Christopher Schorch im Interview: „Das ist damals alles ein bisschen ausgeartet“
Vor dem Halbfinale mit Saarbrücken spricht Christopher Schorch über seine Zeit bei Hertha BSC und Real Madrid, mysteriöse Viren und ein Messer im Oberschenkel.
Christopher Schorch, 31, spielte bis 2007 bei Hertha BSC, ehe er als 18-Jähriger zu Real Madrid wechselte. Dort kam er in der zweiten Mannschaft zum Einsatz und machte anschließend unter anderem Station in Köln, Cottbus und Duisburg. Am Dienstagabend (20.45 Uhr/ARD und Sky) tritt er nun mit dem Südwest-Regionalligisten 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal-Halbfinale gegen Bayer 04 Leverkusen an. Vorher haben wir uns mit ihm unterhalten.
Herr Schorch, Sie waren 2009 der erste Bundesligaprofi überhaupt, der an der Schweinegrippe erkrankt ist. Das müsste Sie doch in der jetzigen Zeit zu so einer Art Experte machen.
Naja, unser Mannschaftsarzt hat uns damals über die Impfung aufgeklärt. Ich wollte das dann auch machen. Am Abend davor habe ich aber Fieber und Schüttelfrost bekommen. Dann bin ich zum Arzt, habe ein Blutbild gemacht, und da kam raus: Schweinegrippe.
Und dann mussten Sie in Quarantäne?
Nee, dann lag ich drei Tage krank im Bett, und dann war die Sache auch schon wieder erledigt.
Sind Sie denn dann hellhörig geworden, als Ende des letzten Jahres neue Meldungen über ein mysteriöses Virus aus einem anderen Teil der Erde kamen?
Nein, da habe ich mir nicht so viele Sorgen gemacht. Eher um meine Eltern, Oma und Opa, weil es ja hieß, dass sich das ja auf die ältere Generation schlimmer auswirkt. Da waren meine Gedanken dann eher bei den älteren Menschen.
Sind Sie denn etwas vorsichtiger als andere, weil Sie wissen, wie schnell es einen treffen kann?
Um ehrlich zu sein nicht. Ich achte sowieso schon sehr viel auf Abstand bei meinen Kontakten und wasche mir oft die Hände. Deswegen ist das für mich kein großer Unterschied zu sonst.
Sie haben ja auch sonst schon viele gesundheitliche Kapriolen hinter sich: Kreuzbandriss, Wadenbeinbruch, Knorpelschaden – und sogar ein Messer im Oberschenkel.
Das war noch damals in der Schule. Da ist ein Mitschüler von mir aufgestanden und hat mir sein Taschenmesser in den Oberschenkel gestochen.
Mitten im Unterricht?!
Vor der ganzen Klasse. Ich habe das alles erst mal gar nicht richtig wahrgenommen. Dann haben aber alle geguckt, und ich habe mir gedacht: Was ist denn jetzt verkehrt? Dann haben sie mich auf die Toilette getragen, um bei mir die Blutung zu stoppen, und ich musste zum Arzt.
Was hat Ihren Mitschüler denn geritten?
Ich weiß bis heute nicht so genau, warum er das gemacht hat, was das für eine Kurzschlussreaktion war. Aber als er sich später entschuldigt hat, war die Sache für mich dann auch gegessen. Ich bin ja kein nachtragender Mensch.
Wie sind Sie denn dann auf Dieter Hoeneß zu sprechen? Mit dem gab es ja auch Zoff, als Sie 2007 als 18-Jähriger Hertha BSC verlassen haben.
Das war halt so die Zeit der Flucht der Jungen: Die Boateng-Brüder, Sejad Salihovic, Ashkan Dejagah – alle sind sie gewechselt. Und letztendlich kommt das ja auch nicht von ungefähr, dass die besten jungen Spieler, die Hertha wohl je hatte, auf einmal alle wechseln. Ich habe aber nie ein schlechtes Verhältnis zu Dieter Hoeneß gehabt.
Es gibt aber die Geschichte von einer halben Rauferei in seinem Büro, als Sie damals Ihren Vertrag kündigen wollten.
Gut, das ist damals alles ein bisschen ausgeartet. So was passiert aus der Emotion heraus. Aber als ich dann später mit Köln gegen Wolfsburg gespielt habe, wo er danach Manager war, konnten wir uns auch ganz normal die Hand geben.
[Eine Stadt, zwei Bundesligisten: Alle Entwicklungen rund um den 1. FC Union und Hertha BSC finden Sie bei uns in jeweils eigenen Newsblogs.]
