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Maria Tietze (links) bei der Para-Leichtathletik-EM 2018 in Berlin.
© Beautiful Sports/Imago

Kolumne - Mein Weg nach Tokio: Paralympics-Verschiebung ist gut für die Vorbereitung

An diesem Montag hätten die Paralympics begonnen, nun sollen sie ein Jahr später starten. Unsere neue Kolumnistin sieht es als Geschenk an.

Exakt in einem Jahr, am 24. August 2021, sollen die Paralympischen Spiele in Tokio beginnen. Mit am Start wird die gebürtige Berlinerin Maria Tietze sein. Die inzwischen 31-Jährige begann einst mit dem Fußball als Sportlerin und ist nach einem Unfall und einer Amputation am linken Unterschenkel nun Paralympionikin (und spielt nebenbei immer noch Fußball). An dieser Stelle wird die Sprinterin und Weitspringerin monatlich und dann vor den Spielen in kürzeren Abständen über ihren Weg nach Tokio erzählen.

Ist er nicht hart, dieser Montagmorgen? Das Wochenende wie immer viel zu schnell vorbei, dabei hat es nicht einmal die erhoffte Erholung gebracht. Denn Wochenende hieß konkret: Saisonhöhepunkt und somit wichtigster Wettkampf des Jahres. Das war am Freitag auf internationaler Bühne beim Para-Leichtathletik-Heimspiel in Leverkusen.

Am Sonntag folgte noch mal ein Schnelligkeitsvergleich unter Nordrhein-Westfalens Para-Leichtathleten in Duisburg. Wenn Erholung heißt, dem eigenen Körper das absolute Maximum abzuverlangen, ja, dann war es ein äußerst erholsames Wochenende.

Wir wollen zeigen, was ein vermeintlich kaputter Körper leisten kann

Aber bitte nicht falsch verstehen, ich mache das überaus gern. Vor allem nachdem wir beim TSV Bayer 04 Leverkusen nach dem Lockdown davon ausgegangen waren, dieses Jahr ohne Wettkämpfe verstreichen zu lassen. Zu unserer großen Freude ist es anders gekommen. Klar, wir können nicht auf direkte Unterstützung der Zuschauer bauen, aber wir wollen und dürfen uns nun auch wieder mit anderen Athleten messen – und nicht nur mit denen aus unserer eigenen Trainingsgruppe.

Denn, Hand aufs Herz, welcher Leistungssportler sucht nicht ständig diesen Vergleich? Wir werden doch alle davon angetrieben, schneller sein zu wollen als die Person auf der Bahn neben uns. Oder weiter zu springen als der Rest der Welt. Oder weiter zu werfen als der ewige Konkurrent, den man fast schon seit den ersten Bundesjugendspielen hat. Im Fall der Para-Athleten kommt oft noch hinzu, dass wir allen da draußen zeigen wollen, dass auch ein vermeintlich kaputter Körper noch so viel leisten kann.

Leistungssportler in Kurzarbeit

Ist dieser Körper wirklich so kaputt? Er mag anders aussehen und anders reagieren, aber er möchte genauso getriezt werden, ob mit zwei oder einem Bein, ob mit zwei oder null Armen, mit Prothese, im Rollstuhl oder mit Guide. Also schnüre ich regelmäßig am Wochenende meinen Sprintspike, lege die Blade an und laufe gegen und mit anderen so schnell es geht die halbe Stadionrunde.

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Und zwischen den Wochenenden wetze ich jeden Tag meine Laufschuhe auf der Tartanbahn ab oder bewege möglichst schwere Gewichte. Aktuell nur einmal am Tag, auch Leistungssportler sind derzeit irgendwie in Kurzarbeit – sechs statt zehn Einheiten pro Woche.

An die neue Situation anpassen

Ist das dann diese Erholung, die es am Wochenende nicht gab? Auf diese Art jedenfalls kann der Körper sich die Ruhe gönnen, die er jetzt sonst nicht bekommen hätte. Und die er ab Oktober, wenn die neue Saison beginnt, auch nicht mehr bekommen wird. Heute hätten wir die Eröffnung der Paralympischen Spiele in Tokio gefeiert und in den kommenden Wochen um die begehrtesten Medaillen des Sports gekämpft.

Stattdessen mache ich jetzt das, was ich nach meiner Unterschenkelamputation gelernt habe: mich einer ungeplanten und neuen Situation anpassen. Die Verschiebung der Paralympischen Spiele hat mir ein Jahr zusätzlicher Vorbereitung geschenkt.

Erst seit etwa drei Jahren bin ich im Parasport aktiv. Aber nun bekomme ich von den ersten freien Schritten mit Prothese bis zum Start der Paralympics in einem Jahr meine ganz persönliche Olympiade, also mehr Zeit vor den Spielen. Gern nehme ich Sie an dieser Stelle nun regelmäßig mit auf eine parasportliche Reise.

Maria Tietze

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