Ausstellung im Potsdam Museum: Erinnerungen an eine Kriegskindheit
Blitzlicht der Erinnerung: Die Künstlerin Franek zeigt im Potsdam Museum anrührende Bilder ihrer Kindheit im Krieg.
Potsdam - Der niedrige fensterlose Raum erinnert sie an den Luftschutzkeller ihrer Kindheit. Nun ist er der passende Rahmen für ihre Ausstellung „als die Soldaten Schäfer waren“. Sie führt zurück in die Kriegstage von Potsdam. An den abgerundeten Wänden der Medienlounge im Potsdam Museum hat Sabine Franek-Koch, bekannt unter ihrem Künstlernamen Franek, zwei weiße Papierbänder gespannt. Darauf schrieb sie die Textanfänge der Lieder „Schlaf, Kindchen, schlaf, der Vater hüt’ die Schaf’“ sowie „Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg“. Die Mutter hatte ihr diese Lieder oft vorgesungen. Damals, als der Vater im Krieg war und die Familie auf seine Rückkehr wartete. Es war das Jahr 1955, als er die Frau und drei Kinder wieder in den Arm nehmen konnte: nun ein Fremder geworden. „In deiner kindlichen Vorstellung siehst du den vermissten Vater irgendwo in der Ferne Schafe hüten ...“ schrieb sie auf einem Zettel und malte dazu diesen Vater als dunkle gebückte Gestalt in einer Schafherde. Sich selbst malt sie als Kind schaukelnd über die Schäfchenwolken hinweg.
Wie in einem Tagebuch sehen die Besucher Stationen ihrer weiten Reise durch eine dunkle Kindheit: die Zeit in Potsdam, als sie noch am Neuen Garten wohnte, die Flucht nach Göttingen, wo sie in einer „Irrenanstalt“ Zuflucht fanden, die Jahre im Kohlenpott, wo sie mehr Ruß einatmeten als Brot zu essen hatten. Die eigenen Erinnerungen kreuzen sich mit heutigen Kriegsnachrichten. Das Kind Sabine während der Nazizeit neben Kindern aus Aleppo oder aus der Ukraine heute.
Franek wurde am 1. September 1939 in Potsdam geboren. „Es war wie ein Trauma: Ich hatte immer das Gefühl, als hätte ich den Zweiten Weltkrieg ausgelöst“, sagt sie am Donnerstagabend zur Eröffnung ihrer kleinen, aber sehr mitreißenden Ausstellung. Es löste in ihr immer Unbehagen und Scham aus, wenn sie das Geburtsdatum sagen musste. „Heute kennen jüngere Leute dieses Datum oft gar nicht mehr.“ Was viel bedenklicher sei.
Auf einem der Begleittexte zu ihren comicartigen Bildern und Collagen ist zu lesen: „Am 1. September 1939 rief die Mutter den Vater an – er war damals Offizier im Generalstab – und sagte: ,Es geht los!’ Er darauf: ,Das weiß ich schon.’ Sie sprach von deiner Geburt, er vom Beginn des 2. Weltkrieges.“ Franek malte ihre Mutter als junge Frau in engem Kostüm, einen weißen Kinderwagen schiebend. Über ihr ein Kampfflugzeug. Der Titel des Bildes: „1. September 1939 am Himmel über Polen“. Immer wieder sind auf ihren Bildern Flugzeuge der Marken Stukas und Junkers zu sehen – und darunter ein kauerndes Mädchen, das sich die Arme vor das Gesicht hält: Was ich nicht sehe, kann doch nicht sein.
Der Krieg ist ein Dauerthema im Werk der Künstlerin, die an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin studierte und deren Werke unter anderem im Bundestag hängen. Ihre Arbeiten ergänzen bestens die große Sonderausstellung „Umkämpfte Wege der Moderne“, die Geschichten aus Potsdam und Babelsberg von 1914 bis 1945 erzählt und bis 21. Juli verlängert wurde, sagte Kuratorin Wenke Nitz zur Vernissage. Franeks künstlerische Be- und Verarbeitung des Krieges sei sehr persönlich und aufrüttelnd: in einer bannenden, assoziationsreichen Maltechnik, so Nitz.
Sie wirken wie Lichtblitze, wie ein kurzes Aufflackern. Es passt gut, dass die Bilder und dazugehörigen Texte auch auf Leinwand laufen. Man kann sie aber ebenso an den Wänden betrachten oder in den Vitrinen, in der das frühe Tagebuch mit der kindlich-weichen Schrift von Franek liegt, ebenso wie Zeitungsartikel über die Rückkehr des Vaters aus sowjetischer Gefangenschaft in Workuta. Auch die Finnenmütze ist zu sehen, die ihr der Vater während seines Fronturlaubs einst schenkte. „Die Fotoalben aus meiner Kindheit sprechen eine ganz andere Sprache als meine Erinnerungen. Dort ist eine sorglose heile Welt abgebildet“, sagt Franek. Man sehe, wie sie einen Stein im Neuen Garten streichelt, mit dem Vater im Schnee stapft. Mit der Finnenmütze auf dem Kopf. In ihrem eigenen Kopf streunen ganz andere Bilder umher und wollen heraus: Narben ihrer eigenen Geschichte.
Den großen Bombenangriff in Potsdam musste sie nicht miterleben. Zu sechst begab sich die Familie kurz vorher auf die Flucht. Neben ihren eigenen drei Kindern nahm die Mutter noch zwei weitere Kinder in ihre Obhut. Deren Mutter war bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Die Kinder überlebten unter einer umgestürzten Badewanne. Franek malte diesem entronnenen düsteren Tag von Potsdam dennoch und schrieb dazu: „Am 14. April 1945 werfen 724 Flugzeuge der Royal Air Force 1725 Tonnen Bomben auf die Stadt – der Code für den Angriff lautet: CRAYFISCH. Das ist Flusskrebs. 3 Wochen vor der Kapitulation.“
Ihre Erinnerungsfetzen seien fragmentarische Bilder, die wie in einem schlechten Schwarz-Weiß-Film verschwimmen. Doch nach dem Krieg bekamen sie Farbe und Konturen, so Franek. Es überwiegt zwar das Schwarz, aber immer wieder leuchtet das Orange heraus: als Kindermütze, Hund oder Crayfisch. Fast heiter mutet es an. Doch auf dem zweiten Blick verstummt alles Unbeschwerte.
Wie in ihrem Bild zum Luftschutzkeller. In der kindlichen Vorstellung bringt sie der an der Front kämpfende Vater in diesen Keller: ein kopfloser Mann in Uniform, der das Mädchen in ihrem orangenen Kleidchen fest an der Hand hält. Das Orange spiegelt sich wider in den Flammen der brennenden Häuser.
>>Zu sehen in der Medienlounge im Potsdam Museum, Am Alten Markt, bis zum 28. Juli. Der Eintritt ist frei