Grindel erklärt sich: Der Fall Özil wird zur Staatsaffäre
Tagelang hat der DFB-Präsident zu den Vorwürfen von Mesut Özil geschwiegen. Nun erklärt er sich erstmals - und erntet Kritik von Wolfgang Schäuble.
Vier lange Tage hatte er alle warten lassen auf seine Worte. Politiker, Fans, Trainer und die vielen Ehrenamtlichen, die sich Woche für Woche auf den Sportplätzen dieses Fußballlandes für ihre Vereine ins Zeug legen. Aus Sicht des Fußballspielers Mesut Özil kommen seine Worte sicherlich einige Tage, wenn nicht gar Wochen zu spät. Aber immerhin hat sich Reinhard Grindel jetzt geäußert – und das für seine Verhältnisse durchaus persönlich und selbstkritisch. Nur Konsequenzen für sich zieht er nicht. „Ich gebe offen zu, dass mich die persönliche Kritik getroffen hat“, ließ der der Präsident des Deutschen Fußball- Bundes (DFB) über die Homepage des Verbands mitteilen.
Gemeint war der Vorwurf des Rassismus, den Özil am Sonntag so nachhaltig über Facebook und Twitter verbreitet hatte – und der seither mehr als alles andere hierzulande diskutiert wird. „Rückblickend hätte ich als Präsident unmissverständlich sagen sollen, was für mich als Person und für uns alle als Verband selbstverständlich ist: Jegliche Form rassistischer Anfeindungen ist unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar“, ließ Grindel jetzt mitteilen. „Das galt im Fall Jerome Boateng, das gilt für Mesut Özil, das gilt auch für alle Spieler an der Basis, die einen Migrationshintergrund haben.“
Özils Rücktritt sucht seinesgleichen
Der 29-jährige Özil war aus der deutschen Nationalmannschaft zurückgetreten wie kein Fußballer vor ihm. Sein Abschied in drei Botschaften über vier Seiten war gleichzeitig eine Abrechnung mit dem DFB und vor allem dessen Präsidenten. Er wolle nicht länger „als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen“, schrieb Özil. Und: „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren.“
Eigentlich war klar, dass der DFB-Präsident solch barsche Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen kann. Und doch mutmaßten einige, dass er den Skandal einfach aussitzt – weil es zu seinem ungelenken Verhalten bisher passen würde. Als ein Foto von Ilkay Gündogan und Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan aufgetaucht war, versuchte der ehemalige Bundestagsabgeordnete, die Geschichte herunterzuspielen. Dann sagte er lange Zeit gar nichts mehr, während selbst die Nationalmannschaft sich in ihrer Ruhe von der Debatte gestört fühlte.
Und schließlich – nachdem die WM für das deutsche Team das bekannt schlimme Ende genommen hatte –, gab Grindel Özil indirekt eine Mitschuld daran und forderte ihn auf, nun endlich Stellung zu beziehen. Das tat der Mittelfeldspieler vom englischen Premier-League-Klub FC Arsenal dann auch, nur ganz anders und mit viel mehr Wucht, als es sich Grindel wohl jemals hätte vorstellen können.
Dass selbst Wolfgang Schäuble im Staate dem Präsidenten nun Vorwürfe macht, ist bezeichnend. „Ich habe bis heute nicht verstanden, weshalb man beim DFB zugelassen hat, dass aus einer so unklugen Fotoaktion eine derartige Staatsaffäre gemacht wurde“, sagte der Bundestagspräsident den Zeitungen des Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Irgendein kluger Mensch hätte das alles verhindern können und müssen.“ Angesprochen fühlen darf sich: Reinhard Grindel, der lange Zeit mit Schäuble im Bundestag saß.
Grindel weit von Rücktritt entfernt
Grindel zeigt sich in seiner Mitteilung vom Donnerstag zwar einsichtig. „Wir leben unsere Werte. Deshalb haben wir als DFB das Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan kritisch hinterfragt“, schrieb er. „Ich bedauere es sehr, dass dies für rassistische Parolen missbraucht wurde.“ Von einem Rücktritt, den viele gefordert hatten, ist aber keine Rede. Vielmehr stellte der DFB-Präsident gleich ein dreiteiliges Maßnahmenpaket vor. Erstens: Die Integrationsarbeit weiterentwickeln und zu fragen, „wo und wie wir neue Impulse setzen können“.
Zweitens: Eine fundierte sportliche Analyse nach dem Vorrunden aus bei der WM. Und drittens: Alles zu geben, um die EM 2024 nach Deutschland zu holen. Spätestens, wenn Ende September ausgerechnet der einzige Mitbewerber Türkei und nicht Deutschland den Zuschlag für das Turnier erhält, wird sich auch der DFB-Präsident selbst in Frage stellen müssen. Zunächst aber wird Reinhard Grindel noch genug damit zu tun haben, den Fall Mesut Özil wenigstens halbwegs anständig für sich und den gesamten DFB in den Griff zu bekommen. Falls es dafür nicht schon viel zu spät ist.