Auf Fontanes Fährte (1): Im Ruppiner Land: Glatter See, blinkendes Blau - Zeit zum Träumen
Höchstens fünf Kilometer wollte Fontane zu Fuß laufen. Daher ist die Runde um den Kalksee und zur schönen Försterstochter in Binenwalde perfekt. Das Dörfchen ist so still wie einst.
Tief unten murmelt der Binenbach in seinem engen, leicht gewundenen Bett. Über die Jahrhunderte hat er ein sogenanntes Kerbtal geschaffen. Rundherum wachsen hohe Buchen, ein Buntspecht lugt hinter einem Stamm hervor, zwei Libellen schweben vorüber, ein blauer Schmetterling tanzt in der Sonne. Der Wanderpfad steigt erstaunlich steil an. Von wegen pfannkuchenplatte Mark, hier erheben sich respektable Hügel.
Wir sind in der Ruppiner Schweiz. Am höchsten Punkt des Weges angekommen, fällt der Blick auf blinkendes Blau. Ob Theodor Fontane hier gestanden hat, als er fasziniert notierte: „Der See liegt glatt und sonnenbeschienen vor dir, aber es ruft aus ihm, die Bäume rühren sich nicht, aber es zieht durch sie hin, aus dem Walde klingt es, als würden Geigen gestrichen, und nun schweigt es, und ein fernes, fernes Läuten beginnt. Ist es Täuschung oder ist es mehr?“
Beste Wasserqualität - drei Sterne zeigt das Schild
Mal halblang, lieber Herr Dichter. Hier gibt es keine Glocken, nicht mal ein Kirchlein weit und breit. Binenwalde, der winzige Ortsteil von Gühlen-Glienicke, säumt das Nordostufer des Kalksees. Vielleicht rührt sich Leben in diesem Dorf, wenn die Saison beginnt. Wenn die wenigen Ferienwohnungen belegt sind und Badende kommen. Ein Schild kündet von bester Wasserqualität: drei Sterne! Bald werden wohl auch Angler erwartungsfroh am Ufer sitzen. Hechte, Aale, Karpfen, Zander, Barsche und sogar Waller können sie hier aus dem Wasser ziehen. Es sei denn, der hier oft kreisende Schwarze Milan kommt ihnen zuvor.
Wer einkehren möchte, muss indes Glück haben. Das Gasthaus Hacker, seit gut 150 Jahren in Familienbesitz, hat nur noch selten geöffnet. 1859 hatte der Betrieb begonnen. Weil sich Johann Hacker, Sohn eines mecklenburgischen Gutsbesitzers, in eine Frau verliebt hatte, die „nicht standesgemäß“ war, verlor er sein Zuhause. Die strenge Familie fand ihn ab mit einer Gaststätte und Schmiede in Binenwalde. Möglich also, dass Johann ein defektes Rad von Fontanes Kutsche gerichtet oder den Pferden die Hufe beschlagen hat. Denn der Dichter ging nicht gern zu Fuß. Welche Streckenlänge er bewältigte? Die Literaturwissenschaftlerin Christiane Barz schätzt „fünf Kilometer“. Exakt so lang ist die Runde um den Kalksee. Dass der Dichter in Binenwalde war, ist unbestritten. Hier hörte er die Legende von der „schönen Sabine“. Mit ihrem Kahn ruderte die Försterstochter in der Dämmerung gern zu ihrem Lieblingsplatz am gegenüberliegenden Seeufer. Hier begegnete sie einem jungen Flötenspieler. Dass es Kronprinz Friedrich war, konnte sie nicht ahnen. Zu Hause im nahen Rheinsberg hatte er hier die geliebte Abgeschiedenheit gefunden. Die beiden jungen Leute trafen sich nun häufiger, eine Freundschaft begann.
Das anmutige Mädchen steht heute auf einem Granitsockel
Eine Freundschaft? Fontane war Journalist und neigte, wie manche Vertreter dieser Zunft, schon mal zu Übertreibungen. Er deutete die harmlose Verbindung zwischen Sabine und Friedrich zur Liaison um. In jedem Fall waren die Binenwalder mächtig stolz auf ihre Ortsschönheit – und setzten ihr ein Denkmal. 1843 wurde es aufgestellt und zeigte das anmutige Mädchen lebensgroß, mit Bogen und Jagdhund. Gut hundert Jahre konnte man Sabine an diesem Ort verehren, dann, 1945, wurde das Denkmal mutwillig zerstört. 2007 aber kehrte Sabine, wenn auch in künstlerisch recht einfacher Gestalt, zurück auf einen massiven Granitsockel.
