Olympischer Albtraum: Wie Potsdams Spitzensportler mit der Coronakrise umgehen
Kanu-Rekordweltmeister Ronald Rauhe spricht über eine fluchtartige Odyssee im Trainingslager, Weltklasse-Geher Christopher Linke über Motivationsprobleme. Die Vorbereitungen für die Sommerspiele 2020 sind schwierig - und die Qualifikation erst recht.
Potsdam - Den Zeitraum vom 24. Juli bis 9. August 2020 haben auch viele Potsdamer Spitzensportler dick im Kalender markiert. Dann soll Olympia in Tokio stattfinden. Der Termin steht noch – trotz der immer gravierenderen Einschränkungen aufgrund des Coronavirus. Doch die aktuelle Lage verunsichert die Athleten, der Formaufbau ist beeinträchtigt, die Qualifikationsmöglichkeiten fraglich. Der olympische Traum nimmt eher die Züge eines Albtraums an. „Es liegt alles im Nebel“, sagt der deutsche Kanu-Rekordweltmeister Ronald Rauhe.
Hinter ihm liegen die „hektischsten Tage“ seiner Karriere, wie der Kajakfahrer des KC Potsdam im OSC sagt. Eigentlich sollte er bis Donnerstag mit einer 16-köpfigen Gruppe beim Trainingslager in Sevilla weilen. Allerdings verhängte Spanien den Notstand, sodass schon am Freitag nach nur etwas mehr als einer Woche vor Ort abrupt Schluss war. „Wir hatten zunächst für Sonntag Rückflüge gebucht. Dann hieß es, das Land macht bereits in der Nacht zu Samstag alles dicht“, erzählt Rauhe. Neue Flüge waren nur für Samstagfrüh zu bekommen – vom 200 Kilometer entfernten Faro in Portugal aus. „Wir haben so schnell wie noch nie die Sachen gepackt und Boote auf die Anhänger verladen.“ Die Hoffnung, per Mietautos nach Faro zu fahren, zerschlug sich - für Reisen ins Ausland wurden sie nicht mehr herausgegeben. „Mit viel gutem Zureden haben wir dann Taxis organisiert, die uns in einer Kolonne kurz vor Mitternacht über die Grenze gefahren haben.“ Die Odyssee führte über den Flughafen München, von wo aus die Athleten jeweils nach Hause weiterfuhren.
Top-Athleten dürfen als Ausnahme in den Luftschiffhafen
Rauhe, 38 Jahre alt und 16-facher WM-Titelträger, lebt in Falkensee. Sein Trainingsmittelpunkt ist der Sportpark Luftschiffhafen. Gemäß Allgemeinverfügung der Stadt Potsdam ist das Areal wegen der Coronaviruskrise geschlossen.
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) hatte am Montag auf einer Pressekonferenz jedoch Ausnahmen „in besonders begründeten Einzelfällen“ in Aussicht gestellt. Sie gelten für die Top-Athleten des Olympiastützpunktes, die unter direkter medizinischer Betreuung stehen. „Wir hoffen, dass das erst einmal so bleibt, wissen aber, dass es sich gerade wie in allen Bereichen von Tag zu Tag ändern kann“, sagt Rauhe.
Linke weiß nicht, wofür er gerade trainiert
Am Mittwoch kehren Potsdams Weltklasse-Geher planmäßig zurück. Im Trainingslager in Südafrika konnten sie zuletzt dreieinhalb Wochen unter guten Bedingungen trainieren. Und doch nicht sorgenfrei. Christopher Linke hat angesichts der „ungewissen Zukunft“ mentale Probleme, wie er in einem Statement auf der Internetseite des Deutschen Leichtathletik-Verbands erklärt.
„Motivation und Moral sind bei mir komplett weggebrochen“, sagt der WM-Vierte von 2019 über die 20 Kilometer. In den vergangenen Tagen sei er im Training völlig gehemmt gewesen. Mehrere Wettkämpfe wurden schon abgesagt, die Olympia-Austragung wackelt. „Ich bin kein Athlet, der gerne ohne Ziele trainiert“, so Linke. „Ich gehe nicht zum Training, weil es mir so besonders viel Spaß macht, sondern weil ich weiß, dass es zu einer Top-Leistung dazugehört.“ Jetzt wisse der 31-Jährige nicht mehr, wofür er trainieren solle.
