"Jazzland Brandenburg": Neues Jazzfestival in Potsdam startet
Der Peitzer Konzertveranstalter Ulli Blobel eröffnet am heutigen Freitag ein neues Jazzfestival im Potsdam Museum. Es soll der Auftakt einer Konzertreihe in der Potsdamer Mitte werden.
Einen schönen Knall soll es geben, sagt Ulli Blobel. Das dreitägige Jazzfestival „Jazzland Brandenburg“, das heute Abend im Potsdam Museum seine erste Ausgabe eröffnet, soll Aufmerksamkeit erzeugen, das Scheinwerferlicht auf die Brandenburger Jazzszene werfen, die man aktuell so selten zu Gesicht bekommt. Dafür hat sich Blobel als Veranstalter der legendären Jazzwerkstatt Peitz mit Veranstaltern aus Cottbus, Potsdam und Lübbenau zusammengetan, um „das Ganze ein bisschen zu beflügeln“, wie er es nennt.
Und zwar nachhaltig: Alle sechs Wochen soll künftig ein Jazzkonzert im Potsdam Museum stattfinden und jedes Jahr ein Festival, mithilfe des brandenburgischen Kulturministeriums. Blobel versammelt keine Unbekannten um sich: Der US-amerikanischer Jazzdrummer John Betsch ist beispielsweise am Sonntag in Potsdam zu erleben, und am Samstag unter anderem Simon Phillips, bekannt durch die Band Toto. Die Schlagzeuger-Legende Günter Baby Sommer steht gleich am ersten Abend auf der Bühne. Ihn kennt Blobel schon seit etlichen Jahren – mit Anfang 20 seien sie sich zum ersten Mal über den Weg gelaufen. Später mischte Sommer bei der Jazzwerkstatt Peitz mit, brachte auch eigene Ideen mit ein.
Blobel machte sich zu DDR-Zeiten einen Namen über die Grenzen hinweg
50 Jahre ist es her, dass Ulli Blobel sein erstes Konzert in Brandenburg organisierte, damals zusammen mit seinem Kollegen Peter Metag. Es war ein Auftritt der Klaus Renft Combo, 1969 im Filmtheater von Peitz, kurz nachdem das Auftrittsverbot der Band in der DDR wieder aufgehoben worden war. Damals habe die Rockcombo noch in den Kinderschuhen gesteckt, sagt Blobel. Später geriet sie wegen ihrer kritischen Liedtexte immer mehr in das Fadenkreuz der staatlichen Kontrolle. Das Kino sei an jenem Abend bis obenhin voll gewesen: „300 passten hinein, 350 waren drin“, erinnert sich Blobel, der selbst Peitzer ist. Aber das sei ohnehin immer so gewesen, fügt er mit seiner dunklen Stimme rasch hinzu.
Im Sommer kamen sogar noch mehr. Da seien es bis zu 3000 Besucher gewesen, die zu den Open Air Auftritten anreisten. Ab 1973 konzentrierten sich Blobel und Metag auf Jazzkonzerte, ihre Jazzwerkstatt Peitz machte sich auch über die DDR-Grenzen hinweg einen Namen. Und die Kleinstadt im Landkreis Spree-Neiße war plötzlich in aller Munde. Aus Brandenburg selbst kamen allerdings die wenigsten – mehr Musikbegeisterte hätten sich aus den umliegenden Bundesländern auf den Weg gemacht. Das Publikum war jung, hatte lange Haare, trug Parka und Jeans. Und Blobel und Metag mussten es irgendwie schaffen, diese Menge an Leuten ein Wochenende lang zu versorgen. Einmal hätten sie über das Jahr verteilt 3000 Flaschen Wein angesammelt, die dann innerhalb von zwei Stunden verkauft waren. Da man keine Möglichkeit hatte, mit Scheinwerfern für Licht zu sorgen, fanden die Konzerte immer zur Sonnenwende um den 21. Juni herum statt. Die letzte Band musste dennoch meist im Dunklen spielen, erzählt Blobel: „Die Dinge waren alle anders als heute.“
Anfang der 1980er Jahre ging Blobel in den Westen