Bei Hertha hat Ihnen aber die Anerkennung gefehlt.
Ich habe mich irgendwann nicht mehr so wertgeschätzt gefühlt. Gerade als junger Spieler, wenn du deine ersten Spiele machst und keine schlechten Leistungen bringst. Da stellt man sich das ein bisschen anders vor.
Aber deshalb als 18-Jähriger ohne Berater im Büro des Managers aufzuschlagen, das klingt schon ein bisschen naiv.
Naiv würde ich nicht sagen. Ich hatte halt meine Meinung, und meine Eltern waren ja sonst auch immer mit dabei. Aber sportlich hatte ich einfach nicht mehr das Gefühl, dass Hertha zu 110 Prozent auf mich baut. Und so habe ich das Dieter Hoeneß dann auch gesagt. Wenn Falko Götz damals als Trainer dageblieben wäre, dann wäre das auch alles nicht so gekommen. Aber so war für mich letztendlich klar, dass ich auch einen neuen Schritt gehen muss.
Sie hatten ja auch ein verführerisches Angebot – von Real Madrid.
Das kam dann innerhalb von 24 Stunden danach. Eigentlich habe ich zu dem Zeitpunkt noch mit Köln verhandelt, mit Michael Meier und Christoph Daum. Aber die konnten die 1,2 Millionen Euro Ablöse nicht bezahlen. Und auf einmal kam dann der Anruf von Predrag Mijatovic.
Der damalige Sportdirektor von Madrid.
Die haben mich bei der U-17-EM entdeckt und mich danach beobachtet. Die hatten 20 Spiele von mir auf Video. Und dann wollten sie den Wechsel.
Mit 18 bei Real – das kann man sich nicht ausmalen, oder?
Das war eine ganz andere Welt. Allein wenn du von der Autobahn runterfährst, über die lange Straße durch die Neubausiedlung von Valdebebas, und dann zum Trainingsgelände kommst – das ist schon Wahnsinn.
Welcher war der unrealste Real-Moment?
Als ich in die Kabine gegangen bin, und Raúl auf mich zukam. Früher in der Schule musste ich mal ein Referat über meinen Lieblingssportler halten, das habe ich über ihn gemacht – und auf einmal steht er in der Kabine und begrüßt mich in seinem Team. Das werde ich nie vergessen.
War er der Spieler, der Sie am meisten beeindruckt hat?
Als Mensch und als Fußballer war er unfassbar. Ich durfte auch bei seinem Abschiedsspiel auf Schalke mitspielen, und er hat mich nach Katar eingeladen.
Haben Sie denn noch Kontakt?
Er ist ja jetzt auch Trainer bei der zweiten Mannschaft von Real, und da habe ich noch einen ganz guten Draht zum Torwarttrainer. Mit Raúl ist der Kontakt jetzt nicht super eng, aber ab und zu gibt es mal eine Nachricht auf WhatsApp – jetzt zum Beispiel im DFB-Pokal, da kriegt man schon mal eine Gratulation von ihm.
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Welche Momente sind Ihnen aus Ihrer Zeit bei Real noch in Erinnerung geblieben?
Einmal bin ich abends um 23 Uhr eine riesige Straße in Madrid entlanggefahren, und plötzlich an der Ampel hupt es die ganze Zeit neben mir. Ich gucke also rüber, da macht jemand das Fenster runter, und da sitzt eine Frau. Ich mache auch das Fenster runter, aber dann macht die Frau ihren Kopf zurück, und dann sitzt da Predrag Mijatovic: „Morgen in meinem Büro!“
Oha, das gab wahrscheinlich Ärger.
Am nächsten Tag hat er gesagt: „Hör mal zu, nur weil du gestern mit Real Madrid B ein Spiel gewonnen hast, heißt das nicht, dass du so lange ausgehen kannst. Wenn ich dich noch mal so spät sehe, dann hast du ein Riesenproblem.“ Ab da wusste ich Bescheid.
Früher hatten Sie Barcelona, Valencia und Atlético vor Augen, in dieser Saison hieß die Realität Pirmasens, Gießen und Alzenau. Blickt man da nicht manchmal wehmütig zurück?
Nein, ich bin froh über die ganzen Erfahrungen, die überragenden Stadien, die Vereine, gegen die ich auch in der Bundesliga spielen durfte. Heute bin ich einfach glücklich, dass ich nach den ganzen schweren Verletzungen so fit bin und meine Spiele machen kann. Und jetzt stehe ich sogar mit einem Viertligisten im DFB-Pokal-Halbfinale.