Nachqualifikation für Potsdamer Riemenruderinnen gestrichen
Linke, Nils Brembach und Saskia Feige haben als Geher-Trio des SC Potsdam bereits die Norm für Olympia erfüllt. Laut Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), gehören sie zu den 55 Prozent der Teilnehmer, die ihre Tickets schon gelöst haben. Der Rest – wie etwa Linkes Trainingskollege Hagen Pohle – muss noch Nominierungsnachweise erbringen, was jedoch kaum möglich ist, weil reihenweise Qualifikationswettkämpfe abgesagt werden.
Unter anderem setzt der Deutsche Schwimm-Verband all seine Veranstaltungen bis 31. Mai aus. Damit findet die Internationale Deutsche Meisterschaft in Berlin nicht statt, die vom 30. April bis 3. Mai geplant war. Der Potsdamer Rückenspezialist Christian Diener hatte vor allem diesen Wettkampf für seine Olympia-Qualifikation im Fokus. Außerdem wurde die Olympia-Nachqualifikation der Ruderer im Mai in Luzern gestrichen – ersatzlos. Bei der Regatta wollten auch die Riemenfahrerinnen des Bundesstützpunktes Potsdam um Startplätze kämpfen. Auf welcher Grundlage diese nun vergeben werden, ist offen. IOC und Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) kündigten zwar Flexibilität bei der Anpassung der Kriterien an, doch würde es eine organisatorische Herausforderung werden – wohl inklusive herber Enttäuschungen für die Sportler.
OSC-Fünfkämpfer machen nur "Basic-Programm" im Training
Der Weltverband der Modernen Fünfkämpfer möchte eine Verlängerung des Qualifikationszeitraums um einen Monat. Eigentlich sollte er am 31. Mai enden. Aber erst frühestens ab Mitte Mai soll das Nachholen der abgesagten Weltcups beginnen. Die WM wurde bereits Ende Februar von China nach Mexiko verlegt, der Termin (25. Bis 31. Mai) ist zunächst unverändert. Beim bisher einzigen Saison-Weltcup Ende Februar in Kairo hatten die Pentathleten des OSC Potsdam vordere Platzierungen erkämpft.
Wegen der langen Wettkampfpause müsse die Trainingsstruktur jetzt angepasst werden, sagt OSC-Chefcoach Claudia Adermann. „Wir können nicht voll so weitermachen, als fänden die Veranstaltungen wie geplant in den nächsten Wochen statt.“ Das Pensum werde vorerst heruntergefahren. „Wir machen ein Basic-Programm und ziehen dann wieder an, wenn es ernst wird.“
"Wir Athleten müssen trotzdem versuchen, weiter durchzuziehen"
Die vielen Einschränkungen seien „völlig nachvollziehbar und doch schwer zu verarbeiten“, sagt Paddel-Ass Rauhe. Die erste nationale Sichtung seines Verbandes Anfang April in Duisburg wurde auch abgesagt. Fünfmal hat Rauhe schon an Olympia teilgenommen, je einmal Gold und Silber sowie zweimal Bronze gewonnen. Dieses Jahr wollte er in Tokio mit dem Kajak-Vierer den glänzenden Schlusspunkt seiner Laufbahn setzen. Doch sei es schwierig, überhaupt noch das Ziel vor Augen zu haben. „Der Kopf kann nicht mehr zu 100 Prozent auf den Sport fokussiert sein“, sagt er. „Ich habe zwei Söhne im Kita-Alter. Es ist wird jetzt immer problematischer, meine Frau mit den vielen Aufgaben alleine zu lassen.“
Auch wenn es schwer falle, "müssen wir Athleten trotzdem versuchen, weiter durchzuziehen“, sagt Rauhe. „Ich möchte mir am Ende, wenn Tokio wie geplant stattfinden sollte, nicht vorwerfen, mich nicht zusammengerissen zu haben.“ Seinen Olympia-Traum 2020 wolle er am Leben halten.
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