Localize Festival in Potsdam: Vier Wochen Konkurrenz zur Einheits-Expo
Localize, Potsdams Festival für Stadt, Kultur und Kunst schwärmt 2020 erstmals über vier Wochen aus ins Stadtgebiet. Im Jahr 30 nach der Wiedervereinigung bekommt es von der Einheits-Expo Konkurrenz - und kann eine wesentliche Lücke füllen.
Potsdam - "Wir miteinander", behauptet ein Kubus der Einheits-Expo direkt vor der Stadt- und Landesbibliothek. Man kann das Kleingedruckte auf dem Kubus lesen. Sich darauf ein Foto von Greta Thunberg anschauen. Oder sich beschallen lassen, denn der Kubus spuckt auch Töne aus. Nur "miteinander" kann man hier nichts tun.
Das diesjährige Motto: Center Shock
Es gibt eine Lücke in der offiziellen Einheits-Expo, die derzeit die Potsdamer Innenstadt bespielt, und die ist mit dem Wort "miteinander" gut umrissen. Nur wenige Schritte von der Bibliothek hat das Festival Localize sein Zentrum, die Slogans der Expo im Blick. Dass das am 17. September beginnende Festival sich jetzt vier Wochen lang anschickt, diese Lücke zu füllen, war so nicht geplant. Als die diesjährige Ausgabe konzipiert wurde, ging man noch von einem kurzen Festival aus, auch die Pläne für die Einheitsfeier waren andere. Dann kam Corona, statt der Einheitsfeier kam eine Ausstellung im Stadtraum, und Localize bekam Konkurrenz.
"Center Shock" lautet das Festivalmotto. Was ist das Zentrum? Gibt es überhaupt eins? Wer kommt in diesem Zentrum vor - und wer nicht? Die Fragen, die Localize stellen will, sind interessanterweise auch die, die, ausgeweitet auf den gesamtdeutschen Raum, in der Einheits-Expo zu kurz kommen. Symptomatisch dafür: Wenn der schwarz-rot-goldene "Wir"-Aufsteller im Oktober vom Platz der Einheit verschwindet, tritt dort das Potsdamer Kollketiv Qrfld mit einer Installation auf den Plan. Statt nur zum Schauen werden Potsdamer eingeladen, ihre eigenen Ideen zur Stadtmitte zu teilen. Und mitzuteilen.
Localize setzt auf Partizipation
Die Chancen stehen also nicht schlecht, dass das unverhoffte Nebeneinander der beiden Veranstaltungen die Stärken von Localize umso deutlicher macht. "Die Expo ist ja vor allem eine Art Dauerbeschallung", sagt Doreen Löwe vom Festival. Die Kulturmanagerin gehörte zu dem studentischen Team, das Localize vor zwölf Jahren ins Leben rief. Zusammen mit Jana Kamm hat sie die Ausgabe 2020 konzipiert. "Wir sind eher für die Zwischentöne zuständig", sagt Löwe. "Für die Frage danach, was hier fehlt." Und das ist in den Augen der Festivalmacherinnen die direkte Begegnung. Ob es nun um die Einheitsfeier in Potsdam geht oder um die Frage, was eine Stadt, ein Land lebenswert macht.
Die künstlerische Antwort von Localize: Partizipation. Gezeigt werden 16 künstlerische Positionen unter anderem am Kanal, in der Friedrich-Ebert-Straße, am Alten Markt und in der Brandenburger Straße. Die Potsdamer Band Im Modus stellt eine anarchistische Late Night Show aus der eigenen Küche vor - und sucht nebenbei Antwort auf die Frage: Gibt es das eigentlich, eine Potsdamer Szene? Das Berliner Fahrradio-Team sammelt per fahrbarem Radio Potsdamer Geschichten ein. Marcus Große und Irina Weise wollen jenseits der verhärteten Fronten von "Mitteschön" und "Potsdamer Mitte neu denken" in versöhnlicher Geste ein "Monument für die Mitte" eröffnen.
Wie Partizipation aussehen kann, zeigt auch Anna Dittrich. Die Designerin ist Künstlerstipendiatin bei Localize und mit drei sehr unterschiedlichen Arbeiten vertreten. Vor dem Festivalzentrum hat sie an einem Baugerüst Plastiktafeln angebracht, auf denen Besucher Fragen zur Stadt beantworten können. Auf einem weißen Relief der Stadt können sie zudem einzelne Felder nach Lust und Laune ausmalen, mit Nagellack.
Auf dem Alten Markt in den Spiegel schauen, die Brandenburger verhüllen
Wenn auf dem Alten Markt die Einheitsfeierlichkeiten vorbei sind, wird Anna Dittrich dort eine verspiegelte Box aufbauen: um so den historischen Stadtraum zu reflektieren, wie sie sagt. Und in der Brandenburger Straße will sie mit der Intervention "Lückenhaft -- etwas fehlt" auf Leerstand im Zentrum aufmerksam machen. Es wird um Verhüllung gehen. Ein bisschen wie bei Christo, sagt sie.
Anna Dittrich lebt in Berlin, hat davor viel Zeit im Ausland verbracht. In Polen, Israel, Österreich, Georgien. Der Blick, den sie von dort mitgebracht hat, ist der, den Localize als Festival sucht: von außen. Dazu lädt auch die Performance von "Ballroom Scene Berlin" ein, die das Festival eröffnen wird: ein "Art Voguing". Vogue, das ist vor allem im queeren Milieu gängige Disco-Praxis und bedeutet so viel wie flamboyantes Posen. Die künstlerischen Positionen von Localize im Stadtraum werden also mit jenen extravaganten, glamourösen Gesten des Pop abgeschritten und gefeiert, die einst im Schwulenmilieu in Harlem erfunden wurden - und natürlich feiern sich damit auch die Posenden selbst. Und sicher mit mehr Farben im Spektrum als nur Schwarz-Rot-Gold.
Localize 2020, 17.9. bis 17.10. im Potsdamer Stadtzentrum. Das ausführliche Programm finden Sie hier.
Lena Schneider