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Unions Torwart Rafal Gikiewicz haderte mit der großen vergebenen Chance.
© INA FASSBENDER / AFP

Kampf um den Bundesliga-Aufstieg: Der 1. FC Union zwischen Trauer und Trotz

Die Berliner müssen die verpasste Chance auf den direkten Aufstieg schnell abhaken und sich auf die Relegation gegen den VfB Stuttgart einstellen.

Trauerbewältigung ist ein sehr individueller Prozess. Jeder Mensch hat in schwierigen Situationen andere Bedürfnisse, manche wollen lieber alleine sein, andere suchen die Nähe, bei einigen entlädt sich die Enttäuschung auch physisch. Die Fußballspieler des 1. FC Union waren nach dem 2:2 gegen den VfL Bochum am Sonntag keine Ausnahme. Ein Tor mehr und die Berliner hätten durch den Patzer von Konkurrent Paderborn erstmals den Aufstieg in die Bundesliga geschafft und sich den Umweg über die Relegation erspart – Hinspiel am Donnerstag (20.30 Uhr) beim VfB Stuttgart, Rückspiel am kommenden Montag (ebenfalls 20.30 Uhr) im Stadion An der Alten Försterei. Nach dem Spiel war im Ruhrstadion die ganze Bandbreite der Emotionen sichtbar.

Mehrere Union-Profis lagen enttäuscht auf dem Rasen und hielten sich die Hände vors Gesicht, als wollten sie sich vor der Welt verstecken. Michael Parensen machte die Runde und versuchte, seine Kollegen mit einem Klaps und ein paar kurzen Worten sofort wiederaufzurichten. Und im Kabinengang schlug ein Berliner Profi vor Wut mit einem lauten Knall gegen die Wand. „Die Enttäuschung ist riesig“, sagte Trainer Urs Fischer, der ganz offensichtlich mit der vergebenen Chance zu kämpfen hatte. „Das muss jetzt jeder erst mal für sich verarbeiten. Im Moment ist es auch mal wichtig, nichts zu sagen und Ruhe zu bewahren.“

Einige der mitgereisten 5100 Fans, die den Auftritt mit ihrer pausenlosen Unterstützung beinahe zu einem Heimspiel gemacht hatten, setzten bei diesem Verarbeitungsprozess auf die Hilfe alkoholhaltiger Kaltgetränke und erreichten schon um kurz vor 23 Uhr die Trotzphase. Mit entblößten Oberkörpern liefen mehrere Fans durch den Zug Richtung Heimat und bereiteten sich verbal auf den Relegationsgegner vor. „Schade Stuttgart, alles ist vorbei!“, grölten sie zwischen Union-Fans und anderen Fahrgästen.

Solch forsche Äußerungen sind von den Berliner Profis und Verantwortlichen auch in den kommenden Tagen nicht zu erwarten. Zumindest Christopher Trimmel versuchte allerdings schon wenige Minuten nach dem Spiel wieder Optimismus zu verbreiten. Es sei unterm Strich eine sehr gute Saison, die im Vorfeld so nicht zu erwarten gewesen wäre. Wenn ihnen vor einem Jahr jemand die Teilnahme an der Relegation angeboten hätte, „hätten wir unterschrieben“, sagte er. „Wir haben alles versucht und du kannst keinem einzigen Spieler etwas vorwerfen. Das war Leidenschaft pur.“

Gegen große Gegner sah Union zuletzt meist gut aus

Damit hatte der Kapitän zweifellos recht. Wie sich Union nach dem 0:2-Rückstand in den letzten Minuten zurückkämpfte und in der Nachspielzeit durch den eingewechselten Suleiman Abdullahi sogar fast noch das entscheidende Tor erzielte, zeigte einmal mehr die hervorragende Moral der Berliner. Die 70 Minuten zuvor machten aber auch Unions Schwächen deutlich. Die erste Torchance hatte der Aufstiegsaspirant nach mehr als einer halben Stunde, da führte Bochum schon 1:0. Kurz nach der Halbzeit leistete sich mit Grischa Prömel einer der besten Berliner der Saison einen kapitalen Aussetzer und verschuldete das zweite Gegentor.

Erst nach dem 0:2 und dem Platzverweis gegen Bochums Silvere Ganvoula wurden Unions Chancen zwingender – Prömel und Joshua Mees brachten die Hoffnung mit einem Doppelschlag zurück. Während Fischer eher die intakte Moral der Mannschaft betonte, war Torwart Rafal Gikiewicz kritischer. Bei 0:0 tue sich das Team immer wieder schwer, erst „wenn wir Gegentore bekommen, spielen wir Fußball. Vielleicht ist der Druck dann geringer – das ist schwer zu erklären und ich bin nur Torwart.“

Verhinderter Held. Suleiman Abdullahi (links) hatte in der Schlussphase gegen Bochum die größte Chance, um die Berliner in die Bundesliga zu schießen.
Verhinderter Held. Suleiman Abdullahi (links) hatte in der Schlussphase gegen Bochum die größte Chance, um die Berliner in die Bundesliga zu schießen.
© REUTERS/Leon Kuegeler

In einem Punkt waren sich Gikiewicz, Fischer und Trimmel jedoch einig. Union geht zwar nicht als Favorit in die zwei Entscheidungsspiele gegen den 16. der Bundesliga, rechnet sich gegen Stuttgart aber durchaus Chancen aus. Innenverteidiger Florian Hübner wird im Hinspiel wegen einer Gelbsperre fehlen, Hoffnung machen die Erfahrungen gegen große Klubs dennoch. In dieser Saison hat Union gegen den 1. FC Köln und den Hamburger SV acht von zwölf möglichen Punkten geholt.

Zudem lieferten die Berliner ihren Gegnern im DFB-Pokal in den vergangenen drei Jahren stets einen großen Kampf. „Das wird vielleicht ähnlich wie die Spiele in Dortmund und Leverkusen“, sagte Trimmel. Gegen den BVB hatte Union 2016 erst im Elfmeterschießen verloren und im vergangenen Herbst durch einen Strafstoß in der letzten Minute der Verlängerung. In Leverkusen waren die Berliner 2017 ebenfalls nah dran an einer Überraschung, unterlagen dann aber 1:4. „Das wird ein Highlight“, sagt Trimmel. „Du spürst es in der Mannschaft, da ist Power drin, das Selbstvertrauen ist wieder da.“ Auch so kann Trauerbewältigung gehen.

Alles zum Aufstiegskampf des 1. FC Union lesen Sie in unserem Blog.

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