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Franziska Melzer, seit 2009 im Ensemble des Hans Otto Theaters.
© Thomas M. Jauk
Update

Schauspielerin Franziska Melzer und der Lockdown: So singt sie selbst ein Lied

„Was kann ich jetzt noch geben?“, fragte sich die Potsdamer Schauspielerin Franziska Melzer, als der Kultur-Lockdown einsetzte. Die Antworten findet man im Digitalen - und bald auf einem Album?

Potsdam - Draußen liegt knöchelhoch Schnee, der Februar kommt gerade erst in Fahrt, und die Schauspielerin Franziska Melzer sagt: „Die Spielzeit ist für mich eigentlich vorbei.“ Bis zum Sommer wird sie keine Premiere mehr haben. Wird nicht in „Linda“, dem Gegenwartsstück von Penelope Skinner dabei sein, und auch nicht in „Good. Better. Greta“, einem Rechercheprojekt zu Greta Thunberg. Beide Stücke wurden gestrichen, und schuld ist natürlich Corona.

Corona ist auch schuld an dem, was Franziska Melzer, seit 2009 im Ensemble des Hans Otto Theaters, ihre „Lernkurve“ in Sachen Digitalität nennt. Mit Theaterstreams konnte sie nie viel anfangen, gehörte auch im Lockdown nicht zu denen, die selbst viel digital Theater gucken. Sie nennt sich einen „Computerhorst“, in Zoomkonferenzen ist sie immer die, die bei unwissentlich ausgeschaltetem Mikro schief im Bild hängt. Sie hat ein Uralt-Smartphone, ihr Mann, der Autor Tobias Schwartz, besitzt gar keins. Und dennoch: Franziska Melzer gehört zu den Schauspieler*innen des Potsdamer Ensembles, die im Lockdown am sichtbarsten sind. Digital.

Trotz Corona ging auch auf der analogen Bühne einiges

Zunächst aber: Auch an analogem Spiel ging im vergangenen Jahr ja doch einiges. Da war die Premiere der „Nashörner“ am 21. Februar. Franziska Melzer war Daisy, jene Büroangestellte, die wacker den brutal aus dem Off schniefenden Nashörnern widersteht, bevor sie dann doch einknickt. Mitte März machte das Hans Otto Theater zu. 

Dann die zweite Premiere: „Die Jury tagt“ Anfang Oktober. In dem Stück von Julia Schoch über die Suche nach der richtigen Form der Erinnerung an den Umbruch von 1989 war Franziska Melzer die forsche, bis in den Zynismus pragmatische Jenny Adler. Eine Schriftstellerin, die sagt: Egal wie erinnert wird, Hauptsache es kracht. 

Spielen auf Abstand: eine unglaubliche Anstrengung

Einen Monat nach „Die Jury tagt“ war das Theater wieder zu. Für die dritte Premiere, „Der Vorname“ in der Regie von Moritz Peters, konnte noch geprobt werden, die Premiere fand nur online statt: der Filmmitschnitt einer Hauptprobe.

Die Proben, das Spielen auf Abstand: „eine unglaubliche Anstrengung“, sagt Franziska Melzer. Immer noch. „Das Natürliche für uns Schauspieler ist, dass wir uns nahe sind.“ Dagegen anzugehen, ein andauernder Kraftakt. Eine Begleiterscheinung des Lockdowns: „Seitdem Berührungen untersagt sind, will ich eigentlich nur noch eins: dionysisches Theater“. Wilde Nacktheit, körperliche Performances. All das, was nicht geht.

In der Potsdamer Online-Premiere von "Der Vorname", Regie Moritz Peters, spielt Franziska Melzer Elisabeth. 
In der Potsdamer Online-Premiere von "Der Vorname", Regie Moritz Peters, spielt Franziska Melzer Elisabeth. 
© Thomas M. Jauk/Stage Picture

Wie die Pandemie Schauspieler in die Unsichtbarkeit zwingt

Rund acht Wochen Spielbetrieb, das ist bislang die dünne Bilanz der aktuellen Spielzeit. Aber Franziska Melzer sagt: „Für mich war es eine vergleichsweise gute.“ Drei Premieren, zwei davon vor Publikum. „Immerhin durfte ich schon auf einer Bühne vor Leuten spielen. Das ging nicht allen Kollegen so.“ 

Auch wenn die in einem Ensemble Angestellten darüber nicht jammern wollen, weil sie anders als freie nicht um ihre Existenz bangen: Dass die Pandemie die Schauspieler*innen in die Unsichtbarkeit zwingt, ist für viele schwer zu verkraften. Was ist eine Schauspielerin, die nicht spielt?

