Online-Premiere am Hans Otto Theater: Wenn Gott für sich kämpfen lässt
Lessingsche Aufklärung für Jugendliche ab 13: „Nathans Kinder“ von Ulrich Hub stellt in Potsdam die alten Fragen für ein junges Publikum neu.
Potsdam - Ein Anfang wie ein Fausthieb. Fäuste hämmern auf eine Mauer. Auf ein Flammenmeer eigentlich, das hierauf projiziert wird. Und war davor nicht auch kurz Potsdam aus der Luft zu sehen? Vor der Bilderflut stehen da nebeneinander, mit dem Rücken zur Kamera: ein Jude, ein Christ, ein Moslem. Drei Glaubensrichtungen, und eine vierte Überzeugung, die sich im Laufe des Stückes erst finden muss: Atheismus. Vier Männer. Vier Kämpfer.
Die Bühne kommt schnell auf den Punkt: eine Wand
Dieser Beginn von "Nathans Kinder", Regie von Joerg Bitterich, gibt das Tempo der jüngsten Online-Premiere am Potsdamer Hans Otto Theater vor. Der blutige Kampf dreier Weltreligionen in der Stadt Jerusalem, die Suche nach einem Weg raus aus dem Strudel der Besserwisserei und Gewalt, und die verschlungenen Wege der Liebe, von Vater und Tochter, von Mann und Frau: All das soll in einer Stunde und zehn Minuten erzählt werden. Ein verschlankter Text macht es möglich. Gespielt wird Ulrich Hubs Jugend-Adaption von Lessings Aufklärungsklassiker "Nathan der Weise", empfohlen ab 13 Jahren.
Wer wenig Zeit hat, tut gut daran, schnell auf den Punkt zu kommen, und dabei hilft auch die Bühne von Juan Léon. Offenbar eine Reminiszenz an Mark Lammerts "Perser" am Deutschen Theater, ist sie so einfach wie überzeugend: eine drehbare Wand. Mal als frontale Mauer zu sehen, mal als Scheidewand, die die Bühne in zwei Teile gliedert. Wie fotogen das ist, hat eine Kamera dankenswerterweise auch aus der Vogelperspektive aufgenommen: ein technisches Novum bei den Streams des Potsdamer Theaters. Soundtechnisch treibt ein großes Orchester die Handlung voran, auch das ein Zugeständnis an das Filmformat, in dem das Theater sich coronabedingt hier präsentiert.
Im Mittelpunkt: nicht der weise Nathan, sondern die Jugend
Anders als in Lessings Drama von 1779 steht hier nicht der weise Nathan (Joachim Berger zwischen patriarchaler Machtpose und weicher Väterlichkeit) im Mittelpunkt, sondern die nachfolgende Generation: Seine Tochter Recha (Charlott Lehmann in ihrem eindrücklichen Debüt als Ensemblemitglied) und Tempelritter Kurt (könnte kostümtechnisch auch Dschihad-Kämpfer sein: Paul Wilms).
Der christliche Glaubenskämpfer Kurt hat Recha vor einem Feuer gerettet, ohne zu wissen, dass sie Jüdin ist. Seine Aufgabe eben, brummt Kurt, der Juden ganz offensichtlich eigentlich nicht leiden kann. Und Recha, die ihn erst für einen Engel hält, dankt es ihm mit Ehrlichkeit: Er sei also ein dressiertes Hündchen, ja? Kurt fühlt sich in seinen Zweifeln an dem Waffendienst erkannt und fragt bald: "Was ist das für ein Gott, der für sich kämpfen lassen muss?"
Paul Wilms spielt diesen Kurt so überzeugend zerrissen zwischen Pflichtgefühl und Aufbegehren, Charlott Lehmann ihre Recha so wunderbar "schlau und spitz" (Kurt), dass man dieser Annäherung gern noch viel länger zugesehen hätte: diesem utopischen Moment, wenn Liebe Vorurteile hinfällig macht. Ambivalenz ist hier allerdings nur den Liebenden gegeben, der heimtückische Bischof (Robin Jentys) agiert arg teuflisch, der Sultan (Jan Andreesen) schiebt sich in tänzerischen Arabesken über die Bühne: Beide wollen Nathan, "dem Juden", ans Leben. Und sind dabei pure Klischees. Opfer der knappen Zeit?
"No nations, no borders, no God"
Aber Recha gelingt es, die widerstrebenden Parteien momentweise zu versöhnen. "No nations, no borders, no God", sprayen sie und Kurt gegen Ende auf die Wand. Für einen kurzen Moment des Friedens kommen die Kämpfer friedlich zusammen. Zufall, dass die Café-Stühle, auf denen sie sitzen, an die Bilder aus Paris erinnern, als dort 2015 Kämpfer des so genannten "Islamischen Staates" aufs Schlimmste das zivile Leben angegriffen hatten?
Jugendliche heute mögen diese Bilder schon gar nicht mehr kennen. Juden- und Islamfeindlichkeit aber ist Thema wie eh und je. Und Inszenierungen wie diese haben gute Chancen, die lessingsche Pflichtlektüre auf ein für Jugendliche zugängliches Maß herunter zu brechen. Damit wäre viel geschafft: Denn die Fragen sind alt, aber die Antworten noch nicht gefunden. Und ein Austausch darüber, wo dieser Potsdamer "Nathan" vielleicht selbst Klischees aufgesessen ist, wäre doch ein prima Auftakt für ein Klassengespräch.
"Nathans Kinder" ist wieder am 14., 16. und 18. März sowie am 2. April jeweils ab 18 Uhr online zu sehen. Karten gibt es hier im Vorverkauf, der Stream bleibt für 24 Stunden verfügbar.