Alte Meister im Museum Barberini: Üppiges Abtauchen
Barock ist die Kunst der Inszenierung. Im Potsdamer Museum Barberini sind in der Ausstellung "Wege des Barock" Meisterwerke der Nationalgalerie Rom zu Gast.
Potsdam - Ist das noch Potsdam, oder doch schon Rom? Man betritt den ersten Saal der Ausstellung „Wege des Barock“ im Museum Barberini – und staunt. Über das Deckengemälde, das sich überreich darbietet, und das auf den Zentimeter genau in diese Deckung mit ihren seitlichen Wölbungen zu passen scheint. Nein, Potsdam zeigt eine passgenaue Projektion, denn nur in Rom, im dortigen Palazzo Barberini ist das Fresko „Triumph der göttlichen Vorsehung“ von Pietro da Cortona im Original zu sehen.
„Überreich“ ist das Stichwort, das direkt auf den Barock als gesamteuropäischen Kunststil verweist: So kennt man die Kirchen und Schlösser des 17. Jahrhunderts, in denen es wie nie zuvor auf die optische Überwältigung des Betrachters ankam. Auch beim Barberini-Deckenfresko, ausgeführt in den Jahren 1632-39, zielt die in zahlreichen, ineinander verschränkten Figuren dargestellte Handlung „auf den Verlust des Maß-, Raum- und Ordnungsgefühls beim Betrachter“, wie Inés Richter-Musso, Co-Kuratorin der Ausstellung, im Katalog schreibt. Zum Glück muss man sich nicht allzu lange den Hals verrenken, um das Figurengewirr zu entziffern. Denn es gibt als Leihgabe aus den Nationalgalerien Barberini Corsini in Rom einen Vorentwurf in Gemäldegröße, auf der die einzelnen Figuren aus der Nähe zu betrachten sind.
Nach diesem fulminanten Auftakt beginnt ein lehrreicher Parcours durch die beiden Ausstellungsgeschosse, honiggelb die Wände, wo es sich um Werke aus der Sammlung des Barberini-Papstes Urban VIII. handelt, tiefburgunderrot für weitere Barock-Gemälde aus Rom. Der Papst aber, mit ursprünglichem Namen Maffeo Barberini, ist die Zentralfigur der Ausstellung wie des Museums, von dem nun 54 Werke in dem 1771 nach dem 135 Jahre älteren römischen Original modellierten Potsdamer Palazzo zu sehen sind.
Alle Päpste versorgen ihre Familien mit Posten
Urbans Pontifikat dauerte von 1623 bis 1644. Er war einer der ausgabenfreudigsten Päpste überhaupt. In seine Amtszeit fällt die Weihe des Petersdomes im Jahr 1626. Urban ließ den bronzenen Altarbaldachin mit den gewundenen Säulen hinzufügen, ein Meisterwerk seines Lieblingskünstlers Gian Lorenzo Bernini.
Der wie stets ausgezeichnete Katalog der Potsdamer Ausstellung macht darauf aufmerksam, dass daran Darstellungen von Bienen zu finden sind. Damals wusste jeder den Anspruch des Barberini-Papstes zu deuten. Denn die ursprünglich aus der Toskana stammende Familie – Maffeo wurde 1568 in Florenz geboren – trug diese nützlichen Insekten in ihrem Wappen.
„Nützlich“ war ein Papst der frühneuzeitlichen Jahrhunderte zuallererst, indem er seiner Familie Posten und Pfründe verschaffte. Das tat Urban in reichem Maße. Der geläufige Begriff lautet „Nepotismus“, und auch Urban versorgte seine Neffen, die nepotes, mit Kardinalswürden und Ämtern im Vatikan. Anders als durch ein solches Netzwerk konnte sich ein Papst kaum im umkämpften, weil ungemein profitablen Amt halten.
Nach außen aber zeigte Urban glanzvolle Repräsentation durch Kunst und Architektur, wie wohl kein Vorgänger seit Julius II., diesem Renaissancepapst par excellence. Nach damaligem Verständnis stand zuallererst die Familie dafür ein. Zwei Papstneffen ließen den Palazzo Barberini errichten, der in seinen baugleichen Flügeln vier Zweige der Familie beherbergte. In der Mitte des Gebäudes befindet sich der Gran Salone mit der Verherrlichung des zum Papst aufgestiegenen Maffeo.
Der Palazzo wurde 1949 vom Staat erworben
Die Barberini sammelten, und sie vergaben Aufträge; doch mit dem Niedergang der Familie wurde die einst grandiose Sammlung verstreut. Verbliebene Bestände fielen mit der Auflösung des Kirchenstaates an das geeinte Italien. Es folgten vor allem im 20. Jahrhundert Anstrengungen, weitere Teile der Sammlung durch Rückkauf zusammenzuführen. Erstaunlich, dass doch so viele Gemälde noch zu haben waren. Nun sind sie am ursprünglichen Ort vereint, unter dem neuerdings gebräuchlichen Namen der Nationalgalerien Barberini Corsini. Der Palazzo Barberini selbst wurde 1949 vom Staat erworben.
