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Caravaggio malte „Die Grablegung Christi“ (Ausschnitt) 1602/03. Das Bild ist die Sensation der Münchner Ausstellung.
© Città del Vaticano, Musei Vaticani, Pinacoteca

Caravaggio-Ausstellung in München: Wunder vor Augen

Der Maler Caravaggio und seine enorme Wirkung auf die Künstler Europas: eine grandiose Ausstellung in Münchens Alter Pinakothek.

Seit 1601 hing in der römischen Kirche Santa Maria del Popolo ein Altarbild mit der Kreuzigung Petri. Hochdramatisch, wie das Kreuz diagonal im Bildraum verkantet war, mit einem gegen die Tortur halb aufbegehrenden, halb darein sich ergebenden Petrus, mit Schergen, die ihr brutales Handwerk als Handwerk ausüben.

In den Folgejahren fertigten Künstler, von denen es in Rom Anfang des 17. Jahrhunderts um die 2700 gab, zahlreiche Kopien an. Eine dieser Kopien aus dem spanischen Valencia ist jetzt in der Alten Pinakothek München zu sehen, stellvertretend für das Original des Meisters, dessen Werke längst zu den Hochkarätern des Museumsbetriebs zählen.

Dieser Meister heißt Michelangelo Merisi, nach seinem lombardischen Geburtsort genannt Caravaggio (1571–1610). Über ihn ist mittlerweile bis zum Überdruss geschrieben, gemunkelt und auch gefilmt worden. Spieler, Schläger, Mörder gar; zugeschrieben wird ihm die ganze Palette abweichenden Verhaltens, wie es seinerzeit in Rom beinahe schon die Regel darstellte für junge Künstler, die es aus allen Teilen Europas in die Stadt lockte.

Er malte anders al alle vor ihm

Das tut den Bildern keinen Abbruch, die Caravaggio hinterließ. Knapp 70 haben sich als anerkannt eigenhändige Werke erhalten. Eines ist so atemberaubend wie das andere. Wenn gemeinhin gesagt wird, Caravaggio habe die Malerei revolutioniert, dann gilt das beinahe für jedes seiner Gemälde. Noch jedes Sujet – und die Themen wurden von den Auftraggebern gestellt, um die der notorisch klamme Maler buhlen musste – malte er anders als alle vor ihm. Auch malte er die Details so wirklichkeitsgetreu wie nie zuvor, die Gesamtanlage des Bildes aber so schmerzlich klar, als ob in seinem Atelier ununterbrochen Scheinwerfer gebrannt hätten. Hell-Dunkel, das ist die Eigenschaft, mit der Caravaggios Bilder zuallererst charakterisiert werden, ein krasser Gegensatz von taghellen und nachtschwarzen Partien, wie es sie zu Zeiten des Malers bei gelblichem Kerzen- und Fackelschein gar nicht geben konnte.

Nur vier Caravaggios sind zu sehen, dazu zwei Kopien

Von Scheinwerfern werden auch die 75 Werke der Münchner Ausstellung angestrahlt. Sie leuchten vor dem Schwarz der Wände, die im Licht der Strahler auberginenartig glänzen. So hat keiner der Maler je seine Werke gesehen. Nur vier von ihnen stammen von der Hand Caravaggios, zwei weitere sind Kopien; aber die stechen sofort heraus, obwohl die anderen Gemälde ganz im Stil des Meisters gehalten sind.

Caravaggios Wirkung auf seine Altersgenossen war enorm; aus dem niederländischen Utrecht kamen drei seiner gelehrigsten Nachahmer, Hendrik ter Bruggen, Gerard van Honthorst und Dirk van Barburen. Diesem als „Utrechter Caravaggisten“ bekannten Trio gilt das Hauptaugenmerk der Ausstellung. Daneben aber sind, nicht minder interessant, Franzosen wie Simon Vouet, Nicolas Régnier und Valentin de Bourgogne zu sehen, die das Hell-Dunkel des Vorbilds beinahe ebenso gut auszuführen wussten. Und Italiener wie Bartolomeo Manfredi sowie Orazio Gentileschi, der Caravaggios Faible für ungeschminkt brutale Szenen teilt (und an seine als Angehörige einer jüngeren Generation hier nicht mehr vertretene Tochter Artemisia weitergeben wird).

