Antje Rávik Strubel schreibt an Fontane: „Sie meinen, Fontane ist nicht lieferbar?“
Die Potsdamer Autorin Antje Rávik Strubel thematisiert in ihrem Brief Fontanes Humor, der so trocken wie brandenburgischer Karnickelsand sei.
Lieber Theodor Fontane,
vor einiger Zeit betrat ich einen Buchladen auf der Suche nach Ihren „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Ich wollte selbst ein Buch über den Landstrich schreiben, in dem ich geboren wurde. Um ihn besser zu verstehen, hatte ich vor, Sie zu befragen, der dieses Sumpf-und-Sand-Land als erster literarisch erschlossen und seinen Leuten ein eindrückliches Charakterbild verpasst hat. Es war ein mittlerer Buchladen in einer mittleren Stadt. Ihre Bücher gab es nicht. Nicht in den Regalen. Nicht bei den Klassikern, einem winzigen Eckchen, wo nur Platz für Ihren Kollegen Kleist war (war gerade Kleist-Jahr?). Auf den Tischen für die Laufkundschaft würden Sie nicht zu finden sein, das ist nicht Ihr Stil, obwohl Sie sich auch im Krimi-Fach ausprobiert haben. Sie sind zwar in gewisser Weise volksnah, schauen in Ihren Dialogen den Menschen „aufs Maul“ und sind in Ihren Schilderungen vom Bastkäfer bis zum Faulbaum und vom alten Zieten bis zur Brigade Hünerbein so detailreich, faktengesättigt und historisch informiert, dass Sie jene Art von Lesern beglücken, die die Literatur als Wissenslieferanten sehen (im Gegensatz zu jenen, die von ihr zum Denken angeregt werden wollen). Für ein Mainstreampublikum ist Ihre Sprache allerdings nicht schlicht genug. Und Sie brauchen für alles zu lange. Verzeihen Sie. Dann aber sind Sie sehr komisch!
Ihr Humor ist, wenn er aufblitzt, von der unschlagbaren Trockenheit brandenburgischen Karnickelsandes. Die Havel als „Flachland-Neckar“ zu bezeichnen, die von der Form her aussehe wie „jene primitiven Schaukeln aus Kindertagen, die aus einem Strick zwischen zwei Äpfelbäumen bestanden“, hat lyrischen Witz. Die Beschreibung Brieselangs als so platt, dass „die Maulwurfshügel für alles aufkommen müssen, was Berglinie heißt“, ruft mir lebhaft die Wochenenden meiner Kindheitssommer vor Augen, an denen mein Vater den Wasserschlauch in den Maulwurfshügeln auf dem Brieselanger Grundstück versenkte.
Auch Ihre unangepassten Frauenfiguren gefallen mir. Effi Briest, die Sie hintersinnig in einen „Jungenkittel“ stecken und auf der Schaukel nach den Sternen greifen und aussehen lassen wie einen „Schiffsjungen“, als hätten Sie schon gewusst, was ein Tomboy ist, liest sich frisch, wie eine Attacke auf heteronormative Geschlechterrollen und die bürgerliche Ehe (wegen letzterem schaffte es der Roman in der DDR wohl auf die Lehrpläne). Dann aber sind Sie schollenschwer, sind Sparsamkeit oder Schonungslosigkeit in der Darstellung nicht Ihre Stärke, schreiben Sie als 75-Jähriger Ihre junge imaginierte Weiblichkeit ins Verderben; nicht anders als alle Ihre Kollegen zuvor.
