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Maria Tietze hat im kommenden Jahr Großes vor. Umso mehr freut sie sich darüber, die aktuelle Zeit mit ihren Nächsten verbringen zu können.
© Moritz Mueller

Kolumne - Mein Weg nach Tokio: Aus jedem Blatt etwas machen

Unsere Kolumnistin freut sich auf schöne Momente im neuen Jahr. Denn diese treten immer dann auf, wenn man am wenigsten damit rechnet.

In acht Monaten, am 24. August 2021, sollen die Paralympischen Spiele in Tokio beginnen. Mit am Start wird die gebürtige Berlinerin Maria Tietze sein. Die inzwischen 31-Jährige begann einst mit dem Fußball als Sportlerin und ist nach einem Unfall und einer Amputation am linken Unterschenkel nun Paralympionikin (und spielt nebenbei immer noch Fußball). An dieser Stelle wird die Sprinterin und Weitspringerin monatlich und dann vor den Spielen in kürzeren Abständen über ihren Weg nach Tokio erzählen.

Während ich nach dem Training die Finger über der Tastatur schweben lasse und mir Inhalte für diesen Text durch den Kopf gehen, berieselt mich im Hintergrund Weihnachtsmusik. Ich liebe diese Zeit des Jahres. Geschenke aussuchen, verpacken und ein bisschen Heimlichkeit, sodass man seine Lieben dann überraschen kann. Der Duft von frischen Plätzchen und Zimt liegt in der Luft. Traditionell ist jetzt die Zeit das vergangene Jahr Revue passieren zu lassen. Aber warum nicht mal alles anders machen und optimistisch nach vorn schauen? Ist sowieso viel besser. Was passiert ist, können wir nach aktuellem Stand der Forschung eher schlecht rückgängig machen. Im Endeffekt spielen wir die Karten, die wir in der Hand haben. Und weil meine Familie gern spielt, weiß ich, dass man aus jedem Blatt etwas machen kann.

Wahrscheinlich haben die meisten ihre guten Karten bisher auf der Hand behalten, mussten aussetzen oder nachziehen. Dafür haben wir nun aber reichlich Asse und Joker parat. Und genau die gedenke ich nächstes Jahr auszuspielen. Ich freue mich auf das, was kommt.

Mein Kalender ist schon wieder so voll mit Trainingslagern und Wettkämpfen, dass ich überlege, mein Bett zu Hause vielleicht weiter zu vermieten. Okay, es gäbe Ärger von der besseren Hälfe, aber ich werde wohl ähnlich viel Zeit irgendwo anders wie zu Hause verbringen. Wir werden uns wieder messen und das im Sommer auch auf der größtmöglichen Bühne. Mit dem vor Augen schätze ich all die Zeit, die ich aktuell mit meinen Nächsten verbringen darf. Genauso freue ich mich darauf, auch nächstes Jahr wieder wunderschöne Momente mit ihnen zu teilen und viel zu lachen. Gründe finden wir dafür überall.

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Zum Beispiel, wenn ich mit Krücken und ohne Prothese unterwegs bin. Gerade im Sommer mit kurzer Hose ergibt das ein Bild, das für viele eher ungewohnt ist. So ist es mir passiert, dass ich in der Stadt an einer roten Fußgängerampel stehe. Auf der anderen Straßenseite warten ein älterer Herr mit Rollator und seine Tochter, unterhalten sich und schielen immer mal wieder auf die Ampel. Als diese auf grün umspringt setzen wir drei uns in Bewegung, gehen aufeinander zu. Die Tochter schaut mich an, zwinkert mir zu und sagt lachend zu ihrem Vater: "Und du sagst, DU könntest schlecht laufen." Diese Erinnerung lässt mich noch heute schmunzeln. Auch weil ich zu der Zeit noch gar nicht an Leichtathletik und internationale Wettkämpfe gedacht habe. Ganz schlecht laufe ich heute nicht mehr. Allemal etwas schneller. Mein Jahr davor war ungeplant anstrengend und ungewohnt, was daraus geworden ist, möchte ich allerdings nicht mehr eintauschen.

Ganz nebenbei spielen wir unsere gesammelten Trümpfe aus

So bescherte mir ein Spaziergang im Park, ebenfalls ohne Bein, diese schöne Erinnerung aus dem Kindermund. Ein Junge sah mich und fragte seine Mutter: "Mama, die Frau hat keinen Fuß, ist die jetzt Pirat?" Eine verheißungsvolle Karriere, die ich nach dem Sport durchaus anstreben könnte. In warmen Gefilden mit meinem klugscheißenden Papagei auf der Schulter über die Weltmeere schippern. Nur so ein Holzbein wird nicht so bequem sein.

Bleibe ich also doch lieber hier und freue mich auf das neue Jahr und besonders auf diese kleinen Momente. Vor allem, weil sie immer dann auftreten, wenn man am wenigsten damit rechnet. Sie lauern überall, wir müssen sie nur mit offenen Armen entgegen nehmen. Ganz nebenbei spielen wir dann grinsend nach und nach unsere gesammelten Trümpfe aus und drehen das Spiel zu unseren Gunsten. Aber vorher wünsche ich besinnliche Weihnachtstage und einen schmerzfreien Rutsch in ein tolles neues Jahr!

Marie Tietze

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