Von Lena Schneider: Herrin im eigenen Reich
Franziska Melzer gibt heute in „Der Architekt“ das Mädchen Dorothy, das das Unmögliche versucht
Märchen. Damit muss es wohl angefangen haben. Der Wunsch nach Verwandlung. Prinzessin sein. Oder auch, später: Hexe. Einmal im Jahr die Hexe im Weihnachtsmärchen, das ist nach wie vor reinigend, sagt Franziska Melzer. Prinzessinnen spielt sie auch heute noch, irgendwie. Nicht die in rosa Kleidern. Sondern Herrinnen über ein Reich, das nur ihnen gehört. Wann genau das begonnen hat, das Spielen-Wollen, kann sie gar nicht sagen. Wann man eben anfängt mit dem Schallplattenhören. Die Märchenplatten der DDR gab es zu Hause in der Dresdner Altbauwohnung mit den hohen Decken und Bücherregalen zuhauf. „Frieder und das Katherlieschen“, „Die kleine Seejungfrau“, „Die Schneekönigin“. Das prägt sich ein. Und das prägt.
Auf der Terrasse des Hans Otto Theaters, Blick übers Wasser. Im Schatten lauert schon der Herbst, aber die Sonne tut noch einmal, als sei Sommer. Franziska Melzer spielt mit, sie trägt eine große Sonnenbrille mit weißem Rand. Eigentlich sollte man Früchtecocktails dazu trinken. Aber in der Thermoskanne ist Tee. „Vor gar nicht langer Zeit hätte ich mir nicht träumen lassen, mal hier zu sitzen.“ Nicht Potsdam meint sie damit, sondern das Theater in ihrem Rücken. Nach der Schule bewirbt sie sich an allen erdenklichen Schauspielschulen – und wird abgelehnt. Keine gute Zeit. Besonders, wenn man ohnehin zweifelt. „Schlechtes höre ich immer sehr, Gutes eher weniger.“ Seit der ersten Rolle – ein Äpfelchen in „Frau Holle“, sie war ungefähr vier – will sie zum Theater. Alternativen gibt es nicht, für Germanistik und Theaterwissenschaften schreibt sie sich nur als Notlösung ein. Was, wenn sie das doch nicht kann, Spielen? Die Gesangslehrerin in Dresden träumte davon, sie zur klassischen Sängerin zu machen. Aber in der Musik fehlt ihr das Intellektuelle. Sprache.
Dann wird sie doch angenommen, an der Berliner UdK. Sie lernt dort viel. Gegen die inneren Zweifel arbeiten, auch gegen das Lampenfieber, gegen die Scham. Schon als Kind spielte sie Prinzessin nicht um sich zu produzieren, sondern um Prinzessin zu sein. Nicht für den Beifall, sondern für die Phantasie. „Aber es gibt nunmal diese Vereinbarung zwischen Publikum und Schauspieler, dass man sich am Ende verbeugt, dass man Kontakt sucht. Das akzeptiere ich jetzt.“ Auf den Abschluss an der UdK folgt sofort das Engagement in Magdeburg. Den dortigen Intendanten Tobias Wellemeyer kennt sie schon, aus der Ferne. Seine Dresdner „Momo“ hat sie als Kind gesehen, jetzt prägt er sie als Regisseur. Und als „Chef“, wie Franziska Melzer sagt. Als einer, der Mut macht, herausfordert.
In Magdeburg spielt sie Kleists Käthchen, Molières Donna Elvira, Horváths Karoline, Williams’ Laura, Tschechows Nina. Große Rollen. Zerbrechliche Rollen. „Ja, meine Figuren haben oft eine große Traurigkeit.“ Franziska Melzer kennt ihre Figuren genau. Manches von ihnen findet sie in sich wieder. Wenn Nina, die junge Schauspielerin in der „Möwe“, am Ende erkennt, dass man akzeptieren muss, was man ist, egal ob vollkommen oder nicht, dann ist das so ein Moment. Bei den Proben kommt sie ihren Figuren manchmal so nah, dass sie es dann satt hat, „die ganze Einfühlung“. „Dann ist es gut, ein Leben, zu haben, das nicht nur aus den großen Gefühlen besteht. Eine Küche, die man putzen kann.“ Lachen. Schon komisch, wie die Welt gestrickt ist, kann das heißen. Oder: Nimm’s nicht so wichtig. Aber egal scheint Franziska Melzer nichts. Im Gespräch nicht, auf der Bühne erst recht nicht.
Die Nina lässt Franziska Melzer mit Magdeburg hinter sich. „Aber die Texte arbeiten weiter in einem.“ Es gibt Rollen, die spielt man nie wieder, auch wenn man erst 28 ist. Vor allem deswegen, und nicht aus Abschiedswehmut, gibt es Tränen nach dem letzten Vorhang der „Möwe“ in Magdeburg. Und in Potsdam? Die Laura aus Tennessee Williams’ „Glasmenagerie“ hat sie an den Tiefen See mitgebracht. Eine geschmeidige, in ihrer Zartheit unglaublich berührende Figur, die über die samtgrünen Sessel auf der Bühne gleitet wie ein Wurm über regennasse Erde; nur ist dieser Wurm eigentlich ein Schmetterling, der tastend die Flügel ausklappt. Am Ende sollte er zu Boden fallen. Stattdessen aber schwebt diese Laura schwerelos, unberührbar im eigenen Reich. Neu dazu kommt in Potsdam die Marie aus Goethes „Clavigo“, eine Rolle, der man den Goethe nur schwer austreiben kann, wie sie sagt, lachend. Eine Passive, Verlassene, ein Opfer nicht nur der Männer, sondern auch des eigenen Gefühls. Und Dorothy, die Tochter vom „Architekt“ in David Greigs gleichnamigem Stück. Ein Mädchen von heute, das per Anhalter von zu Hause flieht, aber immer wieder zurückkehrt. Eine, die das Unmögliche versucht: eine Familie kitten, die nicht zu retten ist.
Laura, Nina, Marie, Dorothy. Von der Welt Verschrammte. Frauen, die leise der Welt ihre Grausamkeit vorhalten und dennoch etwas Eigenes, Eigenwilliges dagegen behaupten. Figuren, die süchtig machen, obwohl man gar nicht recht weiß, warum. Vielleicht, weil sie immer klingen, als würden sie sich selbst nicht ganz glauben. Weil man sie nie ganz greifen kann. Was treibt ihre Figuren? Träume? „Eine Sehnsucht nach mehr vielleicht.“ Sie würde gern mal Kleists Penthesilea spielen, sagt Franziska Melzer noch. Keine Prinzessin, eine Königin. Und was für eine.
Die Premiere von „Der Architekt“ am heutigen Donnerstag, 19.30 Uhr, in der Reithalle. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 981 18.
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