Interview mit dem Kapitän der Kölner Haie: „Das Coronavirus trifft auch uns Eishockey-Profis“
Der Kapitän der Kölner Haie, Moritz Müller, spricht über die von ihm gegründete Spielergewerkschaft und den Gehaltsverzicht in der Deutschen Eishockey Liga.
Moritz Müller, 33, spielt seit der Saison 2003/04 für die Kölner Haie, deren Kapitän er ist. Bei den Olympischen Spielen 2018 gewann der inzwischen 73-malige Nationalspieler Silber.
Moritz Müller, wie geht es Ihnen zur Zeit?
Mir geht es gut. Es ist eine aufregende Zeit. Aber es war der richtige Zeitpunkt, um aktiv zu werden.
Auf ihre Initiative hin wird es eine Spielergewerkschaft im deutschen Profieishockey geben - nachdem es sehr viel Unruhe gab, als die Deutsche Eishockey-Liga (DEL) angesichts der Krise und damit unsicheren Zukunft der Liga von den Spielern aller Klubs einen Gehaltsverzicht von 25 Prozent verlangt hat. Bei den Kölner Haien haben inzwischen alle Profis dem Verzicht zugestimmt, auf welchen Prozentsatz haben sie sich geeinigt?
Über die Zahlen möchte ich nicht öffentlich reden. Wir Spieler wissen, wie die Situation ist. Wir sehen, dass das Coronavirus alle trifft, auch unsere Branche. In so einer Lage geht es darum, zusammenzuhalten. Das machen wir auch. Uns ist wichtig, dass auf Augenhöhe mit uns gesprochen wird, dass wir in den Gesprächen von der Liga abgeholt werden. Die Kommunikation war aus meiner Sicht nicht gut.
Auch so eine pauschale Lösung halte ich für nicht hilfreich, dafür sind die Voraussetzungen viel zu verschieden: Es gibt Spieler, die Acht-Monats-Verträge haben oder Spieler wie mich bei den Kölner Haien, die über das gesamte Jahr angestellt sind. Es wurde Druck aufgebaut, dem Vorschlag uneingeschränkt zu folgen. Wir haben erreicht, dass auch die Perspektive der Spieler mehr wahrgenommen wird.
Die Spielergewerkschaft, die von Ihrem ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Patrick Reimer aus Nürnberg und Ihnen initiiert wurde...
Richtig. Wir sind jetzt gerade in der Gründungsphase, wir werden ein ganz normaler Verein mit sieben Mitgliedern am Anfang sein und dann wird es darum gehen, die eingetretenen Spieler bestmöglich zu vertreten.
Wie viele Ihrer Kollegen werden da eintreten und inwiefern war das Beispiel aus der National Hockey League (NHL) für sie wichtig? Dort gibt es ja seit Jahrzehnten eine Spielergewerkschaft.
In Nordamerika bist du mit der Vertragsunterzeichnung automatisch in der Gewerkschaft, das ist in Deutschland nicht erlaubt. Aber das Feedback aus der Liga war bisher sehr positiv. Ich glaube, dass viele meiner Kollegen eintreten werden.
In der NHL wurde die Gewerkschaft auch gegründet, um den Spielern nach der Karriere Unterstützung angedeihen zu lassen, mit einer Rente etwa. Gibt es bei Ihnen auch ähnliche Vorhaben?
In Nordamerika wird viel Geld mit dem Eishockey verdient. Bei uns wissen die Spieler schon ganz genau, dass der Markt anders ist. Es geht uns daher eher darum, zum Beispiel bei der Ausbildung Hilfestellungen zu geben, was etwa den zweiten Bildungsweg angeht. So können sich besonders junge Spieler parallel zur Profikarriere aufstellen. Dann gibt es kostenlose Rechtsberatung, ein Ärztenetzwerk und viele andere Möglichkeiten. Das wollen wir alles abdecken.
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Ist das auch für einen Nordamerikaner spannend, der nur eine Saison in der Liga spielt?
Inwieweit sich Nordamerikaner, die nur ein Jahr hier sind, engagieren, wird man sehen. Aber viele von uns einheimischen Spielern haben sich oft gefragt: Warum haben wir da keine Stimme, warum können wir nicht mitreden? Und jetzt gab es eben dieses eine Thema, das alle verbunden hat.
Dabei kann niemand sagen, wie und vor allem wann es mit der Liga weiter geht...
Ich bin voller Hoffnung, dass wir im September vor Zuschauern spielen werden. Das muss unser aller Ziel sein. Wenn ich mir die Situation mit dem Virus so anschaue, habe ich das Gefühl, dass es eher nach Lockerung als nach zweiter Welle aussieht, aber das ist rein subjektiv.
