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„Ich sehe auf der Bühne genauso aus wie im Leben“, sagt Katja Zinsmeister und lacht. 
© Ottmar Winter

"Jeder stirbt für sich allein" in Potsdam: Unverstellt

Katja Zinsmeister spielt in der Potsdamer Inszenierung von „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada eine Hauptrolle. Für sie ist das Stück eines, in das sie eintauchen kann.

Potsdam - Es ist ihr erster Fallada. Eine Begegnung, die Katja Zinsmeister sichtlich aufwühlt. Der Schriftsteller verhandelt nichts Geringeres als die Frage: Wie kann ich Widerstand leisten in einer Zeit der Verrohung? Auch 70 Jahre nach Erscheinen des Romans „Jeder stirbt für sich allein“ ein durchaus aktuelles Thema. Es ist nicht nur die Komplexität der Figuren, die die Schauspielerin fasziniert. Sie hatte sofort eine große Nähe zu Falladas unverstellter, so direkter Sprache. Auch sie öffnet sich schnell, braucht keinen langen Anlauf, um mit anderen warm zu werden. Die gebürtige Stuttgarterin ist in der Probenpause noch mittendrin in diesem so vielschichtigen Roman, der heute in der Bühnenfassung von Christopher Hanf und Annette Pullen am Hans Otto Theater Premiere hat.

In dem Buch, das nach einer wahren Geschichte entstanden ist, wird über die Angst, aber noch viel mehr über den Widerstand in Nazideutschland erzählt. Dieser erste antifaschistische Roman der Nachkriegszeit ist kein Heldenepos: aber durchaus eine Hommage an die „kleinen“ Leute. Denn die Moral von der Geschichte: Auch der kleinste Akt des Widerstands ist von Bedeutung. Und der besteht in „Jeder stirbt für sich allein“ darin, dass Otto und Anna Quangel Postkarten und Briefe mit Aufrufen gegen Hitler schreiben, die sie in Treppenhäusern verteilen. In ihrer Trauer über den Tod ihres Sohnes, der 1940 an der Front in Frankreich fiel, wachsen sie über sich selbst hinaus und riskieren ihr eigenes Leben. Fallada schrieb diesen Roman Ende 1946 im Auftrag des damaligen Kulturbund-Präsidenten, Johannes R. Becher, in nur vier Wochen. Kurz darauf starb der Morphinist und Alkoholiker als seelisches Wrack an Herzversagen. „Seine Liebe galt dem einfachen Leben und den kleinen Leuten“, sagte Becher in seiner Grabrede.

Eintauchen in eine neue Welt

„In jedem Kapitel seines letzten Werkes taucht man in eine neue Welt ein. Alles ist miteinander verzahnt, nichts kommt einem konstruiert vor“, sagt Katja Zinsmeister, die als Anna Quangel eine Hauptrolle spielt. An ihrer Seite ist Jon-Kaare Koppe als Ehemann Otto zu sehen. „Es ist ein Vergnügen, mit ihm zu arbeiten. Ich freue mich jedes Mal, auf die Probe zu kommen“, sagt Katja Zinsmeister, die zuvor acht Jahre in Aachen am Theater war und dort solch große Rollen wie den Monolog „Die Wand“ auf die Bühne brachte. „In Aachen hatte ich einen guten Lauf.“ 

Sie fand dort ein künstlerisches Zuhause, kam aber in der Stadt nie richtig an. Schon bei Tobias Wellemeyer versuchte sie, am Hans Otto Theater engagiert zu werden, in der Nähe von Berlin, wo sie an der Ernst-Busch-Hochschule studierte und unter anderem am Maxim-Gorki-Theater, am Ballhaus Naunynstraße, Hebbel am Ufer, den Sophiensälen und am Theaterdiscounter freischaffend spielte. In Berlin hat die 45-Jährige Familie und Freunde. Als sie hörte, dass mit Bettina Jahnke ein Wechsel in Potsdam stattfindet, bewarb sie sich erneut. Bettina Jahnke reiste von Neuss, wo sie gerade ihre Intendanz aufgab, nach Aachen, sah Katja Zinsmeister als Ranewskaja im „Kirschgarten“ und lud sie zum Vorsprechen ein. Nun gehört Katja Zinsmeister zu den 16 Neuen im HOT-Ensemble und wohnt mit Mann und siebenjähriger Tochter mitten in der Stadt, für die sie nun Theater spielt, die sie einatmen möchte. Die Anna Quangel ist ihre erste zentrale Rolle, nachdem sie sich in „Der gute Mensch von Sezuan“ und „Gehen oder der zweite April“ in kleineren Parts schon als sehr spielfreudig auswies. „Einerseits will man sofort alles zeigen, aber so hatte ich Zeit, anzukommen und auch die Einschulung meiner Tochter an der Dortuschule zu regeln.“

„Fallada hat ihn wie im Wahn aufgeschrieben"

Als sie sich dem Fallada-Roman zuwandte, war sie erschüttert, dass in der Nachkriegszeit so eindimensional gedacht worden war: In der Erstausgabe, die 1947 im Aufbau-Verlag erschien, wurden entscheidende Details verändert. Vermutlich ohne Zustimmung des Autors. Auch ihrer Anna sei damals ganz viel genommen worden. „Es passte nicht ins Bild, dass sie anfangs Nazianhängerin war. Anna mogelte sich aus der Frauenschaft, die zu kontrollieren hatte, dass auch alle fleißig für die Rüstung arbeiten, aber raus. Sie gab sich übermotiviert, schlawinerte sich so gewitzt aus dem Verein.“ Auch dass Annas Schwiegertochter von den Kommunisten unmenschlich behandelt wurde, kam nach der Zensur nicht mehr im Buch vor. In Deutschland erschien der Roman erst 2011 in Originalfassung. Der Stoff blieb indes durch die Jahrzehnte spannend: Fünfmal wurde er verfilmt, zuletzt 2015 mit Emma Thompson als Anna. „Fallada hat ihn wie im Wahn aufgeschrieben, jeden Tag 20 Seiten. Aber jedes Wort stimmt.“ Die Figur der Anna erzähle ganz viel über Frauen, die sich emanzipieren, sagt Katja Zinsmeister. „Anna und Otto erblühen im Widerstand beide zu neuem Leben. Zuhause aber dreht sich alles um Otto, und Anna ordnet sich weiter unter.“ Aber es ist Anna, die fragt: „Ist das nicht zu wenig, was wir tun?“ Eine sehr aktuelle Frage angesichts von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, sagt Katja Zinsmeister.

Das Stück zeige, was mit Menschen passiert, wenn die Gesellschaft in ein autoritäres System abrutscht. „Dann kommen die Bestien raus.“ Man spürt Katja Zinsmeisters Nachdenklichkeit, ihre eigene politische Haltung. „Das Theater ist mein Ort, wo ich mich positionieren kann.“

>>Die Premiere am 12. April um 19.30 Uhr ist ausverkauft. Nächste Vorstellung am Sonntag, 21. April, um 18 Uhr.

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