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Das Prinzip Hoffnung. Am Hans Otto Theater sind Jon-Kaare Koppe als Nathan und Juliane Götz als dessen Tochter Recha zu erleben.
© HL Böhme/Hans Otto Theater

„Nathan der Weise“ in Potsdam: Lessings Hoffnung bleibt

Intensiv durchdacht und gespielt: „Nathan der Weise“ überzeugt in einer Neuinszenierung am Hans Otto Theater.

Potsdam - Religiöser Fundamentalismus, Terrorgefahr und eifernder Rechtspopulismus: Diesen Themen kann man kaum entgehen. Aktuelle Anlässe gibt es genug. Gotthold Ephraim Lessings Appell für religiöse Toleranz und Menschlichkeit hat er in seinem Dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ 1779 aufgeschrieben. Es ist auch heute noch ein modernes Stück. Als Schlüsseltext der Aufklärung spitzt darin die Ringparabel den Toleranzgedanken zu und gibt den Religionen tausend Jahre Zeit, sich zu beweisen. Dass diese Zeit auch heute noch längst nicht abgelaufen ist, zeigen die gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina, zwischen Christen und Muslimen, Schiiten und Sunniten, Buddhisten und Muslimen und vielen weiteren. Im vergangenen Jahr hat das Theater Poetenpack unter der Regie von Andreas Hueck in der Französischen Kirche in Potsdam bereits bewiesen, dass „Nathan der Weise“ das Stück der Stunde ist. Am Freitag wurde eine Neuinszenierung in der Regie von Hans-Otto-Theater-Intendant Tobias Wellemeyer mit dem Bühnenbild von Harald Thor sowie den zeitlosen Kostümen von Tanja Hofmann erstmals gezeigt und vom Publikum zustimmend gefeiert.

Rings um den Kern der berühmten Ringparabel hält das Stück so manch andere Nuancen bereit: Liebesgeschichte, Glaubensfragen, Generationenkonflikt sowie die Schilderung von allgegenwärtigen Kriegsverlusten. Die Handlung bleibt die bekannte: Zur Zeit des Kreuzzuges Ende des 12. Jahrhunderts kommt Nathan, ein reicher Jude, nach einer Geschäftsreise zurück in sein Zuhause nach Jerusalem. Gerade wurde ein Waffenstillstand zwischen dem muslimischen Herrscher und den christlichen Tempelherren ausgehandelt, der jedoch sehr zerbrechlich ist. Die Gesellschafterin von Nathans Tochter Recha, die Christin Darja, berichtet ihm, dass es ein Feuer gab, in dem seine Tochter Recha fast umgekommen wäre, hätte nicht ein Tempelherr sie aus den Flammen gerettet. Dieser junge Mann ist vom herrschenden Sultan Saladin begnadigt worden. Nathan will dem Tempelherrn danken, doch dieser weigerte sich schon, Recha in Person erneut gegenüberzutreten, sie sei doch nur ein Judenmädchen. Doch in ihrem Vater Nathan findet er unerwartet einen Vertrauten im Geiste und beginnt sich mit ihm anzufreunden.

Ensemble stellt sich mit Hirn und Herz in den Dienst des Stücks

Die Bühne wird von einem ruinösen Haus, das vor einer hohen und grauen Mauer steht, beherrscht. Der Krieg hat also vor Nathans Haus nicht Halt gemacht, auch nicht vor dem Palast des Sultans Saladin oder des Patriarchen. So hat sich Harald Thor entschlossen, ein Einheits-Bühnenbild zu entwerfen. Es macht deutlich: Der Kreislauf kriegerischer Zerstörung macht vor niemand Halt.

