Das Vertrauen zahlt sich langsam aus: Alba Berlin glaubt an das Potenzial von Christ Koumadje
Sehr große Spieler wie Koumadje haben es im modernen Basketball nicht leicht. Aber Albas Trainer Aito Garcia Reneses fördert sie gern.
Es ist ein komischer Anblick, wenn Christ Koumadje zur Arbeit kommt. Der Center aus dem Tschad hat keinen Führerschein und lässt sich meistens von einem seiner Mitspieler in die Halle kutschieren. Bei Alba Berlin fahren die Profis Dienstwagen aus der Kompaktklasse und mit seiner imposanten Körpergröße sieht es für Koumadje auf dem Beifahrersitz nicht allzu komfortabel aus.
221 Zentimeter von Kopf bis Fuß sind im Alltag schon mal eine Herausforderung, den Weg zur Arbeit nimmt der 24-Jährige aber locker. „Die Autos sind erstaunlich geräumig“, sagt Koumadje vor dem ersten Halbfinale gegen Ulm am Sonntag (14 Uhr, Magentasport) in der Arena am Ostbahnhof.
Auf dem Basketballfeld ist die Größe hingegen sein entscheidender Trumpf. In den USA gibt es einen passenden Spruch für Spieler wie Koumadje. „You can't teach hight“ – Länge kann man nicht lehren. Unausgesprochen, aber ebenso selbstverständlich ist:
Basketballspezifische Fähigkeiten kann man auch großgewachsenen Menschen vermitteln. Und bei Alba Berlin haben sie mit Aito Garcia Reneses einen Meister dieses Fachs.
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Die spanische Trainerlegende hat schon weltbekannte Big Men wie Kristaps Porzingis (ebenfalls 2,21 Meter) und Pau Gasol (2,16) in jungen Jahren gefördert. „Es gab auch in Spanien Zeiten, in denen es nicht so gut lief. Irgendwann haben wir dann gemerkt, dass Athletik und eine gute Wurfquote allein nicht für die Weltspitze reichen. Es reicht nur dann für ganz oben, wenn große Spieler das alles können“, sagte Reneses dem Tagesspiegel 2017 in einem Interview.
Offensiv ist noch sehr viel Luft nach oben
Für Koumadje war der Trainer im Februar ein wichtiges Argument beim Wechsel nach Berlin. „Seven-Footer“, also Spieler über 2,13 Meter, seien im modernen Basketball nicht mehr so gefragt, sagt Koumadje. „Aito ist einer der wenigen großen Coaches, die dich auch mit dieser Größe in Situationen bringen, in denen du deine Stärken voll ausspielen kannst.“ Besonders Reneses’ Auge für Details kann dem Center enorm weiterhelfen.
Nach fast vier Monaten bei Alba deutet Koumadje sein großes Potenzial immer häufiger an. Offensiv ist noch sehr viel Luft nach oben, defensiv kann er das Spiel aber schon wesentlich beeinflussen. Für seine Größe ist er sehr beweglich und im Viertelfinale brachte die Zonenverteidigung mit Koumadje unter dem Korb die Hamburg Towers mehrfach völlig aus dem Rhythmus.
Mit seinen langen Armen blockt er viele Würfe und zwingt den Gegner zu sehr hohen und dementsprechend schwierigen Würfen. „Man sieht, was das für eine Option sein kann“, sagt Manager Marco Baldi. „Die sind am Schluss alle außenherum gelaufen und haben versucht, ihm aus dem Weg zu gehen.“
Bei Alba sind sie mit Koumadje ganz bewusst eine Wette eingegangen. In dieser Saison stand der Center schon bei Estudiantes Madrid und Awtodor Saratow unter Vertrag, konnte sich dort aber nicht nachhaltig empfehlen. Nachdem Koumadje in seiner Heimat erst mit 15 Jahren mit dem Basketball begann, erhielt er seine weitere Ausbildung in den USA.
Erst an der renommierten Montverde Academy an der Seite des heutigen NBA-Stars Ben Simmons, dann an der Florida State University. In der Saison 2019/20 war er in der Entwicklungsliga der NBA aktiv und wurde dort zum besten Verteidiger gewählt.
„Ein interessantes Puzzlestück“
Die Berliner haben ihm aber nicht wegen seiner bisherigen Leistungen einen Vertrag bis 2023 gegeben, sondern weil sie an sein Potenzial glauben. Ein derart großer Center könne dem Spiel eine neue Dimension geben, sagt Baldi. „Das wird Zeit brauchen, aber wir sind ja kein Klub, der fertig von der Stange operieren kann – und Christ kann ein interessantes Puzzlestück sein.“
Diese Philosophie hat Koumadje die erste Eingewöhnung deutlich erleichtert. Es ist nie einfach, mitten in der Saison zu einem eingespielten Team zu kommen. Doch während anderswo schnell die Leistung im Fokus steht, haben sie ihm in Berlin Zeit gegeben. Wochenlang stand Koumadje nicht mal im Kader, dann wurde er schrittweise integriert. „Alle wollen das fertige Produkt, aber bei Alba legen sie Wert auf die Entwicklung“, sagt Koumadje, der sich auch menschlich sehr wohl fühlt im Team.
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Schon bei seiner Verpflichtung fiel sehr häufig der Name Walter Tavares. Der Center von Real Madrid ist eine körperlich ähnlich imposante Erscheinung und wurde gerade zum zweiten Mal als bester Verteidiger der Euroleague ausgezeichnet. Koumadje bezeichnet ihn defensiv als „beast“ und nennt ihn neben NBA-Center Rudy Gobert als einen der Spieler, von denen er sich am meisten abgucken könne.
Baldi verwies von Anfang an darauf, dass man Koumadje nicht mit Tavares vergleichen solle. Am Star von Real Madrid lässt sich aber erkennen, dass der Basketball trotz aller Tendenzen zu Vielseitigkeit und Schnelligkeit durchaus Platz für außergewöhnlich große Center hat. „Ich denke nicht, dass ich anfangen werde, Dreier zu werfen“, sagt Koumadje und lacht. „Mit meiner Größe muss es mein Ziel sein, die Zone defensiv und offensiv zu dominieren.“ Gelingt das in den kommenden Jahren, wäre Albas Wette aufgegangen.