Interview mit Ute Lemper: "Ich habe nunmal eine Weltkarriere"
Ute Lemper spricht über ihre Leidenschaft für Kurt Weill, nervige Produktionen in der Vergangenheit und ein dreistündiges Telefonat mit Marlene Dietrich.
Frau Lemper, Sie sind zurzeit unglaublich viel unterwegs: Am Samstag in Potsdam, nächste Woche in Spanien, im November schon in China. Schlafen Sie zwischendurch auch noch?
Ja, der Oktober ist sehr wild, der November ist schon etwas besser und der Dezember ist gar nicht mehr so voll. Es gibt eben diese schwierigeren Monate und die leichten Monate. Und ich kann schon schlafen. Nicht lange, das stimmt und manchmal weiß ich beim Aufwachen auch nicht gleich wo ich bin.
Macht Sie das nicht verrückt?
Es nützt gar nichts, sich zu stressen. Ich weiß, dass ich eine ruhige Kugel schieben muss und schalte zwischendurch die Nerven ab. Groß ausgehen kann ich natürlich nicht, in Bars, das Nachtleben genießen. Ich muss schließlich auch auf meine Stimme aufpassen.
Trainieren Sie Ihre Stimme täglich oder ist zwischen den Auftritten eher „Stummzeit“?
Stummzeit ist immer gut, aber ohne tägliches Training geht es nicht, die Stimme muss geölt werden. Letztendlich ist es auch ein Muskel, der trainiert werden muss. Tendenziell ist die Stimme besser, wenn man mehr singt. Das ist wie bei einem Athleten.
Nun singen Sie am 19. Oktober Kurt Weills „Die sieben Todsünden“, die stimmlich relativ anspruchsvoll sind. Das Stück begleitet Sie schon lange, was begeistert Sie daran so sehr?
Das stimmt, ich habe Kurt Weill bereits 1984 in Berlin studiert und habe mich damals in dieses Stück verliebt. Weil es die Quintessenz von Weills Werk ist, die letzte Arbeit mit Brecht auch. Die Streichersätze sind einfach so toll und ich habe es wirklich schon oft gesungen, in der ganzen Welt.
Ist die stimmliche Herausforderung dabei heute anders als damals?
Es war sicherlich einfacher zu singen, als ich jünger war. Heute singe ich introvertierter und gleichzeitig etwas bedachter. Ich finde die Lieder ehrlich gesagt gar nicht schwer, die Melodien sind so saftig, sie singen sich von selbst. Ich stehe bei den Aufführungen auch direkt neben dem Dirigenten und kann so richtig in den Streichern baden.
Sie singen die Figur der Anna, die sich im Stück in Anna I und Anna II aufspaltet, um ihr lasterhaftes Leben zu ertragen, das sie führen muss, um in Amerika Geld für ihre Familie zu verdienen.
Genau, gesungen wird aber nur die Anna I, also die Stärkere der beiden. Anna II drückt sich eher im Spiel aus. Das Fragilere, das Traurigere kommt dabei aus dem Ausdruck heraus.
„Die sieben Todsünden“ ist ursprünglich als Tanzstück angelegt, werden die Zuschauer etwas von Ihren Tanzkünsten zu sehen bekommen?
Nein, das ist eine konzertante Aufführung. Wäre es anders, wäre die Rolle der Anna II an eine Tänzerin vergeben. Auch ich habe sie schon oft getanzt und hier darf ich eben beide Rollen auf meine Art verkörpern.
Der Begriff Todsünde klingt ja zunächst etwas veraltet, wie aktuell ist Kurt Weills Stück denn überhaupt noch?
Also musikalisch ist das etwas für die Ewigkeit. Es ist eine ganz klassische, ganz wunderbare Musik. Der Text hingegen ist schon etwas antiquiert. Er ist eine Parodie auf Amerika, mit der Bertolt Brecht wiederum auch sehr Recht hatte. Das Geld ist hier der Gott und Amerika ist ein Land, das sich auf Privatisierung aufbaut. Auf Macht auch, das hat Brecht als weiser Mensch gut gesehen.
Das klingt aber doch noch ziemlich aktuell.
Tatsächlich ist es jetzt mit Donald Trump als Präsidenten wieder sehr aktuell: Der Kapitalismus steht über allem, das Geld kommt vor dem Menschen, sein Ausspruch „Make America great again“. Er prägt einen Ruf, der sich durchaus auch in dem Stück findet und eine aktuelle Interpretation zulässt.
Sie leben selbst seit vielen Jahren mit ihrer Familie in New York, fühlen Sie sich als Amerikanerin?
Nein. Ich bin auf jeden Fall New Yorkerin, das schon. Aber ansonsten ist nichts Amerikanisches in mir, wirklich nicht. Ich bin vor allem Europäerin, ein Mosaik aus Frankreich, England, Deutschland. Ich bin schon auch sehr deutsch so wie ich lebe, denke und mein Leben sortiere. Aber davon abgesehen bin ich ein freier Geist und wahnsinnig weltoffen.
Denken Sie manchmal darüber nach, wieder nach Europa zurückzukehren?
Ja. Immer und ständig. Wenn mich meine Kinder nur lassen würden oder mein in New York so verwurzelter Ehemann (lacht). Ich würde gerne nach Paris oder Berlin ziehen, aber noch sind die Kinder in der Schule, danach bestimmt. Das dauert höchstens noch acht Jahre, das versichere ich Ihnen.