Zu den Glanzstücken der nach Berlin entsandten Auswahl zählt das Portrait des Papstes von Pietro da Cortona von 1627. Anders als frühere Papst-Bildnisse, etwa von Tizian, ist hier keine psychologische Ausdeutung zu finden; ebenmäßig wie das Gesicht des nüchtern blickenden Papstes ist das Gemälde selbst. Es wäre wunderbar gewesen, hätten die Ausstellungsmacher das 30 Jahre frühere Portrait des noch jungen Maffeo von der Hand Caravaggios herleihen können!
Caravaggio – das ist der Name, mit dem das Museum Barberini vorab geworben hat, weil zu den Höhepunkten der Ausstellung der „Narziss“ zählt, dieser in glatter Wasseroberfläche sich spiegelnde Jüngling aus einer Erzählung des Ovid, eines der zahlreichen Meisterwerke des um 1600 in Rom rastlos tätigen Caravaggio. Damit sind zwei Aspekte der Ausstellung angesprochen.
Zum einen der künstlerische Einfluss, den der – lange vor Maffeos Papstwahl verstorbene – Caravaggio auf die nachfolgende Künstlergeneration ausübte, und zum anderen die erstaunliche Beschäftigung mit der Antike des ungemein belesenen Papstes. Letzteres ist nicht selbstverständlich, es war immerhin das Zeitalter der Gegenreformation und mit ihr der Inquisition, in der die Lektüre antiker, also heidnischer Literatur leicht als Häresie missdeutet wurde.
Man erkennt an der Vielzahl antiker Themen auf den Gemälden der Ausstellung, dass diese in der Renaissance so begeistert begonnene Beschäftigung nunmehr kulturelles Gemeingut geworden war. Andererseits malte Pietro da Cortona das Programmbild „Konstantin zerstört die heidnischen Götzenbilder“ – da hat der spätrömische Kaiser gleich eine barocke Christusstatue zur Hand, die er auf den Sockel der zerbrochenen antiken Skulptur heben lässt. Ein Spätwerk des Malers ist „Der Schutzengel“, der bereits den süßlichen Kitsch ahnen lässt, der vor allem im 19. Jahrhundert aus solcher Art Trostbild gewonnen wurde.
Die Ausstellung hat ihre Höhepunkte in einer naturnahen Malerei, die von Caravaggios Härte angestoßen und von den Epigonen wieder abgemildert wurde. In unmittelbarer Konkurrenz zu Caravaggio entstand die allegorische Darstellung „Himmlische und irdische Liebe“ von Giovanni Baglione 1602. Zu ihr gibt es ein leicht abweichendes Pendant in der Berliner Gemäldegalerie. 2001, in der Ausstellung der einstigen Sammlung Giustiniani im Alten Museum Berlin, waren beide Gemälde gemeinsam zu sehen. Im römischen Bild trägt der dargestellte Teufel die Züge Caravaggios, als Anspielung auf einen Urheberstreit, den beide Maler damals sogar vor Gericht ausfochten.
Viele Caravaggisten kamen aus dem Norden
In der Folge sind Werke zahlreicher, hierzulande wenig bekannter Maler zu sehen, die alle vom Helldunkel und der handlungsreichen Szenerie Caravaggios gelernt haben. Die Spannweite der Sujets reicht von den biblischen Geschichten, etwa dem selten dargestellten „Abschied der Heiligen Petrus und Paulus vor ihrem Martyrium“ von Giovanni Serodine, über die Auftaktszene aus Vergils Dichtung „Aeneis“, der „Flucht aus Troja“ von Mattia Preti, bis zum Genre des fröhlichen Becherns in Bartolomeo Manfredis „Bacchus und ein Zecher“.
Übrigens kamen viele Caravaggisten aus dem Norden, aus Nordfrankreich und den Niederlanden; Rom als Zentrum der abendländischen Kunst zog sie an. Wie stark die römische Barockkunst auf Potsdam und Preußen eingewirkt hat, zeigt die italienische Galerie, die Friedrich der Große 1768 in seinem nagelneuen Neuen Palais einrichten ließ. Gleich zwei Gemälde aus dem Zyklus von sechs Werken sind jetzt im Museum Barberini zu sehen – in der dritten, grün ausgeschlagenen Raumfolge.
Die beiden ausgeliehenen Gemälde stammen von Artemisia Gentileschi, die mittlerweile aufs höchste geschätzt wird. Artemisias eigene Biografie ist in die Gewaltdarstellung der „Lukretia und Sextus Tarquinius“ eingeflossen, die Friedrich zusammen mit der von untergründiger Spannung erfüllten „Bathseba im Bade“ seinem lasterhaften Neffen und Thronfolger als Mahnung zugedacht hatte.
Die Bilder entstanden zu der Zeit der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der der Barock seine schöpferischste Phase hatte. Zugleich ist mit diesem Zusatzkapitel zur eigentlichen Ausstellung ein schöner Bogen zum historischen Potsdam geschlagen. Es wird deutlich, wie sehr der Barock eine gesamteuropäische Erscheinung war, und am Beispiel Friedrichs: ganz unabhängig von der Konfession. Was zählte, war die Kunst. In Potsdam machte der Barock damals prachtvoll Station – und macht es jetzt erneut.
>>Potsdam, Museum Barberini, bis 6. Oktober. Katalog bei Prestel, 29,95 €, im Buchhandel 39 €. Umfangreiches Begleitprogramm unter museum-barberini.com/veranstaltungen.