Im Hauptsaal ist Christus die Zentralfigur

Brutal allerdings: Ehe der Besucher in den Hauptsaal der Alten Pinakothek gelangt, muss er sich durch ein ganzes Spalier von Enthauptungen kämpfen, mal als David und Goliath, mal als Judith und Holofernes deklariert. Im Hauptsaal dann ist Christus die Zentralfigur; auch da geht es schrecklich und blutig zu. Im Zentrum des Saales und der ganzen Ausstellung ist Caravaggios kurz nach 1600 gemalte „Grablegung Christi“ aus den Vatikanischen Museen. Zwar wollen die Kuratoren, Bernd Ebert aus München und Liesbeth Helmus aus Utrecht, Caravaggio im Spiegel seiner Bewunderer und Nachahmer zeigen, aber dies ist dennoch das Spitzenwerk.

Und das gewiss nicht wegen der von jedem Simpel erwähnten schmutzigen Füße und schwarzen Fingernägel oder was Caravaggio sonst noch an seinen gern von der Straße geholten Modellen sah und ungeschönt wiedergab. Sondern weil der Komposition im Ganzen und ihren sechs Personen im Einzelnen eine Kraft innewohnt, ein Sog, dem sich der Betrachter nicht entziehen kann und der ihn mit jeder Figur und ihrem Wesen konfrontiert.

Der muskulöse Leib Christi ist nicht entstellt, wie so oft bei den älteren Malern des Nordens, aber auch nicht geschönt wie bei den Italienern. Bernd Ebert nennt den Lombarden im Gespräch „einen Maler des Nordens“, um diesen Unterschied zu betonen. Vor allem das Licht hat nichts südlich Mildes, schon gar nichts Verklärendes.

Weltliches und Göttliches berühren einander

Nur wenige Bilder kommen dem Charakter dieses Altarbildes nahe. Interessanterweise am durchgängigsten die des Spaniers Jusepe de Ribera, der – wie die meisten Künstler der Ausstellung – als junger Mann nach Rom kam. Dort gelangte er zu erstem Ruhm, sein Leben verbrachte er dann als anerkannter Künstler im spanisch beherrschten Neapel. Mit anderen Worten, die Fokussierung auf die drei aus Utrecht wird durch die Ausstellung selbst relativiert, indem sie zeigt, dass Caravaggios Stil über den Schmelztiegel Rom zu einem europäischen Phänomen wurde. Der Wirklichkeitsgrund, aus dem diese Kunst erwachsen konnte, war allerdings nur in Rom gegeben, der Stadt der Kardinäle und Diplomaten, Huren und Zocker, Degenträger und Messerstecher.

Über diese profane Wirklichkeit erhebt sich die Glaubensgewissheit. Denn das ist die andere Seite der Wirklichkeitsgier Caravaggios und seiner Nachfolger. Die biblischen Geschichten werden in diesen Bildern zu unleugbarer Realität. Sie stellen menschliche Schwächen dar – etwa im beliebten Sujet der „Verleugnung Petri“ –, um das Wunder des Glaubens umso größer zu machen. Der „Ungläubige Thomas“, der hier in einer Kopie des Potsdamer Caravaggios zu sehen ist, legt buchstäblich den Finger in die Wunde. Weltliches und Göttliches berühren einander.

Wie immer Caravaggio als Charakter war, er war gewiss kein angenehmer Zeitgenosse. Aber das stand ihm vor Augen und das malte er, dieses Wunder, aus der Niedrigkeit des Erdenlebens erhoben zu werden, durch Schmerz und Leiden hindurch. Wer sich bei den dreckigen Füßen und Fingernägeln aufhält, verkennt diese Größe Caravaggios. Von ihr kann man zwar berichten, aber man muss sie mit eigenen Augen gesehen haben.

München, Alte Pinakothek, bis 21. Juli. Katalog bei Hirmer, 34,90 €.

Bernhard Schulz

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