Sie waren eben nicht nur ein Mensch, sondern vor allem auch ein Mann Ihrer Zeit, und ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es schwerer zu sein scheint, das Männliche, als das Menschliche abzulegen. Haben Sie das geahnt bei Ihren Recherchen auf den Schlachtfeldern Preußens? Mir kommt es vor, als hätten Sie die männlichen Abstammungsfolgen preußischer Armeenomenklatura nicht unabsichtlich so akribisch notiert. Als wollten Sie mahnend darauf hinweisen, dass neben Kiefern und Birnbäumen jede Menge Stammbäume preußischer Generäle im märkischen Sand wurzeln, der den Frauen nie gehörte. Aber nein. Weit haben Sie sich nie aus dem Fenster gelehnt. Fürs Visionäre waren Sie am Ende zu konventionell.
Im Buchladen jedenfalls fragte ich die junge Angestellte nach Ihnen. Sie schaute mich an, nicht unfreundlich, bloß ohne jede Regung. Ich sagte nochmal: „Ich suche die Wanderungen von Theodor Fontane.“ Wortlos ging sie zu einem Computer. Ich ging ihr hinterher.
„Wie soll der heißen?“
„Sie wissen schon, Fontane.“
Sie tippte, wir warteten, sie sagte: „Gibt’s nicht.“
„Sie meinen, Fontane ist nicht lieferbar?“
„Nee, den gibt’s nicht.“
„Machen Sie keine Witze. Der Mann war Schullektüre.“
„Wenn ich sage, den gibt’s nicht, gibt’s den nicht.“ Sprach’s und ging zur Kasse, wo jemand einen Krimi kaufen wollte. Ich hatte einen freien Blick auf den Computer. Als Suchbegriff hatte sie eingegeben „von Tane“.
Ich erzähle Ihnen, lieber nobler Herr von Tane, diese Begebenheit nicht, um Ihnen die Jubiläumslaune zu verderben. (Ich weiß aus Erfahrung, wie ärgerlich es ist, wenn der eigene Name falsch geschrieben oder ausgesprochen wird!) Sondern ich möchte, dass Sie keinen falschen Eindruck bekommen. Von uns. Von uns Brandenburgern. Nicht dass Sie am Ende denken, Sie hätten sich geirrt und müssten einen Teil Ihres Werkes umschreiben. Denn mittlerweile habe ich die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gelesen. Wenn Sie angesichts der vielen Geburtstagspost auf den Gedanken kommen sollten, wir hätten uns gründlich ins Gegenteil verkehrt und wären redselige, aufgeschlossene, dem Leben und Anderen herzlich zugewandte, umgängliche und fröhlich feiernde Gäste, seien Sie beruhigt: Wir sind immer noch so unausstehlich. Mürrisch, ignorant, unzugänglich, aber treu. Sie haben uns das so auf den Leib geschrieben, und das auf den Leib Geschriebene wird man so schnell nicht los.
Deshalb dürfen Sie der Verkäuferin im Buchladen nicht böse sein. Ihr Verhalten kündet von der tiefen Skepsis gegenüber allem Menschlichen, speziell seinem Ausdruck, der Sprache. Wenn die Kundin Fontane nicht findet, der auf alle Fälle vorrätig ist, schließlich liegt der Laden im Märkischen, kann das nur heißen, dass jemand anderes gemeint sein muss, nicht Sie. Ein Missverständnis. Das wortreich abzuklären, bringt nichts, denn Reden kostet Energie. Auch bringt das Sprechen nur weitere Missverständnisse hervor. Dass sie noch nie von Ihrem Namensvetter gehört hat, wundert die Verkäuferin ganz und gar nicht. Es sagt ihr, dass es sich um einen Debütanten handeln muss. Denn sie weiß: man schwimmt hier nicht gleich kopflos auf jeder neuen Welle mit. Gesundes Misstrauen, nüchternes Prüfen verringern das Risiko, dass ein Autor, entschließt man sich endlich, ihn ins Sortiment aufzunehmen, längst wieder aus der Mode ist. Namen? Schall und Rauch! Abgesehen natürlich von Ihrem, lieber einziger Herr Fontane.
Ihre Antje Rávik Strubel
Alle Folgen der nun beendeten Serie „Briefe an Fontane“ anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane
Antje Rávik Strubel