derzeit verletzt ist, läuft jetzt vieles auf Robert Lewandowski (16) hinaus.
12:30 Uhr: Die Schnecken rennen wieder. Diesmal nicht um den Klassenerhalt, sondern um die Qualifikation für den Europapokal. Immerhin geht es um die in Deutschland ach so beliebte Europa League. Ich bin ja der Ansicht, dass dem Wettbewerb hierzulande Unrecht getan wird. Aber auf mich hört ja niemand (nicht mal in dieser Redaktion).
Offensichtlich halten die Anwärter auf die Europa League ebenfalls nicht allzu viel von diesem Wettbewerb. Die aussichtsreichsten Bewerber haben es in jüngerer Vergangenheit allesamt auf den Punkteschnitt eines Abstiegskandidaten gebracht: In den vergangenen acht Spielen war Hoffenheim mit elf Punkten noch am, nun ja, stabilsten. Eintracht Frankfurt kommt auf zehn, Bremen auf neun, Schalke auf sieben und Augsburg nur auf sechs. Dass kein Bundesligist die Chance ernsthaft zu nutzen versucht, könnte man also als Widerstand gegen Fußball am Donnerstag deuten: Damit täte man den Schalkes, Augsburgs und Hoffenheims aber wohl zu viel der Ehre an. Sie können derzeit einfach nicht besser.
Thomas Eichin, der Sportdirektor der Bremer, war nach der 2:3-Niederlage seiner Mannschaft beim Tabellenletzten Stuttgart „sauer wie noch nie“. In Überzahl und in der Nachspielzeit kassierten die Bremer den finalen Gegentreffer. „Ich will nicht ständig hören, dass die Spieler nach Europa wollen“, hat Eichin gesagt, nachdem Werder den Sprung auf Platz sieben verpasst hatte. „Ich will es sehen.“
Immerhin haben die Bremer damit kein Alleinstellungsmerkmal. Nimmt man mal an, dass entweder Bayern oder Wolfsburg den DFB-Pokal gewinnt und dadurch auch Platz sieben in diesem Jahr zur Qualifikation für die Europa League genügte, hat sogar Hertha BSC noch Chancen auf eine Europapokalteilnahme. Hoffenheim (derzeit Siebter) liegt gerade mal vier Punkte vor den Berlinern. Und vor den Dortmundern. Aber die spielen (siehe unten) jetzt nicht um Europa, sondern gegen den Abstieg.
12:00 Uhr: Noch einmal zurück zu Borussia Mönchengladbach. Auch wenn der Klub in der vergangenen Woche im Viertelfinale des DFB-Pokals eine große Chance ausgelassen hat, sportlich noch stärker auf sich aufmerksam zu machen, und sich viele Fans an vergangene Zeiten erinnert fühlten: Die Entwicklung scheint eine stabile Basis zu haben.
Die Gladbacher sind erfolgreich auf allen Ebenen. Neben Bayern, Dortmund, Schalke und Leverkusen sind sie der einzige Klub, der in den vergangenen vier Jahren immer auf einem einstelligen Tabellenplatz gelandet ist. Das wird auch in diesem Jahr wieder so sein – anders als vielleicht bei Borussia Dortmund. Die zweite Mannschaft ist Tabellenführer der Regionalliga West und könnte sich zum ersten Mal für die eingleisige Dritte Liga qualifizieren. Bei der Mitgliederversammlung am kommenden Montag wird die Borussia vermutlich einen Umsatzrekord verkünden sowie einen stattlichen Gewinn. Allerdings stößt der Klub langsam an seine Grenzen. Der Zuschauerschnitt wird zum dritten Mal jenseits der 50.000 liegen. Viel mehr ist bei 54.010 Plätzen im Borussia-Park nicht drin. Auch bei der Verteilung des Fernsehgeldes (derzeit Platz fünf) sind keine großen Sprünge mehr drin.