Der Fußball spielt mit dem Gedanken, sukzessive wieder Zuschauer zuzulassen. Langsam hochfahren, das wird im Eishockey kaum funktionieren. Nur 2000 Menschen in die fast 19.000 Zuschauer fassende LANXESS Arena in Köln zu lassen, ist wohl genauso wenig eine Option wie Geisterspiele im Eishockey, weil sich der Sport in Deutschland auch durch Zuschauereinnahmen finanziert.
Man muss das trennen. Aus Sicht der Athleten ist es natürlich so, dass man jetzt nicht einfach ein, zwei Jahre keinen Sport machen kann und dann sagt: Jetzt bin ich wieder Eishockey-Profi. Es steht ja eine WM an im kommenden Jahr und dann sind 2022 auch Olympische Spiele, da ist es schon wichtig, dass wir vorher spielen. Aber für die Vereine ist es überlebenswichtig: Genauso wie es für die Lufthansa wichtig ist, wieder Ferienziele anfliegen zu können, ist es für die Klubs essentiell, wieder Sportveranstaltungen stattfinden zulassen.
Da hängen Existenzen dran. Deshalb muss unser Signal aus dem Sport sein: Wir hoffen, dass es weitergeht. Momentan ist dem Eishockey trotz der Absage der Play-offs noch kein irreparabler Schaden entstanden, wir trainieren in Köln schon wieder in Kleingruppen, aber irgendwann muss eben wieder gespielt werden, um in den Wettkampfmodus zu kommen. Sport hat eine bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft. Das darf nicht übersehen werden.
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Der deutsche Profifußball hat das Problem nicht, bei dem geht es auch ohne Geld vom Fan. Warum reicht es in anderen Mannschaftssportarten nicht für ordentliche Fernseheinnahmen?
Das liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass in Deutschland die Sportlandschaft quasi eine Monokultur ist. Ich habe nichts gegen Fußball, aber ich verstehe nicht, warum nicht mehr Sportarten Platz haben können in einer Gesellschaft. In den USA sieht das zum Beispiel anders aus. Selbst in Spanien ist Basketball riesig hinter dem Fußball, in Schweden ist Eishockey vor dem Fußball. Ich rede aber vom gesamten Sport, von der Leichtathletik bis zum Judo, die werden alle vernachlässigt.
In Deutschland ist es doch so: Wenn ein Fußball-Drittligaspiel stattfindet, ist das fast wichtiger als eine Eishockey-, Basketball- oder Handball-WM. Dann wird im TV das Drittligaspiel gezeigt und so entstehen Sehgewohnheiten. Wenn die Menschen dann einmal im Jahr Eishockey sehen, ist ihnen das Spiel vielleicht zu schnell oder da passiert zu viel. Das ist eben eine sehr dynamische Sportart. Nur wenn man andere Sportarten auch häufiger sehen kann, bekommt man das Auge dafür. So wird man dann auch zum Fan.
Sie haben sich nach dem Wintergame 2019 laut darüber beschwert, dass ihr Spiel gegen Düsseldorf vor 50.000 Zuschauern im Kölner Fußballstadion im Aktuellen Sportstudio im ZDF am selben Tag nicht mal erwähnt wurde.
Und ich bilde mir ein, damit ein bisschen was bewirkt zu haben. Zuletzt wurde es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen ausgewogener mit der Berichterstattung, ich sehe mich da auch als Botschafter des Eishockeys.
In vielen Klubs allerdings gibt es Spieler mit solchen Ambitionen nicht, wohl auch, weil etliche von ihnen eher weniger an der hiesigen Kultur teilnehmen. In Bremerhaven etwa spricht seit Jahren kaum ein Spieler deutsch im Kader.
Viele Fans missverstehen mich, wenn ich über Klubs wie Bremerhaven oder Iserlohn spreche. Ich liebe Iserlohn, da ist so richtig Atmosphäre, alte Eishalle, da werde ich ausgepfiffen. Schön. Aber es geht mir ums deutsche Eishockey. Iserlohn wäre meiner Einschätzung nach genauso ein Hexenkessel, wenn da fünf Nachwuchsspieler mehr spielen würden. Ich verstehe doch die Profis aus allen Ländern, die in Bremerhaven spielen und Geld verdienen wollen. Aber macht es das deutsche Eishockey besser, hilft es dem deutschen Eishockey, kommen da neue Nationalspieler?
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Warum ist das so wichtig?