Vor zwei Wochen sind Sie nach dem Saisonabbruch in der Regionalliga Südwest zum Aufsteiger in die Dritte Liga erklärt worden. Wie fühlt sich das an, am Grünen Tisch Meister zu werden?
Das war schon komisch. Ich habe die Nachricht erst spät gesehen, weil ich noch mit meiner Freundin und meinem Hund spazieren war. Als ich nach Hause gekommen bin, hatte ich dann auf einmal 200 WhatsApp-Nachrichten und Glückwünsche auf dem Handy. Da habe ich zu meiner Freundin gesagt: „Hey Schatz, ich bin aufgestiegen!“ Ich hätte es aber natürlich lieber auf sportliche Weise erlebt, weil man dann zusammen mit den Fans hätte feiern können.
Das haben Sie ja aber auch so ein bisschen gemacht, bei einer spontanen Meistersause in der Saarbrücker Innenstadt. Danach gab es einige Kritik, besonders von Ihrem eigenen Klubpräsidenten, der eine Menschenansammlung mit Spielern, Trainern und Fans in diesen Zeiten überhaupt nicht lustig fand.
Das war alles halb so wild. Da gab es einen Autokorso, dies, das. Es war aber alles mit Abstand. Wir sind nicht jubelnd, Arm in Arm durch die Stadt gerannt, wir haben keine Fotos mit den Fans gemacht, und ich habe auch niemanden gesehen, der betrunken war oder so was. Natürlich wissen wir, dass das gerade eine schwierige Zeit ist, aber sich über einen Aufstieg zu freuen, den der Verein seit fünf, sechs Jahren nicht geschafft hat, ist nur menschlich.
Also kein Stunk vor dem Pokal-Halbfinale?
Nein, die Stimmung ist gut. Wir haben das Spiel unseres Lebens vor uns, und darauf sind wir jetzt konzentriert.
Seit Mittwoch befinden Sie sich nun zur Quarantäne vor dem Spiel im Hotel. Wie ist die Lage?
Wir sind rund um die Uhr im Hotel und dürfen nur auf direktem Weg hin und zurück zum Training fahren. Das wird auch alles streng kontrolliert, damit niemandem was passieren kann. Der Trainer probiert die Zeit abwechslungsreich zu gestalten. Und es gibt ja Schlimmeres, als im Hotel zu sitzen und auf einen Riesentag hintrainieren zu können.
94 Tage lang haben Sie kein Spiel mehr bestritten, wenn Sie am Dienstagabend auf Leverkusen treffen. Und mit dem Training durften Sie auch erst vier Wochen später anfangen. Ist das nicht Wettbewerbsverzerrung?
Nein, die Diskussion kann ich nicht verstehen. Man muss einfach froh sein, dass man seinen Job ausüben kann, dass man spielen darf. Und nur weil in der Bundesliga alles so super geklappt hat, haben wir überhaupt die Chance zu trainieren und das größte Spiel in unserer Karriere auszutragen.
Ein paar saarländische Politiker haben zuletzt angeregt, dass man doch ein wenig Publikum zulassen sollte, damit Ihnen wenigstens der Heimvorteil zugutekommt.
Von der Diskussion bin ich zu weit weg. Das müssen die Politik und die Gesundheitsämter entscheiden. Klar würde ich mir unsere Fans wünschen, die werden uns brutal fehlen. Aber wir sind eben in einer Zeit, in der man leider auch mal Abstriche machen muss.
Und zwar ganz wortwörtlich.
(lacht) Alle drei Tage, ja. Vor dem Trainingsstart wurden wir zweimal getestet, und seitdem jede Woche auch zweimal. Inzwischen müsste ich so bei 13 oder 14 Tests sein. Der letzte dann am Montag, und dann dürfen wir endlich loslegen.
Seit Wochen bereiten Sie sich jetzt auf nur ein einziges Spiel vor. Sie kennen Leverkusen inzwischen in- und auswendig, oder?
Wir wissen zumindest, was auf uns zukommt. Und das kann Leverkusen nicht behaupten. Die wissen überhaupt nicht, was wir für einen Plan haben. Aber natürlich ist Leverkusen der haushohe Favorit. Das ist eine Champions-League-Mannschaft. Und wenn wir gewinnen, ist das eine der größten Sportgeschichten in Deutschland überhaupt.
Leonard Brandbeck