Große Sprünge sind nur möglich, wenn es die Gladbacher zum ersten Mal in die Champions League schaffen. Platz drei, den die Mannschaft derzeit besetzt, würde zur direkten Teilnahme berechtigen. Platz vier bedeutete den Umweg über die Qualifikation. Mit der hat die Borussia vor drei Jahren nicht die beste Erfahrung gemacht, als sie in den Play-offs an Dynamo Kiew scheitertn. Aber die damalige Mannschaft, ein Team im Umbruch ohne jegliche Europacuperfahrung, ist mit der heutigen kaum noch zu vergleichen.
11:40 Uhr: Das besondere Zitat: „Aus der Sache bin ich dann nicht mehr rausgekommen.“ Jonas Hector vom 1. FC Köln zu seinem Sololauf durch die Hoffenheimer - hüstel, hüstel - Abwehr, den er mit seinem zweiten Saisontor zum zwischenzeitlichen 3:1 für den FC abschloss.
11:35 Uhr: Die Gladbacher sind inzwischen in vielem ein Gegenmodell zum BVB - ohne dass sie dies explizit angestrebt hätten. Während die Dortmunder taktisch an ihre Grenzen gelangt zu sein scheinen, haben die Gladbacher ihr Repertoire inzwischen entscheidend erweitert. Die Borussia von Lucien Favre kann Konterfußball genauso wie Ballbesitzfußball.
Während der BVB sich an den Bayern abzuarbeiten versucht (was noch nie was gebracht hat, außer Problemen vielleicht), machen die Gladbacher ihr eigenes Ding. Warum auch sollte Max Eberl, Borussias Sportdirektor, sich in einen Zweikampf mit den Bayern verstricken? Er akzeptiert ihre fast gottgegebene Stärke und empfindet keinen Neid auf deren beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, weil er selbst bei den Bayern sozialisiert worden ist und immer noch eine Grundsympathie für den Klub empfindet.
Während der BVB darüber jammert, dass die Bayern sich schamlos in ihrem Kader bedienen und dadurch nicht nur sich selbst stärken, sondern auch ihren ärgsten Konkurrenten schwächen, akzeptieren die Gladbacher die unveränderlichen Gesetze des Fußballs einfach. "Für mich ist das leider eine Logik, die im Fußball herrscht", hat Eberl im Winter im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. "Und sich Logiken zu widersetzen, macht aus meiner Sicht keinen Sinn." Die Gladbacher haben ja kaum weniger wichtige Spieler verloren als die Dortmunder: Torhüter Marc-André ter Stegen, Dante, Roman Neustädter, den damaligen Fußballer des Jahres Marco Reus (an den BVB übrigens), und im Sommer folgt dann Weltmeister Christoph Kramer.
Dass all diese Veränderungen derzeit weit weniger ins Gewicht fallen als der Verlust von Sahin, Kagawa, Götze und Lewandowski bei den Dortmundern, hat vor allem damit zu tun, dass die Gladbacher, vor allem bei den Transfers, ein paar richtige Entscheidungen mehr getroffen haben als die Dortmunder. Wobei sich das natürlich auch schnell wieder ändern kann. "Es geht um Menschen und damit auch um Emotionen", sagt Eberl. Natürlich sind die Gladbacher und ihr Sportdirektor nicht davor gefeit, falsche Entscheidungen zu treffen. Im Sommer zum Beispiel hätten sie liebend gern einen gewissen Matthias Ginter vom SC Freiburg verpflichtet.
11:00 Uhr: Die Schwäche der einen Borussia lenkt den Blick quasi automatisch auf die Stärke der anderen, die das direkte Duell am Samstag mit 3:1 für sich entschieden hat. Die „FAZ“ hat dem BVB schon vor einer Woche empfohlen, sich die frischere und taktisch klügere Borussia aus Gladbach zum Vorbild zu nehmen. Genauso atemberaubend wie der Absturz der westfälischen Borussia ist ja der Aufschwung der Borussia vom Niederrhein.