Weil die Nationalmannschaft die Menschen verbindet, ihre Spiele werden im Fernsehen gezeigt und wenn dann Erfolg da ist wie bei uns bei den Olympischen Spielen 2018, dann macht das die Sportart und ihre Klubs stärker. Je größer der Pool an guten Spielern für die Nationalmannschaft ist desto besser. Aus meiner Sicht sollten die Auflagen für Nachwuchsförderung in der DEL noch strenger sein. Es gibt leider immer noch Klubs, da wissen die Nachwuchsspieler von Tag eins, dass sie nie in der ersten Mannschaft spielen werden.
In Bremerhaven ist das so.
Bei mir war es damals in Kassel so. Ich wusste, wenn ich in Kassel bleibe, werde ich kein Profi. Ich musste da mit 15 Jahren weg und bin über Umwege nach Köln gekommen, da habe ich wenigstens die Chance auf ein Probetraining bekommen. Kinder müssen davon träumen können, Profi zu werden. Es kommt ja immer dieses Argument, die deutschen Spiele seien zu teuer, aber das ist aus meiner Sicht Unsinn. Natürlich gehören Nationalspieler zu den Spitzenverdienern in der Liga, aber ich finde zurecht. Die haben die Doppelbelastung, die sind Identifikationsfiguren für die Fans, das ist in jeder Sportart so.
Warum wird die Selbstbeschränkung bei den ausländischen Spielern von vielen DEL-Klubs umgangen, indem man munter einbürgert?
Es heißt immer, das kleinere Klubs sonst nicht konkurrenzfähig wären, ich glaube das nicht. Wir haben bei der U-20 der Haie jedes Jahr drei, vier gute Jungs. Wenn die anfangs etwas wackeln – egal. Gib denen Zeit und sie sind genauso gut wie die anderen Profis auch.
Zumal inzwischen nicht wenige Spieler von Weltklasseniveau aus Deutschland kommen. Mit Leon Draisaitl wurde ein Kölner in diesem Jahr Topscorer der NHL, im Draft werden dieses Jahr drei 18 Jahre alte deutsche Spieler hochgehandelt und die kanadische Hockey News erkor Ihre Nationalmannschaft kürzlich zu einem Favoriten für das nächste olympische Turnier. Vor ein paar Jahren war das alles noch undenkbar, oder?
Wir hatten lange Zeit kein Selbstbewusstsein. Marco Sturm und jetzt Toni Söderholm haben das als Bundestrainer geändert. Die haben gesagt: Was soll der Quatsch!? Ihr deutschen Spieler seid doch genauso gut wie die anderen. Und auf einmal haben wir an uns geglaubt und können mitspielen. Mir kann doch auch keiner erzählen, dass wir nun jedes Jahr in der NHL deutsche Spieler in der ersten Draftrunde haben und das hinter diesen zwei, drei Spielern keine anderen guten Spieler da sind, die in der DEL spielen können.
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Toni Söderholm hat kürzlich gesagt, dass er nicht verstehe, warum sich das deutsche Eishockey lange so kleingeredet hat.
Wir mussten uns erst einmal freikämpfen, das Selbstbewusstsein holen. Wir hatten mal einen Bundestrainer, der hat gesagt: Wenn es gegen Kanada zur Drittelpause noch 0:0 steht, dann tue ich was in die Mannschaftskasse. Und dann mit Toni Söderholm hatten wir plötzlich einen anderen Trainer, der richtig sauer war, wenn wir gegen Kanada zurücklagen und uns angeschimpft hat: ‚Ihr verliert jetzt nicht!‘ Wir sind viel besser als wir lange gedacht haben. Unser jetziger Trainer will mehr und er traut uns zu, mehr zu erreichen.
Und wie überträgt sich das auf die Mannschaft?
Früher war es beim Warmmachen bei einem WM-Viertelfinale meist so, dass viele gedacht haben: Was sollen wir denn hier? Heute wollen wir immer gewinnen. Bei der WM in Bratislava vor dem Viertelfinale gegen Tschechien haben wir in der Kabine gesagt: ‚Die hauen wir weg!‘ Gut, das klappt nicht immer, aber die Mentalität ist nun da. Aber was wir gelernt haben bei den Olympischen Spielen in Südkorea, müssen wir weiter geben an kommende Generationen. Was wir geschafft haben als Spieler ist, uns selbst zu vertrauen und unsere Qualitäten zu entdecken. Das sollte das deutsche Eishockey auch machen. Sich selbst vertrauen.
Wird es nach dem Eishockeyprofi den Eishockeyfunktionär Moritz Müller geben, der seine gesammelten Erkenntnisse weitervermittelt?
Ich weiß es noch nicht, ob ich dem Sport treu bleibe. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich da etwas machen muss in der Zukunft.