Champions-League-Finale der Exzellenz: Bayern gegen PSG – Hansi Flick gegen Thomas Tuchel
Paris Saint-Germain ist in der Elite des europäischen Fußballs angekommen. Der FC Bayern zählt schon lange dazu. Was die Zuschauer am Sonntagabend erwartet.
Diese Champions League ist ja eigentlich ein ziemlich exklusiver Zirkel. Spätestens wenn es in die letzten K.-o.-Runden geht, sind die Großen Europas unter sich, meistens jedenfalls. Der FC Bayern gehört seit vielen Jahren in diese Beletage. Paris St. Germain, der Finalgegner an diesem Sonntag (21 Uhr/live bei ZDF, Sky und Dazn) in Lissabon, darf sich jedoch genau genommen erst jetzt als vollwertiges Mitglied fühlen.
Sportlich kreuzten sich die Wege der Pariser und der Münchner bisher noch nicht sehr oft, ein paar Mal in der Gruppenphase der Champions League, das war’s. Dafür immer wieder einmal abseits des Platzes. Zuletzt erst vor knapp zwei Monaten, und das Ereignis war aus Sicht von PSG nicht sehr erfreulich. Die Bayern lockten mit Tanguy Nianzou eines der größten französischen Talente seiner Generation aus Paris weg, ablösefrei – und ärgerten damit Thomas Tuchel.
Oder vor zwei Jahren, da wäre Jerome Boateng dem deutschen Trainer beinahe nach Paris gefolgt. Der Weltmeister von 2014 blieb schließlich doch, dafür wechselte Juan Bernat an die Seine, davongejagt von den Bayern, weil er einmal einen pechschwarzen Champions-League-Tag erwischt hatte.
Und die beiden Trainer? Natürlich hat sich Thomas Tuchel mit Hansi Flick beschäftigt. Und Hansi Flick mit Thomas Tuchel, in den vergangenen Tagen, als klar war, dass sie sich im Finale der Champions League begegnen würden. Kein Detail überlassen sie dem Zufall, und dazu gehört eben auch, genau zu wissen, wie der andere tickt.
Flick kennt Tuchel vielleicht ein bisschen besser als andersherum, denn er hat 2018 beim damals neuen PSG-Trainer eine kurze Hospitanz absolviert. „Ich finde die Art und Weise, wie er Fußball spielt und interpretiert, sehr gut“, sagt Flick. „Er macht richtig gute Arbeit.“
Der unaufgeregte Flick gegen den emotionalen Tuchel
Ach ja, und da war noch die Sache mit dem Münchner Trainerkandidaten Tuchel. Ende des vergangenen Jahres suchten die Bayern eigentlich noch einen Nachfolger für den Interimscoach Flick, und da wurde gemunkelt, Tuchel könnte am Saisonende in Paris aufhören und zum FC Bayern wechseln.
Nun ist Flick längst sein eigener Nachfolger geworden und kämpft darum, dass er der nächste beste deutsche Trainer wird – nach Jürgen Klopp im Vorjahr – und Thomas Tuchel nur der zweitbeste. Das Duell im Estadio da Luz am Sonntag kommt aber ohne verbales Vorgeplänkel aus, es wird auf dem Platz entschieden, oder vielleicht auch an der Seitenlinie.
Auf den ersten Blick könnten beide Trainer nicht unterschiedlicher sein. Hier der unaufgeregte Flick, der niemals hektisch oder unkontrolliert in der Coaching Zone umherwirbeln würde, und dort der emotionale Tuchel, der Irrwisch, der kaum einen Moment stillstehen kann.
Während Tuchel 2018 mit der klaren Vorgabe, endlich die Champions League zu gewinnen, nach Paris geholt wurde, ging es für Flick bei Bayern im vergangenen Herbst erst einmal darum, dem verunsicherten Team Struktur und Selbstvertrauen zu geben. Das gelang dem 55-Jährigen fast auf Anhieb, lediglich zwei Niederlagen gab es unter Flick, beide in den ersten Wochen seiner Amtszeit. Zuletzt holten die Bayern 20 Siege in Serie.
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Zugetraut hatte Flick dies kaum jemand. Dass er „das komplette Paket mitbringt, um Trainer beim FC Bayern zu sein, hatte ich nicht auf dem Zettel“, sagte Thomas Müller neulich. Der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge findet, Flick habe „wichtige Werte in den Klub zurückgebracht“.