Sie haben in Ihrer Karriere tatsächlich schon fast überall gespielt und dabei viele legendäre Rollen verkörpert: Sie sind die deutsche Stimme von Disneys Arielle, haben die Musicals „Cats“, „Cabaret“ und vor allem „Chicago“ bis heute geprägt. Werden Sie von den Rollen eher verfolgt oder denken Sie gerne an Sie zurück?
Ich sehe das so, dass es verschiedene Etappen in meinem Leben gab. Ich habe verschiedene High-Profile-Jobs gemacht, wie eben „Chicago“, „Cabaret“ oder auch die Weill-Platten, die ja schon lange auf dem Markt sind. Und dann habe ich viel einfach aus Liebe für die Kunst gemacht. Das sind zwei Dimensionen meiner Karriere, die immer in einer guten Balance waren. Aber ich muss gestehen, die Dinge, die ich aus vollem Herzen gemacht habe, haben mich glücklicher gemacht und auf die bin ich auch am meisten stolz. Manche High-Profile-Jobs haben mich schon sehr angenervt.
In den genannten Produktionen von „Cabaret“ oder „Chicago“ standen sie teilweise über Monate acht Mal die Woche auf der Bühne. Kann da jede Aufführung noch Freude sein oder waren Sie davon „angenervt“ und mussten auf Autopilot schalten?
Autopilot gilt es grundsätzlich zu vermeiden ich möchte schließlich das Publikum bei jeder Vorstellung mitreißen und begeistern. Ich bin nie auf Sparflamme gegangen, es sei denn, ich war verletzt und das hat mir dann immer sehr leid getan. Aber es ist auf Dauer schwierig, nur für die Produktionen zu leben.
Auch wegen der Familie?
Ja. Als ich jung war, war das kein Problem, da habe ich nur für die Kunst gelebt. Aber dann wurde die Familie zum Zentrum, ich habe das normale Leben geliebt und die En-Suite-Produktionen haben dieses Leben sehr beengt. Die Balance zu finden, war unglaublich schwer. Ich stand jeden Tag auf der Bühne und wollte quasi gleichzeitig mit den Kindern im Sandkasten buddeln. Dafür die Kraft aufzubringen, ist nicht immer leicht.
Sie sind Mutter von vier Kindern, die Jüngsten sind 14 und 8 Jahre alt. Nehmen Sie sie manchmal mit auf Tour?
Im Sommer, also in den Ferien nehme ich manchmal die ganze Familie mit, aber jetzt sind sie in ihrer Routine, gehen zur Schule. Und auch für mich ist es durchaus anstrengend, wenn die Kinder immer mit dabei sind.
Nun spielen Sie seit 20 Jahren kein Musical mehr, verfolgen Sie trotzdem die aktuellen Produktionen auf dem Broadway?
Ich besuche häufiger Vorstellungen am Broadway, muss aber gestehen, dass vieles tatsächlich sehr flach ist. Also die aktuelle Inszenierung von „Moulin Rouge" zum Beispiel ist das Furchtbarste, was ich je gesehen habe. Ich mochte aber etwa „Spring Awakening“ sehr oder „Beautiful“, das Carol King-Musical.
Und können Sie sich vorstellen, selbst zum Musical zurückzukehren?
Ich sage niemals nie, es ist für mich kein Tabu. Allerdings habe ich nun mal eine Weltkarriere und muss sie auch bedienen. Es wird erwartet, dass ich alle zwei Jahre in all den Ländern auftrete und längere Musicalproduktionen würden mich ausbremsen. Darüber hinaus interessieren mich im Moment andere Projekte, wie etwa Marlene Dietrich.
„Rendezvous mit Marlene“ heißt das Programm, mit dem Sie ebenfalls aktuell touren. Es beruht auf einem Telefonat, das Sie 1988 mit Marlene Dietrich geführt haben. Wie kam es dazu?
Ich habe damals in Paris die Sally Bowles in „Cabaret“ gespielt und wurde oft mit Marlene Dietrich verglichen. In einem Brief an sie habe ich mich dafür entschuldigt und ihr meine Bewunderung ausgedrückt, woraufhin sie mich kontaktiert hat. Wir haben drei Stunden telefoniert.
Worüber haben Sie gesprochen?
Über alles. Sie war sehr traurig, bitter auch. Es ging um Deutschland, ihre verlorene Heimat. Es war ein ganz tolles Gespräch, aber wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie das Programm anschauen. Ich bin damit nächstes Jahr auch wieder in Berlin.
Sie haben eine Leidenschaft für Lieder, haben unter anderem Texte von Pablo Neruda und Paulo Coelho musikalisch aufgearbeitet und dafür neue Sprachen gelernt?
Ja, das waren ganz tolle Herzensprojekte, die mir sehr viel Freude gemacht haben, in die ich ganz viel Energie gesteckt habe. Spanisch spreche ich leider nicht fließend, aber für die Musik reicht es. Es ist eine unglaublich saftige Sprache, die leicht zu singen ist.
Können Sie denn bei all der musikalischen Arbeit überhaupt noch privat Musik genießen?
Ich bin da schon sehr sensibel und höre niemals Musik zur Berieselung. Aber ich höre gerne Jazz, am liebsten, wenn ich etwas trinke. Ich gehe auch sehr gerne in Jazz-Bars (lacht).
>>Ute Lemper singt "Die sieben Todsünden" am 19. Oktober um 20 Uhr im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Restkarten unter Tel.: (0331) 28 888 28.