Ausstellung im Potsdamer Kutschstall: Fontane als lauffauler Grufti
Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte spürt mit der Ausstellung „fontane.200/Brandenburg. Bilder und Geschichten“ Fontanes Wanderungen nach - und deckt morbide Seiten des Dichters auf.
Potsdam - Theodor Fontane begrüßt die Besucher persönlich. In einer übergroßen Fotografie an seinem Schreibtisch sitzend, simuliert er eine Arbeitssituation. Davor aufgestellt sind sein Originalschreibtischstuhl, sein Globus, sein Tintenfass. Fontane als Schreibender, als Recherchierender, als Erzähler. Das ist das Thema der Ausstellung „fontane.200/Brandenburg. Bilder und Geschichten“, die am Donnerstag im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HBPG) eröffnet wurde.
Die Schau widmet sich Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und legt dabei den Schwerpunkt auf den Arbeitsprozess Fontanes. Dreißig Jahre lang hat er ab den 1850ern für die am Ende fünfbändige Reisebeschreibung recherchiert, daran geschrieben und weiter recherchiert. Immer wieder fügte er den Kapiteln neu gefundenes Material hinzu und änderte ihre Reihenfolge. Mehr als dreieinhalb Meilen ist er dabei allerdings nie gelaufen. Meistens fuhr er mit der Kutsche, die sich der nicht gerade reiche Schriftsteller und Journalist gerne vom Verleger bezahlen ließ. Oder er reiste theoretisch, indem er sich zu den einzelnen Orten belas. Einen Abschluss fand das Werk, das zunächst in Zeitschriften erschien, nie: Fontane starb mitten in der Recherche über die Märkische Familie Bredow, der er ein eigenes Buch widmen wollte. Ein Typoskript – also ein getippter Entwurf – ist im HBPG zu sehen.
Digitale Einblicke in die Notizbücher
Insgesamt erlaubt die Ausstellung viele Einblicke in Fontanes Notizen. 67 seiner für die Wanderungen geführten Notizbücher sind erhalten, sechs sind in Vitrinen betrachtbar. Diese bilden eine Achse zur anfänglichen Schreibtischanordnung. Eines der Ausstellungshighlights: Alle Büchlein sowie die Handbibliothek Fontanes sind digital einsehbar. An einem Pult können sie angeklickt und einzelne Seiten vergrößert werden. Auch Fontanes Reiseroute ist über einen Bildschirm nachvollziehbar. Mit dem Tippen auf bestimmte Punkte zoomt eine elektronische Karte an seine besuchten Orte heran und zeigt Zitate aus seinen Reiseberichten oder Briefen an seine Frau Emilie, die er von dort verschickt hat.
Obwohl dieses Material relativ selbsterklärend ist, ist es ratsam, an einer Ausstellungsführung teilzunehmen. Im Alleingang erschließt sich das Konzept eher schwer. Zu wenig wird der Besucher visuell an die Hand genommen. Schon beim Betreten der Ausstellung verwirrt ein Bild des schottischen Loch Leven Castle, in dem Maria Stuart 1567 festgesetzt wurde. Die Verwirrung sei beabsichtigt, sagt Ausstellungskuratorin Christiane Barz. Sie stehe symbolisch für den Beginn der Wanderungen, in denen Fontane eine Ruderfahrt auf eben dieses Schloss beschreibt, über das sich dabei das Bild von Schloss Rheinsberg legt. Doch ohne eine Erklärung ist der Besucher zunächst ratlos.
Fontane besuchte gerne Grüfte
Was man wissen muss: Ausgehend von diesem Gemälde sind im HBPG siebzehn topografische Stationen aufgebaut, die sich den verschiedenen Orten auf Fontanes Wanderungen widmen. Anhand von konkreten Gegenständen erklären sie Fontanes Zugang zu dem Ort. In Küstrin und Wust zum Beispiel interessierte ihn die tragische Geschichte rund um Hans Hermann von Katte, dem Jugendfreund Friedrich II., der wegen eines gemeinsamen Fluchtversuches mit Friedrich von König Friedrich Wilhelm I. zum Tode verurteilt wurde. Im HBPG ist unter anderem eines der zwei Richtschwerter zu sehen, die überliefert sind. Laut Barz ist es wohl tatsächlich jenes, das Kattes Kopf von seinem Hals getrennt hat.
Auch eine Zuckerdose mit dem Katteschen Wappen ist ausgestellt und ein Abguss von Kattes Schädel. Die Dose hatte der später Hingerichtete mit in seinem Gefängnis, seinen Schädel hat Fontane original in der Gruft inspiziert. Nicht selten habe er solche besucht und sich häufig die Grabstellen öffnen lassen und Notizen zum Mumifizierungsstatus gemacht, wie Barz erzählt.
Aufwendig gestaltete und detailreiche Begleitmappen
Geschichten wie diese zu entdecken, ist hochspannend, spiegeln sie doch auch die Vielseitigkeit der Wanderungstexte wider, die zwischen ausgeschmückten Anekdoten und langweiligen Aufzählungen variieren. Um sie entdecken zu können und vor allem zu verstehen, braucht es allerdings eine Führung oder die Muße, sich die an jeder Station ausliegenden Begleitmappen durchzulesen. Aufwendig gestaltet, beinhalten sie die jeweilige Textpassage aus den Wanderungen zum Ort der Station und verweisen auf die gezeigten Gegenstände in ihrer Bedeutung. Auch Skizzen Fontanes, etwa von verschiedenen Gemälden, sind darin zu sehen.
In Werder (Havel) beschäftigte er sich mit dem Bild „Christus als Apotheker“, das in der dortigen Heilig-Geist-Kirche zu sehen ist. Eine entsprechende Abzeichnung des Bildes ist in der Werder-Mappe zu finden.
So detailreich dieses Begleitmaterial ist, ein Audioguide wäre an den einzelnen Stationen hilfreich. Der würde den Besuchern vielleicht auch verraten, dass Fontane Potsdam ein „ungesundes, sumpfiges Klima“ zuschrieb und es deswegen eher mied. Das Kapitel „Havelschwäne“, in dem Potsdam zumindest erwähnt wird, hat er laut Barz auch noch vom Autor Louis Schneider geklaut.
Überhaupt nahm es Fontane mit dem Zitieren fremder Texte in seinen Wanderungen nicht immer ganz genau. Laut Barz zitierte er manchmal Stellen, die gar keine Zitate waren und paraphrasierte Textpassagen, die als Zitat hätten gekennzeichnet werden müssen. Gelesen wurden die Wanderungen trotzdem – und sorgten für ein einigermaßen geregeltes Einkommen.
>>Bis zum 30. Dezember im HBPG, der Begleitband „Fontane in Brandenburg. Bilder und Geschichten“ ist für 28 Euro erhältlich