Nur zur Erinnerung: Vor vier Jahren, als der BVB auf direktem Weg zu seiner ersten Meisterschaft unter Klopp war, befanden sich die Gladbacher in freiem Fall Richtung Zweiter Liga. Am 28. Spieltag der Saison 2010/11 lagen sie genau da, wo der Hamburger SV sich heute befindet: auf dem letzten Tabellenplatz mit sogar noch zwei Punkten weniger als der HSV jetzt und fünf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz.
Was seitdem in Mönchengladbach passiert ist, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bei 20 Punkten Vorsprung und nur noch sechs ausstehenden Spielen steht schon jetzt fest, dass die Gladbacher die Saison vor dem BVB abschließen werden – zum ersten Mal seit 1990/91, als der VfL als Neunter einlief und der BVB mit einem Punkt weniger auf Platz zehn.
Daraus schon einen Trend abzuleiten wäre ein wenig verfrüht: Die Dortmunder haben sich mit ihren Erfolgen in den vergangenen Jahren in jeder Hinsicht eine stabile Basis geschaffen. Finanziell steht der Klub glänzend da. Vorstandschef Hans-Joachim Watzke hat vor einigen Wochen, als der BVB noch in akuter Abstiegsnot steckte, gesagt, dass selbst ein Abstieg in die Zweite Liga "keine ökonomische Komplettkatastrophe" wäre; vom Umsatz her würde der BVB weiterhin zu den Top Ten im deutschen Fußball gehören.
Die Dortmunder haben immer noch eine ganz andere Ausstrahlung als die Gladbacher Borussia, die zwar wegen ihrer historischen Erfolge in den Siebzigern zu den beliebtesten Vereinen in Deutschland zählt, aber eben auch mehr als drei Jahrzehnte, mit punktuellen Ausnahmen, im Mittelmaß (wenn überhaupt) herumdümpelte. Das macht sich für den BVB natürlich finanziell deutlich bemerkbar, der Werbeumsatz dürfte um einiges höher sein als der der Gladbacher. Vor allem die Erfolgsjahre unter Jürgen Klopp haben den Klub in jeder Hinsicht weit nach vorne gebracht. Die Fanbasis hat sich erheblich vergrößert. Um es mal etwas pointiert auszudrücken: Der Erfolgs- und Eventfan hat in den vergangenen Jahren Schwarz-Gelb getragen.
10:20 Uhr: Inzwischen hat man das Gefühl, dass es beim Thema Dortmund um eine Grundsatzdebatte geht: Haben wir es es mit einer temporären sportlichen Delle zu tun – oder liegt der Fehler im System? Im System Klopp? Prominentester Vertreter der Systemtheorie ist der Philosoph Wolfram Eilenberger, der sich denkbar kritisch mit der Rolle von Trainer Jürgen Klopp auseinandergesetzt hat und dem BVB in einem Interview mit "Zeit online" schwere Managementfehler vorgeworfen hat: "Die äußere Zensur ist in Dortmund meinem Eindruck nach aber auch zu einer inneren geworden, zum Denkverbot. Dortmund, wie es sich in der späten Vorrunde zeigte, war kein Verein mehr, sondern eine Sekte. Und zwar mit allen klassischen Attributen: Artikulationsverbote, totale Gemeinschaftssuggestion, unbedingter Erlöserglaube." Für Eilenberger ist das bedingungslose Festhalten an Klopp ein Ausdruck von Romantik, "und zwar der schlechten Art".
Man kann natürlich auch anderer Ansicht sein. Ich selbst habe in einer frühen Phase der Saison gegen das reflexhafte Aufkommen einer Trainerdiskussion in Dortmund angeschrieben. Es ging mir dabei nicht um Klopps historische Verdienste; es geht um seine Fähigkeiten als Trainer, es geht darum, dass er dem BVB mit seiner Art von Fußball eine neue Identität gegeben hat, dass er in gewisser Weise sinnstiftend war.