„Ich bin jetzt so nutzlos.“ Das ist ein Satz, den Franziska Melzer sagt, wenn sie über die Zeit der Pandemie spricht. Das Gefühl kam bald nach dem ersten Lockdown im März auf, schwerer noch zu ertragen, gerade weil man als Mitglied eines Stadttheaterensembles weiter Geld bekommt. Auch wenn der Bühnenbetrieb ruht. Auch wenn die Proben, wie im Moment am Hans Otto Theater der Fall, ruhen. Geld also, aber wofür? Für Franziska Melzer stellt sich die Frage so: „Was kann ich jetzt noch geben?“

Eine dadaesker Ritt durch die "Nashöner" auf Youtube

Die Antworten, die sie gefunden hat, kann man auf Youtube finden. Da ist die Playmobil-Kürzest-Version von „Die Nashörner“, die wenige Wochen nach dem ersten Lockdown im März entstand. Ein Ionesco-Theaterabend dadaesk heruntergedampft auf knapp fünf Minuten. Einmal schieben sich die Hände ihrer Tochter ins Bild. Sie ist fast vier. 

Auch der Sohn, sieben, will zuhause in der Moabiter Wohnung betreut werden, „bei Laune gehalten“. Wer den „Nashörner“-Clip kennt, weiß: nicht nur Kinder hielt das bei Laune, sondern auch ausgewachsene Theatermenschen auf Entzug. Als der Probenmitschnitt von „Die Nashörner“ online gezeigt wurde, hatte Franziska Melzer hingegen große Zweifel: der eingeschränkte Blick, die Autorität der Kamera über das Bühnengeschehen, all das gefiel ihr nicht.

Eine kamikazemäßige Weihnachtsserie als Madame Ruprecht

Inzwischen findet sie die Möglichkeit, mit Publikum Kontakt zu halten, wichtiger als alles andere. Was Streams können, und was heißt hier nur: „eine kleine Freude sein“. Ein zusätzliches Potenzial: Sie ziehen ein anderes Publikum als das, das sonst ins Theater geht, sagt Franziska Melzer. 

Im Dezember entwickelte sie gemeinsam mit der Dramaturgin Elena Iris Fichtner die Vorweihnachts-Serie „Madame Ruprecht“: Franziska Melzer als eine Mischung aus Eisfee und Hexe sucht Mitbewohner in ihrer WG. Wenn sie wütend wird, holt sie die Rute raus, ansonsten lädt sie Engel, Nikolaus und Christkind zum Vorstellungsgespräch mit Punsch. Die Filme sind Improvisationen, meistens wurde gleich der erste Take genommen, gefilmt per Handy. „Kamikazemäßig“, sagt Franziska Melzer.

Theater, die Onlineformate ausprobieren, haben die besseren Argumente

Als jüngstes Experiment reiht sich das Digital-Format „Poesie persönlich“ hier ein. Als Franziska Melzer davon erzählt, hat sie die erste Folge gerade hinter sich, ist geradezu berauscht davon: vier Zuschauer und sie, ein Zoomgespräch, im Mittelpunkt ein Gedicht: „Ein milder Wintertag“ von Annette Droste-Hülshoff. Franziska Melzers Wahl. Das Format ist ein Experiment, aber viel mehr als ein Trostpflaster für Theatersehnsüchtige, sagt sie. „So einen Austausch, so intensiv, so ehrlich, so nah am Gegenstand, habe ich noch in keinem Publikumsgespräch erlebt.“ Insofern: Ja, hier hat Corona, der Zerstörer, etwas ermöglicht.

„Will nicht die Grille hallen, / So säuselt doch das Ried“, heißt es in Droste-Hülshoffs Gedicht. „Sind stumm die Nachtigallen,/ So sing' ich selbst ein Lied“. So macht Franziska Melzer das auch. Im Lockdown hat sie begonnen, intensiver mit Marc Eisenschink, dem Tonmeister des HOT, Musik zu machen. Vielleicht wird ein Album draus. Die Texte dafür schreibt sie vormittags, wenn die Kinder sie mal ein Stündchen lassen. 

Und sollte noch irgendjemand fragen, warum sich ein Theater, das kein Theater spielen darf, auf digitale Formexperimente einlässt, antwortet Franziska Melzer: „Ein Theater, das im Lockdown viel probiert hat, hat danach einfach die besseren Argumente. Auch wenn’s mal wehtut.“ Denn eins dürfte klar sein: Es wird die Zeit kommen, da Theater alle erdenklichen Argumente brauchen.

Poesie persönlich mit Franziska Melzer erneut am Samstag, 27.2. um 16 Uhr. „Der Vorname“ bis 26.2. immer freitags ab 19.30 Uhr im Stream auf der Webseite des Hans Otto Theaters.

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