Spitzensportförderung: Das deutsche Schwimmen hat Angst vor dem Untergang
Die geplanten Umstrukturierungen im deutschen Schwimmsport führen zu Streit und Verunsicherung. Mehrere Trainerstellen und Bundesstützpunkte fallen weg.
Am Montag war er in Halle, am Dienstag ist er in Magdeburg, am Mittwoch fährt er nach Hamburg, am Donnerstag wird er in Berlin erwartet: Henning Lambertz ist zurzeit viel unterwegs. Der Chef-Bundestrainer der deutschen Schwimmer arbeitet an einer erfolgreicheren Zukunft seiner Athleten, dafür führt er fast pausenlos persönliche Gespräche. Allerdings überbringt der 46-Jährige nicht nur Positives: Der Deutsche Schwimm- Verband (DSV) muss sparen und sich von mehreren Bundesstützpunkten verabschieden, auch Trainerstellen fallen weg. „Im Moment ist das Thema Stützpunkte für mich mit einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden. Das ist sehr, sehr viel Arbeit“, sagt Lambertz am Telefon, im Hintergrund rauscht der Verkehr auf irgendeiner Autobahn. „Es tut immer weh, solche Botschaften zu überbringen – gerade wenn man mit jemandem seit Jahren zusammen arbeitet. Schön ist das nie.“
Am größten ist die Sorge derzeit in Sachsen-Anhalt an den Standorten Halle und Magdeburg, wo Lambertz am Dienstag zu einem klärenden Gespräch erwartet wird. Dass der Ende 2016 ausgelaufene Vertrag von Halles Bundesstützpunkttrainer Frank Embacher nicht verlängert wurde, ärgert viele in der Schwimmszene. Der 52- Jährige betreute jahrelang Paul Biedermann, den erfolgreichsten deutschen Schwimmer des vergangenen Jahrzehnts, der nach den Olympischen Spielen in Rio seine Karriere beendete. Dem 59 Jahre alten Magdeburger Coach Thomas Ackenhausen wurde ebenfalls nach mehr als zwei Jahrzehnten Zusammenarbeit gekündigt, beide Trainer verklagen nun den Verband. Die Hängepartie rund um Embacher und Ackenhausen und die Neustrukturierung der Stützpunkt-Landschaft sorgen für viel Unruhe in der Schwimmszene, besonders die deutsche Trainerschaft scheint verunsichert.
"Wieso trifft es uns?"
„Die Kündigungen von Frank Embacher und Thomas Ackenhausen hängen wie ein Damokles-Schwert über uns“, sagt Helmut Kurrat, Leiter des Olympiastützpunkts Sachsen-Anhalt. „Dieser Zustand muss repariert werden. Auch um noch mehr Irritationen bei den Sportlern zu vermeiden.“ Halle ist im Jahr 2017 noch offiziell Bundesstützpunkt, der bisherige Landesleistungsstützpunkt Magdeburg hat diesen Status ebenfalls beantragt. „Wir sind der Auffassung, dass wir den Bundesstützpunkt verdient haben“, sagt Kurrat. „Die schwierige finanzielle Situation des DSV ist nachzuvollziehen. Aber wir haben das Recht, die Frage beantwortet zu bekommen: Wieso trifft es uns?“
Diese und andere Fragen werden Kurrat und Vertreter des Landessportbundes Sachen-Anhalt am Dienstag der DSV-Spitze stellen. Neben Lambertz wird auch Verbandspräsidentin Gabi Dörries nach Magdeburg reisen. Die neue DSV-Chefin ist erst seit Anfang November im Amt, muss den Verband aber gleich in einer äußerst kritischen Phase leiten. In Rio de Janeiro waren die deutschen Beckenschwimmer wie schon 2012 in London ohne Medaille geblieben, die Leistungssportreform des Deutschen Olympischen-Sportbunds (DOSB) und des Bundesinnenministeriums sieht deshalb eine Kürzung der öffentlichen Mittel vor. 2017 und 2018 bleibt das DSV-Budget noch nahezu unangetastet, danach sinkt es voraussichtlich um 25 Prozent. Laut Chef-Bundestrainer Lambertz fehlt dann „eine gute sechsstellige Summe“, dieser Betrag soll bei rund 350.000 Euro liegen.
Aus neun Bundesstützpunkten werden sechs
Dem DSV und Lambertz bleibt also mittelfristig gar nichts anderes übrig, als zu sparen. „Wir haben schlichtweg nicht die finanziellen Möglichkeiten, sieben Stützpunkte auch personell voll zu bestücken“, sagt Lambertz. Von den bislang neun Bundesstützpunkten sollen nur sechs erhalten bleiben: Würzburg als Freiwasser-Zentrum und Berlin, Hamburg, Essen, Heidelberg und Potsdam für die Beckenschwimmer. Zuletzt verlieh Lambertz der Landeshauptstadt Brandenburgs den begehrten Status, den zurzeit ausgeschriebenen Cheftrainerposten dürfte der frühere 1500-Meter-Weltmeister Jörg Hoffmann bekommen, der bereits in Potsdam arbeitet. Die Trainerstelle in Essen ist ebenfalls besetzt, die noch freien Posten in Berlin, Heidelberg und Hamburg sollen laut Henning Lambertz Mitte Februar vergeben werden.
Dem Vernehmen nach war Frank Embacher auch als Berliner Stützpunktchef im Gespräch, hat dieses Angebot aber abgelehnt. Weder Embacher noch der DSV wollen sich derzeit zum arbeitsrechtlichen Verfahren äußern. Helmut Kurrat vom Olympiastützpunkt Sachsen-Anhalt will jedenfalls für seinen wichtigen Angestellten kämpfen. „Es gibt nur wenige Trainer in Deutschland, die an die Leistung von Frank Embacher im vergangenen Jahrzehnt heranreichen“, sagt er. Laut Henning Lambertz ist das Ende der Verhandlungen mit den Hallensern und Magdeburgern auch noch nicht erreicht. „Wir werden uns die Argumente anhören“, sagt Lambertz. „Ich gehe aber nicht davon aus, dass wir nach eineinhalb Stunden auseinandergehen und einen goldenen Weg gefunden haben.“
„Das betrifft alle – nicht nur die Schwimmer"
Hinter den Kulissen des deutschen Schwimmens, das fast schon traditionell von Rivalitäten, Eitelkeiten und Verteilungskämpfen geprägt ist, brodelt es wieder einmal. Sportlicher Misserfolg – und wohl auch jahrelange Versäumnisse im Verband – erhöhen den Druck zusätzlich.
Die aktuelle Situation ist aber auch ein Beispiel dafür, für wie viel Unruhe die Leistungssportreform sorgt. „Das betrifft alle – nicht nur die Schwimmer. Das betrifft den ganzen Sport“, sagt DSV-Jugendbundestrainerin Beate Ludewig. Die Berlinerin ist Mitglied im Trainer-Ausschuss des DOSB und gut vernetzt, quer durch alle Sportarten. Was ihr Kollegen auch aus anderen Disziplinen über die Auswirkungen von Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen berichten, bereitet Ludewig große Sorgen. „Du verlierst Trainer und Athleten“, sagt sie und fragt mit Blick auf die nächsten Olympischen Spiele in Tokio: „Wie soll das 2020 laufen?“
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