Inzwischen scheint mir, dass die Krise der Dortmunder auch etwas mit Klopps Art von Fußball zu tun hat, die davon lebt, dass das Gaspedal immer bis zum Anschlag durchgetreten wird. Oder, um es mit Eilenberger zu sagen: "In Dortmund regiert weiterhin der Wille zum totalen Intensitätsüberschuss." Die "FAZ" hat Klopp indirekt ein die Spieler verbrennendes System unterstellt? Wie lang hält es eine Mannschaft aus, immer bis zum Äußersten gehen zu müssen? Beim BVB waren es immerhin fast vier Spielzeiten.
Man kann natürlich auch fragen: Wie lange hält es ein Trainer aus, seine Mannschaft immer zum Äußersten treiben zu müssen?
10:00 Uhr: Der Werdegang von Borussia Dortmund belegt eine besondere Stärke der Bundesliga. Oder um es wertfrei auszudrücken: eine besondere Qualität. Die Leistungsdichte ist - von den Bayern oben und dem HSV unten vielleicht mal abgesehen - so hoch wie vermutlich in keiner anderen europäischen Spitzenliga. An einem guten Tag kann auch der 17. den 2. schlagen, und an einem schlechten kann der 3. gegen den 16. verlieren. Um weit oben zu landen, muss man schon ziemlich viel richtig machen. Und wer mehr falsch macht als die Konkurrenz, kann, unabhängig von seiner wirtschaftlichen Potenz und dem Klang seines Vereinsnamens, ganz schnell ganz unten landen.
Wenn man sich die Transfers der Dortmunder in den vergangenen beiden Jahren anschaut, hat der BVB, um es mal vorsichtig auszudrücken, zumindest nicht allzu viel richtig gemacht. Als Verstärkungen würde ich Verteidiger Sokratis und Pierre-Emerick Aubameyang gelten lassen. Dem gegenüber stehen: Milos Jojic, Henrich Mchitarjan, Adrian Ramos, Matthias Ginter, Ciro Immobile und zuletzt Kevin Kampl. Auch mit den Nostalgietransfers von Shinji Kagawa und Nuri Sahin haben die Dortmunder alles andere als richtig gelegen. Die Rückholaktion der verlorenen Söhne war mehr von Gefühlen geleitet als von kühlem Verstand.
Vielleicht ist das das tiefere Problem der Dortmunder. Dieser Hang zum steten Überschwang, der sich auch in den Bewertungen des Personals äußert. Ich erinnere mich noch, mit welcher tiefen Begeisterung sich Jürgen Klopp vor anderthalb Jahren über Mchitarjan ausgelassen hat, der den Klub immerhin 27,5 Millionen Euro gekostet hat – deutlich mehr also als Marco Reus. Klopp hat der Welt ja tatsächlich weismachen wollen, dass Mchitarjan (der teuerste Transfer des BVB überhaupt) für diesen Preis ein echtes Schnäppchen gewesen sei. Wenn der Armenier nämlich nicht in Donezk gespielt hätte, sondern bei einem der europäischen Renommierklubs, hätte man 50 Millionen für ihn bezahlen müssen. Der vermeintliche 50-Millionen-Mann ist längst das traurige Gesicht der Dortmunder Krise. In 33 Pflichtspielen in dieser Saison kommt er auf zwei Tore und zwei Vorlage. Selbst für ein 27,5-Millionen-Schnäppchen eine recht dünne Ausbeute.
9:15 Uhr: Immerhin ist der BVB auch in dieser Saison noch zu Bestleistungen fähig. Manager Michael Zorc bekam sich kaum noch ein – vor Ärger. "Ich glaube, das ist absoluter Weltrekord", sagte er und meinte die Tatsache, dass seine Mannschaft in Mönchengladbach zum dritten Mal in dieser Saison ein Gegentor in der ersten Minute kassierte. Nach Karim Bellarabi für Leverkusen und Elki Soto für Mainz traf diesmal Oscar Wendt nach 29 Sekunden. Auch wenn er damit volle zwei Sekunden länger brauchte als ein gewisser Jupp Heynckes am 29. April 1978 (Endstand: 12:0): „Das sagt viel aus, das ist Schläfrigkeit“, klagte Zorc.
