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Reißender Absatz. In Neukölln wollen jetzt alle das Vereinstrikot von Mesut Özil.
© picture alliance / Adam Davy/PA

Integrationsbeauftragter des Berliner Fußballs: "Jetzt ist das Özil-Trikot von Arsenal ausverkauft"

Wie kommt der Rücktritt von Mesut Özil an der Basis an? Der Integrationsbeauftragte des Berliner Fußballverbands über eine neue Angst der jungen Deutsch-Türken. Ein Interview.

Herr Matur, waren Sie enttäuscht, als Sie vom Rücktritt Mesut Özils hörten?

Ich kann ihn verstehen, aber persönlich war ich schon enttäuscht. Für meine Integrationsarbeit war er sehr nützlich. Alle Deutsch-Türken, die hier geboren wurden, blicken zu ihm empor. Mesut Özil war immer ein Vorbild – das habe ich in meinem Neuköllner Sportladen gespürt.

Inwiefern?

Seit der Weltmeisterschaft 2010 wollten alle Kinder Özil-Schuhe. Die waren verrückt danach. Von 20 Trikots, die wir verkauften, waren 15 von Mesut Özil. Auch junge Arabischstämmige haben Özil-Schuhe gekauft. Sie konnten sich mit ihm identifizieren, er schenkte ihnen Hoffnung. Denn wenn einer wie Özil Weltmeister werden kann, dann können es diese Kids auch.

Und jetzt will niemand mehr Özil-Trikots?

Doch! In den letzten drei Tagen kamen viele und wollten Özil-Trikots – aber von Arsenal London, nicht von der Nationalmannschaft. Jetzt ist das Özil-Trikot von Arsenal ausverkauft. Alle, die jetzt einkaufen, haben einen Migrationshintergrund und sagen: Jetzt erst recht!

Mesut Özil schrieb von zwei Herzen in seiner Brust. Was hören Sie denn auf den Bolzplätzen der Stadt, welche Nationalmannschaft unterstützen die jungen Deutsch-Türken?

Wenn Deutschland heute gegen die Türkei spielen würde, wäre niemand mehr für Deutschland. Früher war das komplizierter, da scherzten wir oft, dass wir nur gewinnen können. Jetzt sind viele sogar für Mexiko, wenn sie gegen die Deutschen spielen.

Mehmet Matur, 58, kam 1970 mit seinen Eltern nach Deutschland, 1983 zog er nach Berlin. Seit 2004 ist Matur Vorsitzender für Integration und Migration beim Berliner Fußballverband (BFV).
Mehmet Matur, 58, kam 1970 mit seinen Eltern nach Deutschland, 1983 zog er nach Berlin. Seit 2004 ist Matur Vorsitzender für Integration und Migration beim Berliner Fußballverband (BFV).
© Foto: Sandra Ritschel/sr pictures /dpa

Die Kids wollen Mesut Özil also gar nicht mehr nacheifern.

Ich habe in den vergangenen Wochen häufig von Kindern gehört, dass sie jetzt lieber für die Türkei spielen würden – dabei sprechen die gar kein Türkisch. Oft sagen die Kids das gar nicht aus Frust, sondern aus Furcht. Was, wenn Fotos aus ihrem Türkei-Urlaub – vielleicht sogar mit einer Flagge – publik werden? Die Kinder haben Angst, dass sie dann aus ihrem deutschen Verein geworfen werden.

Mesut Özil beklagt, er habe Rassismus im DFB erlebt. Teilen Sie diese Ansicht?

Nach dem Ausscheiden wurde er allein als Sündenbock dargestellt. Überall – im Netz, von Politikern und auch in manchen Medien – wurde er rassistisch beleidigt. Und trotzdem hat sich niemand beim DFB vor ihn gestellt. Nicht mal bei unseren Amateurvereinen in Berlin würden Vorsitzende einen Spieler so im Stich lassen. Dabei war Özil doch unser Weltmeister.

Auch Joachim Löw schweigt.

Ich kann das nicht verstehen. Als Trainer muss er sich äußern und wenigstens den Rücktritt bedauern.

Im Präsidium des DFB gibt es niemanden mit Migrationshintergrund. Gibt es da strukturelle Probleme?

Beim DFB haben ja nicht einmal die Delegierten, die den Präsidenten wählen, einen Migrationshintergrund. Von den 16 Integrationsbeauftragten der Landesverbände haben nur zwei oder drei ausländische Wurzeln. Selbst auf Bundesebene haben wir mit Annette Widmann-Mauz (CDU) eine Deutsche als Integrationsbeauftragte. Ich finde schon, dass man für dieses Amt einen anderen Hintergrund haben sollte. Vielleicht hat man sich in den letzten Jahren aber auch zu sehr auf die Versorgung von Flüchtlingen und zu wenig um die Integration von Migranten gekümmert.

Sie selbst sind seit 2004 Integrationsbeauftragter beim Berliner Fußballverband und auch im Vorstand.

In Berlin sind über 30 Prozent aller Fußballer Migranten, da arbeite ich oft als Schlichter und Vermittler. Es macht schon einen Unterschied, ob man ein gewählter Vertreter des Vorstands mit Budget und Mitarbeitern ist oder nur der Mehmet. Die Verbände müssen akzeptieren, dass wir in einer Mehrkulturen-Gesellschaft leben. Wir sollten nicht nur Weihnachtsfeiern ausrichten, sondern auch das Opferfest und den Ramadan feiern.

Funktioniert denn wenigstens das Miteinander auf dem Platz?

Ja, das hat es immer. Es gibt Vereine mit Spielern aus 25 verschiedenen Ländern - das klappt. Der Fußball hat nach wie vor eine integrative Kraft. Vor allem aber – und darauf bin ich sehr stolz – vermittelt der Sport noch immer Regeln, Werte, Toleranz und Respekt. Egal, wo jemand herkommt.

Mehmet Matur, 58, kam 1970 mit seinen Eltern nach Deutschland, 1983 zog er nach Berlin. Seit 2004 ist Matur Vorsitzender für Integration und Migration beim Berliner Fußballverband (BFV).

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