Dass Paris mit Tuchel und vielleicht auch Tuchel mit Paris lange fremdelte, genau genommen bis zum überzeugenden Halbfinale gegen RB Leipzig am vergangenen Dienstag, ist nicht überraschend. Verbissen, manche finden zu verbissen, ist Tuchel auf der Suche nach Perfektion.
Einblicke, wie emotional auch Trainingseinheiten bei PSG sein können, gab Kylian Mbappé. Die wenigen deutschen Worte, die er kenne, seien keinen schönen, sagte der französischen Nationalspieler einmal in einem Interview. „Nur Schimpfwörter wie scheiße“, das sage sein Trainer ständig, „wenn ihn was nervt“.
Tuchel ist exzentrisch, sperrig, er neigt zum Jähzorn – und macht es seinem Umfeld manchmal nicht einfach, ihn zu mögen. Aber es gibt eben auch den anderen Tuchel, den, der Mannschaften für sich einzunehmen kann. Er hat es nach dem Abbruch der Saison in der langen Pause geschafft, diesen famosen Individualisten um Kylian Mbappé und Neymar zu vermitteln, dass sie nur als Team Europas Gipfel erklimmen werden. „Wir sind nicht mehr so konzentriert auf uns beide“, sagte Mbappé. „Wir haben es geschafft zu verstehen, dass wir mit den anderen gewinnen.“
Der Erfolg hat das Team des FC Bayern zusammengeschweißt
Über Teamgeist ist auch beim FC Bayern in den vergangenen Wochen und Monaten viel geredet worden. Es hat mit Flick zu tun, natürlich, mit seinem Arbeitsstil und der Menschenführung, aber letztendlich hat der Erfolg die Mannschaft zusammengeschweißt – und je weiter es ging, je länger die Siegesserie dauerte, desto größer wurde die Überzeugung, etwas ganz Großes erreichen zu können. Bei denjenigen, die diesen Henkelpott schon einmal gewonnen haben und jenen, die dafür, wie Sportvorstand Oliver Kahn sagt, „zu Fuß nach München laufen würden“.
Es sind nicht mehr sehr viele Spieler im Münchner Kader, die schon 2013 beim letzten Champions-League-Triumph dabei waren. Eine Handvoll nur – und Robert Lewandowski, der auf der anderen Seite stand, auf der Seite der Verlierer von Borussia Dortmund.
Das Ziel, die Champions League zu gewinnen, hat den Polen seitdem angetrieben. Deshalb wechselte er zu den Bayern. Allerdings vermittelte er oft den Eindruck, dieses Ziel als Ich-AG zu verfolgen – und dass so manch ein Kollege ihm dabei keine richtige Hilfe ist, weil nicht genug für den großartigen Stürmer Lewandowski.
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In dieser Saison hadert er jedoch nicht mehr, wenn ein Mitspieler die Chance zum Torschuss selbst nutzt, statt ihm den Ball zu servieren. Andersherum gibt er den Ball auch einmal ab – und hat trotzdem so viele Tore erzielt wie noch nie. 15 Treffer sind es in der Champions League, zwei fehlen ihm noch zum Rekord von Cristiano Ronaldo aus dem Jahr 2014. „Das ist nicht mein Ziel“, sagt der 32-Jährige. „Wir müssen als Mannschaft gut spielen.“ Dass im Halbfinale gegen Olympique Lyon Sturmpartner Serge Gnabry der Mann des Spiels war mit zwei Toren, damit kann Lewandowski ganz gut leben, mittlerweile.
Der Münchner Angriff wird im Finale an der schillernden Sturmreihe von Paris gemessen. Mbappé, Neymar und der argentinische Evergreen Angel di Maria haben zusammen mehr als 400 Millionen Euro gekostet. Die Zahlen in dieser Champions-League-Saison sprechen aber für die Bayern.
42 Tore erzielten sie in den bisherigen zehn Spielen, Paris nur 25, einen Treffer nur mehr als allein Lewandowski und Gnabry. Und Neymar und Mbappé haben beim Finalturnier in Lissabon noch überhaupt nicht getroffen. Allerdings dürfe man sich nicht solche Nachlässigkeiten in der Defensive erlauben wie gegen Lyon, sagt Kahn, denn „wenn die eine Chance haben, knallt es meistens“. Bei Lewandowski und Gnabry allerdings auch.