Die Zahlen sind generell nicht gut für die Dortmunder. Das 1:3 in Mönchengladbach war die 13. Niederlage in dieser Saison – das sind so viele wie in den vergangenen beiden Spielzeiten zusammen. Kein Wunder, dass der BVB im Moment keine besonders gute Presse hat. "Borussia Dortmund bleibt ein von zahllosen Problemen gebeutelter Krisenklub", schreibt die "Berliner Zeitung". Der "Kicker" konstatiert "die Komplettentzauberung eines Teams" und macht "bedrohliche Symptome von Erschöpfung und Abnutzung" aus. Die Mannschaft spiele "furchtbar schlafmützig, seltsam temperamentlos und fußballerisch mittellos". Das alles steht unter der Überschrift "Ein Bild des Jammers".
Angesichts solcher Zahlen und Leistungen darf laut „Kicker“ jetzt auch der Trainer kein Tabuthema mehr sein. "Klopp steht manchmal in seiner Coachingzone, als triebe er auf einem Floß im Nirgendwo." Auch die "Bild" fragt: "Ist es noch echte Liebe?" und kolportiert das Gerücht, dass Klopp ähnlich wie Pep Guardiola oder Thomas Tuchel über ein Sabbatjahr nachdenke.
8:50 Uhr: Journalismus ist schon seinem Namen nach Tagesgeschäft. Jour, das französische Wort für Tag, steckt darin. Als Journalist denkt man nicht in großen Linien, als Journalist denkt man immer nur an die nächste Ausgabe – was bisweilen Wendungen in Rekordtempo zur Folge hat. Wenn man sich als Reporter, sagen wir, hauptberuflich mit Borussia Dortmund beschäftigen muss, bedeutet das nichts anderes, als dass man im Wochenrhythmus seine Meinung ändern muss. Exemplarisch seien hier zwei Passagen aus dem „Kicker“ zitiert. Da hieß es am Tag nach dem Ausscheiden aus der Champions League gegen Juventus Turin: „Statt einer Gala liefert Borussia Dortmund die große Ernüchterung. Dem Team von Jürgen Klopp droht ein trostloser Saisonausklang.“ In der nächsten Ausgabe, vier Tage später und nach einem 3:2-Sieg in Hannover, war dann über den BVB zu lesen: „Schluss mit der Angst vor einem Abstieg! Dortmund nimmt wieder Kurs auf Europa.“
Ähnliche Schwankungen haben die Anhänger des Klubs auch in der vergangenen Woche erlebt. Dem Einzug ins Pokalhalbfinale am Dienstag folgte am Samstag die Niederlage in Mönchengladbach. Statt vom Europapokal redete Trainer Klopp nach dem 1:3 gegen die andere Borussia wieder vom Abstiegskampf und den beiden anstehenden, eminent wichtigen Heimspielen gegen Paderborn und Frankfurt. Ja, das ist eine bittere Erkenntnis für einen Klub, der sich gerade wieder ans Gewinnen gewöhnt hat; es ist nach den Eindrücken dieser Saison aber wohl die realistischere Einschätzung als das Geschwafel vom Europapokal.
Man hat ein bisschen das Gefühl gehabt, dass die Dortmunder das Thema Europa selbst in höchster Not immer noch im Hinterkopf gehabt haben, von wegen: Wir sind doch eigentlich viel zu gut für den Abstiegskampf. Wenn wir uns erst einmal gefangen haben, legen wir richtig los und eine Serie hin, die uns am Ende sogar noch in die Champions League tragen wird. Es sind weniger die beiden jüngsten Niederlagen (gegen Bayern und Gladbach), die solche Gedankenspiele endgültig ad absurdum geführt haben, es ist die fehlende Konstanz der Mannschaft, vor allem aber die mangelnde Qualität.