Tobias Wellemeyer und sein hochmotiviertes Ensemble stellen sich mit Hirn und Herz in den Dienst des Stücks. Ohne theatralen Firlefanz und Zwangsaktualisierungen wird es intensiv durchdacht und gespielt. In der Diktion Lessings und deren teilweise heiterem Grundton bleibt die Botschaft Lessings auch am Hans Otto Theater überzeugend. Die Schönheit und die Kraft der Sprache werden wunderbar ausgekostet. Jon-Kaare Koppe spielt die Titelrolle in einer sehr reifen Form. Die auf vielen Ebenen zum Ausdruck kommenden Eigenschaften der Nathan-Rolle vermochte er mal mit leisen, mal mit nachdrücklichen, mal auch mit heiter-ironischen Tönen und dabei mit verhaltener Gestik wirkungsvoll zu artikulieren. Die warmherzige Sorge um Recha wird glaubwürdig dargestellt. Das Schöne ist auch, dass Koppe mit ganz natürlichem Ton die nicht leicht zu sprechenden Blankverse nuancenreich interpretiert. Temperiert und schnörkellos werden sie zum Leuchten gebracht. Nur so konnte die Szene, in der Nathan dem Sultan die Ringparabel erzählt, zu einem Höhepunkt der Aufführung werden.

An Jon-Kaare Koppes Seite waren Juliane Götz als Nathans Adoptivtochter Recha und Rita Feldmeier als Darja ebenbürtige Darstellerinnen. Rita Feldmeier versteht es, den Text mit eigenem, spitzem Humor zu durchleuchten, natürlich auch mit ihrem temperament- und kraftvollem Spiel, in dem das Fürsorgerische und das Eigennützige herausgearbeitet worden sind. Juliane Götz, die aus dem brennenden Haus vom Tempelherrn gerettete Recha, ist in ihrer Naivität und dann in der mädchenhaften Schwärmerei für ihren Retter berührend. Moritz von Treuenfels überzeugt ebenfalls als junger Tempelherr. Er stellt diese Figur zuweilen trotzig dar, verwandelt sie jedoch zu einem von Liebe zu Recha geleiteten und von der Weisheit Nathans faszinierten sensiblen Feingeist. Dem Sultan Saladin verlieh Frédéric Brossier, noch etwas glatt gespielt, die Züge eines selbstherrlichen Herrschers, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Doch von den klugen und mit diplomatischem Geschick gewählten Worten Nathans ist er der Toleranz nicht abgeneigt. Andrea Thelemann als Saladins kluge Schwester Sittah zeigte vielschichtige Ausdruckskraft. Wolfgang Vogler verkörperte zwei Rollen: den umtriebig-windigen Derwisch All Hafi, Nathans Freund, und einen Begleiter des im Rollstuhl sitzenden senilen Patriarchen. Das wirkte aufgesetzt, denn Vogler versteht die hasserfüllten Forderungen des unerbittlichen Vertreters des Christentums in Jerusalem, dass er den Juden Nathan unbedingt brennen sehen möchte, in den Raum zu schleudern. Den redseligen, einfältigen, doch grundehrlichen, dem Patriarchen von Jerusalem dienenden Klosterbruder spielt Christoph Hohmann sehr bewegend. Alle im Stück erscheinenden Personen sind Menschen, die religiösen Zwist und Diskriminierung verinnerlicht haben, sodass fast jeder Dialog zum Rededuell wird.

Versöhnung zwischen den Religionen und Kulturen ist möglich

„Nathan der Weise“ ist ein Schauspiel, das auch heute „das Konfliktpotential zwischen Judentum, Christentum und Islam spiegelt und gleichzeitig das Modell einer Versöhnbarkeit von Juden, Christen und Muslimen anbietet“, formuliert der Tübinger Theologieprofessor Karl-Josef Kuschel. Tobias Wellemeyer ist mit ihm und mit Lessing einer Meinung, dass eine Versöhnung zwischen den Religionen und Kulturen möglich ist. Im Finale wird, wie in Mozarts Opern, nach Rausch von Vorurteilen, Streit und unzähligen Missverständnissen zu einem großen Fest mit Muslimen, Juden und Christen eingeladen, in dem „Sanftmut, herzliche Verträglichkeit und Wohltun“ das Sagen haben. Doch ganz wird es ihnen noch nicht gegönnt. Das Einbrechen des Krieges macht die Feier zunichte. Aber nicht Lessings Hoffnung.

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Weitere Aufführungstermine: 26. Februar, 11. März, 12., 17 (ausverkauft, eventuell noch Restkarten an der Abendkasse) und 22. März. Weitere Infos zum Stück und zum Spielplan finden Sie hier >>

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