Beeindruckender als diese Sehenswürdigkeit ist die Stille im Dorf. „Hier gibt es nichts“, sagt eine Einheimische. Kein Bäcker, kein Fleischer, kein Lebensmittelgeschäft. Ein paar Mal in der Woche käme der Bäckerwagen, auch eine Art rollender Tante-Emma-Laden führe durchs Dorf. Wer ins acht Kilometer entfernte Rheinsberg möchte und kein Auto hat, braucht Zeit. 15 Kilometer sind es bis Neuruppin, zu dem Binenwalde amtlich gehört.
Schon Friedrich der Große liebte die Boltenmühle
Wir kommen mit dem Schiff dorthin. Bei der nahe gelegenen Boltenmühle legt der Ausflugsdampfer ab nach Neuruppin. Boltenmühle ist ein Glücksfall für die Gegend. Ein herrlich gelegenes Ausflugsrestaurant mit guter Küche, wo gibt es das sonst noch? „Wahrlich, wenn ich nicht Herr von Rheinsberg wäre, möchte ich Müller von Boltenmühle sein, so ein idyllisch schönes Plätzchen“, befand Friedrich der Große. Sein Vater, Friedrich Wilhelm I., hatte den Mühlenbau zur Belebung der Wirtschaft forciert. Am Anfang lief es ganz gut mit Boltenmühle, aber die Besitzer wechselten oft. Wer Korn mahlen lassen wollte, scheute den weiten Weg zum abgeschiedenen Ort. Erst zu Beginn der 1930er Jahren kam ein neuer Besitzer auf die Idee, hier ein Ausflugsziel zu etablieren. Zu DDR-Zeiten geführt von der Konsumgenossenschaft des Kreises, ging das historische Gasthaus 1992 in Flammen auf. Brandstiftung. Einige Jahre später eröffnete sie an gleicher Stelle wieder, in einem Neubau nach historischem Vorbild.
Fontane kannte die Mühle gut und wahrscheinlich hatte er sie bei einem Ausflug von Neuruppin entdeckt. Immer mal wieder hatte er seine Geburtsstadt schließlich besucht. „Ruppin hat eine schöne Lage – See, Gärten und der sogenannte ,Wall’ schließen es ein“, notierte er recht nüchtern. Im Übrigen moserte er an der Stadt herum. Ihren Wiederaufbau nach dem verheerenden Brand 1787 hielt er für misslungen. Sein harsches Urteil: „Die Stadt gleicht einem auf Auswuchs gemachten großen Staatsrock, in den sich der Betreffende, weil er von Natur klein ist, nie hineinwachsen kann. Dadurch entsteht eine Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck Langeweile macht.“
Der Dichter lästerte genüsslich über Neuruppin
In der Tat gibt es viele Plätze in Neuruppin, und noch immer hat man den Eindruck, dass die Stadt viel zu früh schlafen geht. Dabei hat es sich doch so nett gemausert. Die Klosterkirche mit ihren hohen, markanten Türmen ist längst picobello restauriert. Fontane widmete ihr zahlreiche Absätze in seinen „Wanderungen“, lästert dabei aber auch genüsslich: „In der Ruppiner Klosterkirche fragte ich die Küsterfrau, welche Mönche hier wohl gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: ,Ick jlobe, et sind kattolsche gewesen’.“
Die Wälle und Gräben der Stadt sind noch vorhanden, Kronprinz Friedrich verteidigte sie gegenüber seinem Vater, der alles einebnen wollte. Die Löwenapotheke der Familie Fontane ist noch an derselben Stelle, das Alte Gymnasium und das Predigerwitwenheim, wo Theodors Mutter vor ihrem Tod gelebt hatte. Bereits 1907 wurde ein großes Denkmal des Dichters enthüllt, die Ausstellung im ohnehin gelungenen Museumsneubau ist in jedem Fall sehenswert. Neuerdings ist der große Sohn der Stadt sogar zum Ampelmännchen geworden. Leichenfledderei. Ach was, Fontane hatte ja Humor.