Musikalische Höhepunkte gab es viele. Ein bedeutender sei der Auftritt des London Jazz Composers’ Orchestras gewesen, außerdem Besuche von dem Posaunisten Albert Mangelsdorff, der damals zu den berühmtesten deutschen Musikern zählte. Letzterer kam zweimal nach Peitz: ’79 und ’81. Neun Jahre lang ging alles gut. Es kamen genug Besucher, sodass alle Ausgaben durch die Einnahmen gedeckt waren. „Dass man öffentliche Fördermittel bekam, gab es damals natürlich noch nicht“, sagt Blobel. Den einzigen finanziellen Support erfuhr das Festival durch ausländische Botschaften, in Form von Flugtickets für die Künstler – „Das war hoch prekär.“ Die Organisatoren gingen also auch finanziell ein großes Risiko ein: „Naivität und Eigensinn haben das ermöglicht“, sagt Blobel trocken. Und der Staat hatte scheinbar vorerst nicht richtig mitbekommen, was da im Gange war. „Er war zwar brutal, wenn er wollte“, so Blobel, „und stur auch, aber nicht pfiffig genug.“
1982 war dann Schluss mit lustig. Das Publikum war der SED dann doch suspekt: „Das waren die Gleichen, die in Berlin bei der Friedensbewegung aktiv waren.“ Stasi-Recherchen hatten das aufgedeckt. Erschwerend kam hinzu, dass die beiden Veranstalter in keinerlei staatsnahen Organisation tätig waren. Am Jazz selbst lag es also nicht. Blobel ging darauf in den Westen, besser gesagt musste gehen, gründete verschiedene Labels und widmete sich auch der Musikproduktion. Erst 2007 wagte er einen Neuanfang seiner Brandenburger Jazzwerkstatt. Und viele von damals waren wieder mit im Boot, erzählt er. Mittlerweile hat Blobel der Jazzwerkstatt auch ein Buch gewidmet und einen Film in Kooperation mit dem rbb, der am Sonntag auf dem Festival zu sehen sein wird. Der 69-Jährige bespielt mit seiner Jazzwerkstatt auch die Hamburger Elbphilharmonie, erst jüngst mit dem Posaunisten Nils Wogram und dem Jazzgitarristen Joe Sachse.
Er bespielte mit seiner Jazzwerkstatt auch die Hamburger Elbphilharmonie
Nun ist also das Geburtsland Brandenburg dran. „Hier will ich das alles auf ein besseres Niveau heben“, sagt er. Denn jazzmäßig ist hierzulande aktuell eher wenig los. Lediglich zwei Festivals finden statt, neben dem in Peitz, gibt es ein weiteres in Eberswalde. In Potsdam gab es mehrere Anläufe, zwischendurch hatte es Blobel etwa mit einer Konzertreihe im Nikolaisaal versucht, die er vor fünf Jahren aufgab. Außerdem fanden bis vor Kurzem Jazzkonzerte in Babelsberg statt. Aber das war es dann auch schon fast, außer Konzerten auf dem Schloss Lübbenau und einer Konzertreihe in Cottbus, die aber ebenfalls gerade strauchelt. „Weil die AfD im Stadtparlament sitzt und diese Kunstform nicht weiter fördern will“, sagt Blobel. Man werde deswegen versuchen, Bundesmittel zur Unterstützung zu bekommen. „Es gibt politische Verwerfungen in Brandenburg, die sehr unangenehm sind. Oft bekommt man sie gar nicht mit, weil sie in Ausschüssen stattfinden“, sagt Blobel. Seine größte Befürchtung ist, dass es bald auf Landesebene ähnlich aussehen könnte. Musiker gebe es im Land viele, auch junge – diese würden zu der blühenden Berliner Jazzszene gehören, die deutschlandweit die frischeste sei. Ansonsten sei der Jazz älter geworden. Wobei sich das in den letzten drei, vier, fünf Jahren ein wenig geändert habe, findet Blobel: „Trotzdem ist das junge Publikum eine zarte Pflanze.“ Deswegen will seine 30-jährige Tochter, Marie Blobel, im Rahmen der Jazzwerkstatt 2020 auch eine Werkstatt für junge Frauen anbieten.
Inwiefern sich denn der Jazz gewandelt habe? Der habe seine Grundstruktur behalten, aber die Sounds seien neu, sagt Blobel. Auf Brandenburgs neuem Festival kommt beides zur Sprache, Älteres und Neueres – vor Günter Baby Sommer als „populären Typen“, wie ihn Blobel nennt, spielen junge Elektroniker: die New Yorker Peter Evans und Levy Lorenzo. Und beide Seiten sollen auf ihre Kosten kommen: Musiker und Publikum. Auf dass es einen schönen Knall gibt.
Der Eintritt zum heutigen Eröffnungsabend, Beginn 20 Uhr, kostet 20 Euro. Der Festivalpass kostet 88 Euro. Das Programm im Überblick >>>